Ein Göteborg-Gefangener befindet sich seit fast drei Wochen im Hungerstreik; Weitere acht Gefangene traten in einen befristeten Solidaritätshungerstreik.
Der 32-jährige Göteborger E.I., der einer von über sechzig Personen ist, die in Zusammenhang mit den Ausschreitungen rund um den Göteborger EU-Gipfel Juni 2001 verurteilt wurden, befindet sich im Hungerstreik. Seit seinem Haftantritt am 22. Januar 2003 nimmt er keine Nahrung zu sich und hat in einem öffentlichen Brief angekündigt, dass sein Hungerstreik seine gesamte Zeit als "Gast des Strafvollzugwesens" andauern werde. Er wurde wegen schweren Landfriedensbruch zu sechs Monaten Haft verurteilt.
"Der Hungerstreik ist teils ein Protest dagegen, dass ich für etwas verurteilt wurde, was ich nicht getan habe bzw. haben kann, und teils ein Protest gegen den Systemfehler, der schon lange im schwedischen Rechtswesen steckt; den Systemfehler, der es ermöglichte, dass ich verurteilt wurde", begründet er seinen Hungerstreik.
I. wurde verurteilt, weil er am 15. Juni während der Ausschreitungen im Vasapark zwei Pflastersteine auf geparkte Polizeifahrzeuge geworfen haben soll. Seine Verurteilung beruht allein auf die Zeugenaussagen zweier Zivilpolizisten, die I. beschattet haben wollen und ihn später auch verhaften. Vor Gericht haben die beiden Beamten ihn mit ihren Aussagen schwer belastet. Der Verurteilte beteuert jedoch seine Unschuld.
Laut dem Schriftsteller Erik Wijk, der sich mit den Prozessen nach Göteborg beschäftigt und in Kontakt zu dem Hungerstreikenden befindet, weisen die Zeugenaussagen der beiden Polizisten Unstimmigkeiten auf. So sollen Personenbeschreibungen und chronologische Darstellungen nicht nur von einander abweichen, sondern in einigen Punkten im krassen Widerspruch zu einander stehen. I. sieht sich selbst als Opfer einer Verwechslung, da es mindestens drei weitere Personen im Vasapark gegeben haben soll, die dieselbe Eishockey-Jacke wie er getragen haben. Die Polizisten sagten aber aus, sie hätten I. seit kurz vor der angeblichen Tat bis zu dem Zeitpunkt, als sie ihn verhaftet haben, nicht aus den Augen gelassen.
I. berichtet, dass er mit seiner Fotokamera Aufnahmen gemacht habe bzw. von sich habe machen lassen, die hätten beweisen können, dass die Aussagen der Beamten unzutreffend wären. Doch bereits nach wenigen Tagen in Untersuchungshaft wurde ihm mitgeteilt, dass der Film in der beschlagnahmten Kamera schwarz sei. Für I. stellt es sich so dar, dass der Film nach seiner Verhaftung, also bei der Polizei, unbrauchbar gemacht wurde. Da er bis zu seiner Verhaftung abseits der Ereignisse und auf den Weg zu sich nach Hause nichts von der bevorstehenden Verhaftung ahnte, habe er somit auch keinen Anlass gehabt, die eventuell belastende Aufnahmen zu vernichten.
Erwähnenswert ist, dass die beiden Zivilpolizisten zu den fleißigsten Fahndern der Kriminalpolizei gehören müssen. Beide waren Hauptbelastungszeugen in vier Göteborgverfahren. In einem weiteren Verfahren brachte die Aussage eines der beiden sieben Dänen hinter Gittern, wobei das Gericht hier über Schwankungen in den Aussagen des Beamten bei unterschiedlichen Anlässen, wie viele Straftäter er denn nun ausgemacht habe, hinweg sah.
Diese beiden Beamten gehörten einer sechzehnköpfigen Aufklärungseinheit an, die während der Tage des Gipfels unter der Bezeichnung Romeo 11 fungierte und dessen Leiter Bertil Claesson war. Gegenüber der staatlichen Untersuchungskommission, die unter Leitung des ehemaligen Ministerpräsidenten Ingvar Carlsson die Göteborg-Ereignisse beleuchtet hat, hat Claesson ausgesagt, Beamte seiner Einheit sei stellenweise vermummt aufgetreten und haben auch Pflastersteine in den Händen gehalten.
I. befindet sich nun 20 Tage im Hungerstreik. Bedingt durch den Nahrungsmangel fühlt er sich ständig müde und leidet unter Kopfschmerzen. Die Leitung der Haftanstalt in Skänninge bei Linköping, in der I. einsitzt, verweigert ihm die Bitte um Brühwürfel, mit denen er die gesundheitlichen Schäden so gering wie möglich halten möchte. Bedingt durch seinen körperlichen Schwäche hat sich I. entschieden, die Arbeit im Gefängnis zu verweigern. Die Anstaltsleitung reagierte hier drauf mit Sanktionen und I. musste Donnerstag und Freitag fünf bzw. sieben Stunden in einer Einzelzelle verbringen. Er erhielt kein Wasser und laut einem Fernsehteam des Senders TV4, das über I. im Gefängnis berichtete, betrug die Raumtemperatur in dieser Zelle um die 10°C, da sich das Fenster nicht schließen ließ. Die Anstaltsleitung begründet dieses Vorgehen in einem Schreiben, das Wijk vorliegt, dass I.s Situation "selbst verschuldet" sei, da er "wie jeder andere Insasse jederzeit im Essenssaal seine Mahlzeit einnehmen könne." Die gesundheitliche Situation wird seitens der Leitung als nicht akut eingestuft. Der Versuch I.s, sich auf die Krankenliste stellen zu lassen, wurde von dem medizinischen Personal abgelehnt.
Zwischenzeitlich musste die Gefängnisleitung in Bezug auf die Sanktionen Fehler einräumen und verkündete, I. solle am Dienstag eine ärztlichen Untersuchung erhalten.
Von den zur Zeit vierzehn inhaftierten Personen, die im Zusammenhang mit den Göteborg-Ereignissen verurteilt wurden, traten am Samstag acht in einen auf einen Tag befristeten Hungerstreik. Viele von ihnen sitzen selbst auf Grund fraglicher Beweislage in Haft oder haben in Relation zur bisherigen schwedischen Rechtspraxis übermäßig harte Strafen erhalten. Sie wollten sich dadurch mit I. solidarisch zeigen und auf seinen Fall aufmerksam machen. "Wir haben keine speziellen Forderungen mit unserer Aktion, es ist eine reine Solidaritätsbekundung mit dem 32jährigen", sagt einer der acht Gefangenen. Auch am Samstag fand in Stockholm eine Solidaritätsdemo statt.
Nicht unerwähnt soll bleiben, dass die I. angelastete Tat, wenn sie denn so geschehen ist, wie die Zivilpolizisten ausgesagt haben, den derzeitigen Weltrekord im Kugelstoßen in den Schatten stellt. In einer von I.s Fall unabhängigen Untersuchung der schwedischen Polizei lag die weiteste Distanz, die ein Polizist und trainierter Handballspieler mit einem Göteborger Pflasterstein schaffte, immerhin mehr als sieben ein halb Meter hinter I.s angeblichen 25 Meter-Wurf. Ein früherer offener Brief I.s an den Schwedischen Leichtathletikverband, in dem er die gerichtlich konstatierten "Tatsachen" anführte und um Aufnahme in das Nationalteam bat, blieb bisher unbeantwortet.
Presse-Kontakt:
Erik Wijk
Tel: +46 - (0)730 633468
Email: erik.wijk@odata.se
Unterstützende Worte an E.I.:
Hungerstrejkaren
Solidaritetsgruppen c/o Syndikalistiskt Forum
Box 7267, S-402 35 Göteborg, Sweden
Email: solidaritetsgruppen@hotmail.com
von gipfelsoli infogruppe