Die Sicherheitsbehörden handeln heute weniger ideologisch, haben aber bessere technische Möglichkeiten, sagt der Anwalt Wolfgang Kaleck.
taz: Herr Kaleck, in Hamburg wurde eine Wohnung von G-8-Gegnern verwanzt. Handelt die Bundesanwaltschaft noch nach rechtstaatlichen Prinzipien?
Wolfgang Kaleck: Das ist problematisch, vermag ich aber wegen der fehlenden Aktenkenntnis nicht zu beurteilen. Als einzelne Maßnahme ist dies auch von untergeordneter Bedeutung. Denn das grundsätzliche Problem ist der Tatbestand des Paragrafen 129a des Strafgesetzbuchs, also Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, der nichts in einem rechtstaatlichen Strafrecht zu suchen hat. Dieser Paragraf gibt der Generalbundesanwaltschaft viele Kompetenzen, die diese exzessiv benutzt.
Können Sie das belegen?
Ich vertrete als Anwalt beispielsweise eine Videowerkstatt in Berlin, die im Mai 2007 ohne Durchsuchungsbefehl einfach nebenbei durchsucht wurde. Die letzte Woche bekannt gewordenen Durchsuchungen der Post von Tageszeitungen in Berlin ist ein weiteres Beispiel. In keinem dieser Fälle setzten sich Bundesanwaltschaft und Ermittlungsrichter mit dem Grundrecht der Pressefreiheit auseinander. Dabei muss man sich vor Augen halten, dass es sich hier um einzelne Brandanschläge handelt.
Einzelne? Es wurden über hundert Autos angezündet.
Aber es handelt sich immer noch um Sachbeschädigungen oder Brandstiftungen, für die das normale Strafgesetzbuch ausreichen sollte. Bisher gibt es keine überzeugenden Belege dafür, dass es eine von einem einheitlichen Willen gesteuerte “militante gruppe” wirklich gibt. Vielleicht zündeln da verschiedene Gruppen, eventuell sind Einzeltäter darunter, wir wissen es nicht. Dennoch hat sich die Bundesanwaltschaft das Konstrukt einer terroristischen Linksgruppierung zusammengebastelt und hält trotz der dürren Faktenlage daran fest.
Das Verwanzen der Wohnung ist die bisher letzte einer Reihe ungewöhnlich scheinender Maßnahmen. Vor dem G-8-Gipfel in Heiligendamm wurden von Kritikern Geruchsproben genommen, die Polizei durchsuchte die Post von Privatpersonen und Zeitungen, und zuletzt wurden für Ermittlungen gegen G-8-Kritiker auch noch Stasiakten herangezogen. Erleben wir einen Rückfall in repressive Zeiten?
Stasiakten wurden in den gesamten Neunzigerjahren in Ermittlungen verwendet, das hat bisher niemanden aufgeregt. In den Achtzigerjahren agierten die Sicherheitsbehörden sehr viel ideologischer als heute. Natürlich haben sich antilinke Ressentiments bei Polizei und Gerichten gehalten, aber heute gibt es Korrektive. Ein Fall wie der des Soziologen Andrej Holm, der von einem Gericht relativ schnell wieder freigelassen wurde, wäre in den Achtzigerjahren wohl anders ausgegangen.
Also gibt es keine neue Qualität bei den Maßnahmen der Bundesanwaltschaft?
Doch, die gibt es. Sie ist aber vor allem dadurch begründet, dass den Behörden immer mehr Überwachungstechnologien zugänglich gemacht worden sind: Peilsender an Autos, exzessive Überwachung von Telefonen und Mails. Die Kritik an der harten Gangart ist deshalb berechtigt, aber sie ist auch ein wenig bigott und sie kommt zu spät.
Was meinen Sie damit?
Die Linke wacht jetzt erschrocken auf, weil die staatlichen Maßnahmen sie selbst betreffen. Aber was derzeit passiert, geschieht bei den Ermittlungen gegen Drogendealer und die sogenannte organisierte Kriminalität schon seit Jahren. Dagegen haben sich linke Kritiker aber nie entschieden gewandt, sondern dem Ausbau des Sicherheitsapparates zugeschaut. Und der entfaltet gegenwärtig sein volles Potenzial.
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