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2003-01-22

+Ketchup als Delikatesse+

*Innenansichten aus dem Berliner Knast Moabit*

von Rudolf Egelhofer / Berliner Solitreffen Göteborg

Die JVA Moabit ist einer der ältesten Knäste Deutschlands. Die baulichen Mängel bekommen die Gefangenen voll zu spüren, vor allem aufgrund der Überbelegung. Nicht selten wurden beispielsweise frühere Einzelzellen für zwei Personen umfunktioniert, die Toilette jedoch blieb weiterhin vom restlichen Teil der Zelle nicht abgetrennt. Teile der Anstalt stehen unter Denkmalschutz, in einigen Zellen gibt es noch Dielen.

2001

Die Haftbedinungen sind ansonsten auf den verschiedenen Stationen recht unterschiedlich. Auf Station 1 und 2 herrschen 23 Stunden Einschluss täglich, es gibt eine “Freistunde”, das heißt eine Stunde Hofgang im Kreis. Wer noch nicht mit dem Betäubungsmittelgesetz zusammengestoßen ist, kann auf Antrag nach Station 3 verlegt werden (womit die Anstalt indirekt einräumt, dass es dort möglich ist, an Betäubungsmittel zu kommen). Hier kann man sich um die sieben Stunden täglich im Haus frei bewegen.
An gute Bücher zu kommen ist schwer, die Bücherei hat einen sehr zufälligen Bestand, zusammengewürfelt aus Schenkungen von Altbeständen. Von draußen kann mensch sich Bücher und Tonträger nur über den Fachhandel schicken lassen (zum Teil soll es aber nette Leute beim Fachhandel geben ...).
Rationalität ist im Knast auf Rationierung heruntergekommen. Es ist die andere Seite der Dialektik der herrschenden Rationalität. Alle Gebrauchsgegenstände werden dem Gefangenen nur in bestimmtem Umfang zugewiesen. Wer von draußen oder durch Arbeit Geld auf seinem Konto bei der JVA hat, kann über den Gefangeneneinkauf Artikel bestellen, die bis zu 300 Prozent des durchschnittlichen Ladenpreises draußen erreichen. Ketchup findet sich auf der Bestellliste bei “Delikatessen”. Für die Beschaffung von “Luxusartikeln” hat der Knast andere Wege, über die Arbeitsstellen können sich einige Gefangene Sonder-Vergünstigungen schaffen. Eine Möglichkeit, von der auch nicht wenige SchließerInnen gerne Gebrauch machen. Gleichzeitig ist mehr Ineffizenz kaum vorstellbar. Alles, sogar Weißbrot, muss aufwendig beantragt werden, und die Behandlung jedes Antrages dauert. Die hämische Unterstellung dabei ist, dass dem Häftling ja alles andere abgehe als Zeit.
Das wohl Unangenehmste im Knast ist jedoch der Mangel an ertragbaren Mitgefangenen. Der Anteil an linken politischen Gefangenen ist prozentual gesehen verschwindend gering. Fast alle deutschen Häftlinge hegen stattdessen mehr oder – meistens: – minder unterschwellig rassistische, sexistische, antisemitische Resentiments mit fließendem Übergang zu faschistischer Ideologie. Die mangelnde Bildung der meisten, die zum Teil deutlich in Richtung Analphabetismus tendiert, liefert dafür offenbar die beste Grundlage. Ideologische, organisierte Neonazis gibt es in Moabit auch. Allerdings scheint es nicht, als hätte die “Hilfsgemeinschaft für nationale Gefangene” (HNG) dort ein funktionierendes Netzwerk etablieren können, wie etwa in Brandenburger Gefängnissen. Und auch die hier vorherrschende vulgärdarwinistische Karikatur der bürgerlichen Gesellschaft macht die geschlossene Männerwelt für emanzipatorisch orientierte Linke wenig attraktiv.