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2002-01-22

Der aggressive Mob wurde am Schneidetisch produziert

Aufnahmen von den Ausschreitungen beim EU-Gipfel in Göteborg waren manipuliert / TV-Sender beschuldigt Polizei

Von Hannes Gamillscheg (Kopenhagen)

Im Steinhagel eines aggressiven Mobs und in Lebensgefahr zogen die Polizisten ihre Pistolen und schossen aus Notwehr: Dieses Bild zeichnet die schwedische Polizei gerne von den Krawallen beim Göteborger EU-Gipfel im vergangenen Juni. Doch diese Darstellung ist offenbar falsch. Die Polizei wird beschuldigt, Beweismaterial manipuliert zu haben: Filmaufnahmen wurden mit geschickten Schnitten und nachträglich eingespieltem Ton verfälscht.

Im Juni gingen diese Bilder um die Welt: Sie zeigen den 19 Jahre alte Hannes Westberg, wie er als Demonstrant die Polizei erst mit Gesten provoziert, Pflastersteine in ihre Richtung wirft und dann, von einem Bauchschuss getroffen, weghinkt und blutüberströmt zusammenbricht.
Westberg selbst wirkte auf den Aufnahmen provokant, aber nicht bedrohlich. Denn der junge Mann steht alleine vor einer Gruppe von Polizisten, die sich hinter Helmen und Schilden verschanzen und die er mit seinen linkischen Steinwürfen nicht erreicht. Doch als die Gerichtsreporter das Beweismaterial sahen, das im Prozess gegen den schließlich zu acht Monaten Haft verurteilten Westberg vorgeführt wurde, glaubten sie dennoch zu verstehen, weshalb die Beamten schossen. Und weshalb der Staatsanwalt ihnen Notwehr zubilligte und die Voruntersuchung gegen die Schützen einstellte. Die Videoaufnahmen zeigten nämlich, dass Westberg nicht alleine war, sondern Teil einer Meute, die die in einen Hinterhalt geratenen Polizisten mit einem Geschosshagel eindeckte. "Eins, zwei, drei - Nazi-Polizei", klang es bedrohlich aus dem Hintergrund, während Westberg seine Pflastersteine warf.

Doch Reporter des schwedischen Fernsehens haben jetzt nachgewiesen, dass der vor Gericht vorgeführte Film manipuliert worden ist: Die vermummten Demonstranten waren mehrere Straßen entfernt gefilmt und ihre Bilder nachträglich in die Aufnahmen vom Tatort hineingeschnitten worden. In Wirklichkeit waren die meisten Demonstranten nach ersten Warnschüssen weggelaufen. Die Rufe von der "Nazi-Polizei" erschallten erst, als Minuten später der schwer verletzte Westberg von Sanitätern verarztet wurde. Im Film aber untermalen sie dessen Steinwürfe.

Göteborgs Polizei weist die Manipulationsvorwürfe zurück und behauptet, das Material in dieser Form vom Fernsehen kopiert zu haben. Die beiden führenden Sender SVT und TV 4 haben daraufhin ihr gesamtes Bildmaterial von den Krawallen überprüft und erklärt, dass von ihnen die umstrittenen Szenen nicht stammten. Nun ist das Filmmaterial ein Fall für den Staatsanwalt. "Äußerst unangenehm", nennt Ankläger Bengt Landahl die Vorwürfe. "Ich habe die Filmversion, die die Polizei vorlegte, nie in Frage gestellt. Künftig werde ich Videoaufnahmen kritischer begegnen." Der Staranwalt Leif Silbersky spricht von einem "erstrangigen Justizskandal", wenn es stimme, dass die Polizei Beweise verfälscht habe. Dem pflichtet auch Westbergs Anwalt Anders Munck bei, will aber gegen das Urteil dennoch nicht Berufung einlegen. "Ausschlaggebend dafür war sein Geständnis, nicht der Film." Westberg kam wegen seiner Verletzung - eine Niere musste amputiert werden - mit acht Monaten Haft im Vergleich zu anderen Verurteilten recht milde davon.

Anders Svensson vom Netzwerk "Göteborgaktion" fordert hingegen, sämtliche Verfahren gegen Beteiligte an den Unruhen neu aufzurollen. Es gebe keine Garantien dafür, dass die Filmbeweise, die den meisten Schuldsprüchen zu Grunde liegen, nicht auch manipuliert worden seien.

Copyright © Frankfurter Rundschau 2001
Erscheinungsdatum 30.11.2001