Hier einige Beispiele von Aktionsformen, die bei vergangenen Protesten Anwendung gefunden haben.
Tute Bianche + Pink & Silver + Rebel Clowning + Sitzblockaden + Defencing
Tute Bianche
Ende der 90er Jahre enstand in den autonomen sozialen Zentren Italiens die Bewegung der Tute Bianche („Weisse Overalls“). Dieses Outfit war hier ein Symbol der „Unsichtbaren“, der prekär Beschäftigten, Erwerbslosen, Flüchtlinge, all derjenigen, die im Diskurs der herrschenden Politik -wenn überhaupt- nur als Probleme vorkamen und sich nun durch ihr ungehorsames Auftreten Sichtbarkeit im öffentlichen Bewußtsein verschafften. Die Tute Bianche besetzten Arbeitsämter, Ministerien und eine Vielzahl öffentlicher Einrichtungen mit der Forderung nach Existenzgeld und kostenloser sozialer Infrastruktur, nach der Unentgeltlichkeit des Lebens. Die schnell wachsenden Weissen Overalls blockierten mit ihren Körpern den Abtransport von Waffen in Kriegsgebiete, erreichten mit einer Mischung aus direkter Aktion und Öffentlichkeitsarbeit die Schließung von Abschiebelagern, tanzten aber auch zu elektronischer Musik durch die Städte. Ihr Ungehorsam sollte dabei nicht auf eine radikale Minderheit beschränkt bleiben, Ziel war vielmehr, die Idee des sozialen Konflikts in die Zivilgesellschaft zu tragen und dabei breite widerständige Konsense zu erreichen. Bei den Gipfelprotesten in Prag 2000 und Göteborg 2001 und im Vorfeld des G8- Gipfels in Genua erreichten sie ein Höchstmaß – oft sogar wohlwollender- medialer Aufmerksamkeit. Mit ihren – durch Polsterung und Schildern geschützten- Körpern durchbrachen sie die Ketten der Polizei, und dies ohne dabei auf den Einsatz von Waffen wie rosa Papierpanzern und Luftballons zu verzichten. In Genua zogen die Tute Bianche schließlich die Weissen Overalls aus, um sich in der breiteren Bewegung der Disobbedienti („Ungehorsame“) aufzulösen. Der Weiße Overall gehört damit allerdings nicht zwangsläufig der Geschichte an. So störte ein ebenso gekleideter „Arterial Block“ im November letzten Jahres das Gipfeltreffen der G20 im australischen Melbourne.
Pink & Silver
Die Aktionsform Pink & Silver trat in Anlehnung an die in den 90er Jahren in Nordamerika entstandenen Praxis des Radical Cheerleading erstmals bei den Protesten gegen den IWF/Weltbank – Gipfel in Prag 2000 auf. Beiden geht es darum, sowohl mit den etablierten Geschlechterrollen zu spielen und eine praktische Dekonstruktion von Geschlecht voranzutreiben, als auch durch eine subversive Aneignung von gewöhnlich nicht als radikal, sondern als „brav“ „unpolitisch“ und „weiblich“ konnotierten Symbolen wie z.B. rosa Röckchen für Verwirrung bei der Polizei und Interesse bei PasantInnen und Medien zu sorgen. Dabei fliessen Elemente von Reclaim the Streets (Aneignung, Rückeroberung der Straßen), Crossdressing, Queer-Bewegung, Sambagruppen und Kommunikationsguerilla (Umdeutung vorhandener Bilder und Zuschreibungen) ein. Die AktivistInnen kleiden sich in Röcke, Puschel und Glitter in Pink und Silber, üben Choreographien, Lieder und Sprüche ein und tanzen damit allein oder als Block einer größeren Demo oder Blockade durch Straßen, Kaufhaüser, Bürogebäude usw.. Pink & Silver ist dabei eine basisdemokrtische Aktionsform, Bezugsgruppen sowie vorher abgesprochene Handzeichen und Rufe sollen die gleichberechtigte Einbindung aller TeilnehmerInnen in eine schnelle Entscheidungsfindung gewährleisten. Pink & Silver stellt einen „Angriff“ auf die heterosexistische Kleider- und Benimmordnung dar, bricht mit etablierten Wahrnehmungen radikalen Protests, und bildet so eine für die Gegenseite recht schwer einschätzbare Ausdrucksform. Zugleich spielerisch und konfrontativ, laut, schnell, lustig, kraftvoll und irritierend, wird eine große Handlungsfähigkeit erhofft bzw. erreicht.
Rebel Clowning
Im November 2003 gründete sich zur „Feier“ des Besuchs von US- Präsident Bush in Großbritannien die Clandestine Insurgent Rebel Clown Army (CIRCA), die sich im Zuge der Mobilisierung für den G8-Gipfel im schottischen Gleneagles rasch ausbreitete und in verschiedenen Ländern neue „RekrutInnen“ fand. Ziel ist auch hier ein Aufbrechen vorhandener Deutungsmuster ungehorsamer Aktionsformen. Durch ihre mit „militärischer“ hierachiefreier Organsiation kombinierte Verkleidung und ihr Auftreten als Clowns können sich selbst knüppelerfahrene Polizisten manchmal ein irritiertes Lächeln kaum verkneifen; eine Diffamierung der Protestierenden und der skrupellose Einsatz von Polizeigewalt wird durch das ungewöhnliche und sympathische Auftreten der Clown Armee jedenfalls erstmal erschwert. „Lächerlich“ erscheinen dabei bei genauerem Hinsehen weniger die kreative theaterhaften Protestaktionen der CIRCA-AktivistInnen, als vielmehr die staatlichen „Sicherheitskräfte“, die ihr albernes militärische Getue schließlich ja sogar noch ernst nehmen...
Sitzblockaden
Sind dagegen eine eher traditionellere Form des zivilen Ungehorsams. In der BRD wurden sie in den letzten Jahren oftmals recht erfolgreich zur Blockade von Atomtransporten, Nazi- Aufmärschen oder Militäranlagen durchgeführt, auch bei Gipfeprotesten traten sie immer wieder in Erscheinung. Und die streikenden ArbeiterInnen von Bosh-Siemens in Berlin- Spandau verhinderten so den Abtransport ihrer Maschienen durch die Konzernleitung.
Durch bewußt deeskalierendes Auftreten soll vielen – auch weniger entschlossenen- Menschen die Teilnahme erleichtert, eine offensive Bewerbung und Verteidigung der Aktionen in einer breiteren Öffentlickeit ermöglicht und der politische Preis von Polizeigewalt in die Höhe getrieben werden. Und klar, wo du sitzt oder stehst, kann kein Atommüll, Nazi oder Gipfelteilnehmer sein. Wenn sich einzelne TeilnehmerInnen dazu z.B. noch anketten, dauert das Wegräumen eben entsprechend länger...
Defencing
Um ein ungestörtes Zusammentreffen der imperialen Eliten zu gewährleisten, müssen die GipfelteilnehmerInnen und das von ihnen benötigte Personal sich jedoch nicht nur den Weg dorthin von der Polizei freikämpfen lassen. Daneben verschanzen sie sich hinter Mauern und Zäunen um sich vor uns –der Bevölkerung – abzuschotten. Befestigungsanlagen, die nicht zufällig an jene erinnern, die die reichen Staaten in wachsendem Außmaß zur Abschottung gegen Flüchtlinge aus armen bzw. arm gemachten Regionen an ihren Außengrenzen und an ihren Lagern im Inneren errichten. Die Idee des Defencing, des Einreißens eben jener Zäune, die Reiche und Arme, Eingeladene und Ausgeschlossene voneinander trennen, breitete sich daher in der antirassistischen Bewegung und bei Gipfelprotesten aus: Bei den Aktionen der italienischen Disobbedienti, bei denen die Zäune um die dortigen Abschiebelager CPT von einer großen Menschenmasse schlichtweg abgebaut wurden, bei den Aktionstagen gegen Lager in Fürth 2003, als der Zaun des dortigen „Ausreisezentrums“ immerhin durchläuchert und die Tore geöffnet wurden, oder auf andere Weise bei der von Flüchtlingen gemeinsam organisierten Stürmung der Zäune von Ceuta an der Südgrenze der Festung Europa.
Auch die Zäune um die WTO- Konferenz im mexikanischen Cancún im Jahr 2004 hielten nicht lange. AktivistInnen befestigten mit Hacken mehrere große Seile an den Zäunen und hunderte AktionsteilnehmerInnen unterschiedlichster Herkunft und Hintergründe zogen gemeinsam an den Seilen, bis der Zaun fiel. Auch beim G8-Gipfel in Gleneagles 2005 ließen es sich TeilnehmerInnen der Großdemonstration zum Gipfelort nicht nehmen, Teile der Umzäunung zu beseitigen. Und der Zaun, der gerade für bescheidene 15 Mio. Euro um die rote Zone in Heiligendamm gebaut wurde, muss dort ja auch nicht unbedingt bleiben...
[http://www.blockaid.org/menschen.html]