rechtsinfos für video-aktivistInnen oder solche, die es werden wollen
In diesem Kapitel geht es um allgemeine Fragen, wie Video-AktivistInnen sich und ihre "Motive" rechtlich absichern können. Wie können linke Strukturen trotz Veröffentlichung von Bildern besser geschützt werden? Wie kann ein verantwortungsbewusster Umgang mit dem aufgenommenen Material aussehen?
Zu Beginn ein paar Fälle, in denen es für die Polizei von Interesse sein könnte, deine Demo-Aufnahmen zu bekommen:
Du hast Leute dabei gefilmt, wie sie ein Graffitti an eine Bank gesprüht haben. Das ist eine Straftat, und dein Video kann ein Beweis sein, um die TäterInnen zu überführen.
Aber auch in Situationen, in denen der Grund vielleicht auf den ersten Blick nicht deutlich ist, können deine Videoaufnahmen für die Polizei interessant sein:
Du hast Leute in einer Situation gefilmt, in der sie etwas Bestimmtes gesehen haben müssen; aufgrund deiner Bilder werden sie später von der Polizei als ZeugInnen vorgeladen.
Oder du hast Leute gefilmt, die bevor oder nachdem du sie gefilmt hast, etwas Rechtswidriges gemacht haben sollen, und die anhand von Merkmalen, die die Polizei vielleicht auch selber festgestellt hat, jetzt deutlich in einem bestimmten, sie belastenden Kontext angetroffen werden (z.B. mit diesen oder jenen Personen sprechend, einen Gegenstand fallen lassend, etc.)
Nur durch deine Video-Aufnahmen entdeckt die Polizei, dass es überhaupt eine Ordnungswidrigkeit (oder eine Straftat) gegeben hat; anhand von anderen Aufnahmen kann sie dann bestimmte Menschen dieser Ordnungswidrigkeit/Straftat zuordnen.
Der nachfolgende Artikel beschäftigt sich mit der Frage, wie linke Strukturen trotz der Veröffentlichung von Bildern besser geschützt werden können. Kann es einen verantwortungsbewussten Umgang mit dem aufgenommenen Material geben?
Wir haben uns mit einem Rechtanwalt über diese und andere Fragen unterhalten, und das Gespräch anhand der verschiedenen Themenbereiche zusammengefasst.
Wie kann mit strafrechtlich relevantem Material umgegangen werden, um einer Kriminalisierung vorzubeugen? In welchen Fällen ist eine Beschlagnahmung rechtmäßig?
Ein/e FotografIn oder Video-AktivistIn ist nie sicher vor Beschlagnahme und von daher immer eine Gefahr für Leute, die eine rechtswidrige Handlung begehen oder einer solchen verdächtigt werden. Aufgrund der fortgeschrittenen digitalisierten Technik ist jede Aufnahme auch eine potentielle Gefahr für Menschen, die in einer Situation sind, in der der Staat ihnen besondere Loyalität abverlangt (Einstellung in den öffentlichen Dienst; Einbürgerung u.ä.). Bilder, in die hineingezoomt werden kann, verletzen auch immer die Persönlichkeitsrechte von Leuten, die sich unerwartet am Rande von Aufnahmen wiederfinden. Es besteht ein grundsätzlicher Interessenskonflikt zwischen Video-AktivistInnen und DemonstrationsteilnehmerInnen, der politisch zu diskutieren ist. Einerseits sollten soziale Bewegungen Interesse an grösstmöglicher Öffentlichkeit haben. Andererseits tragen alle, die diese aufnehmen, möglicherweise zur perfekteren Überwachung und Registrierung und zur Bekämpfung dieser Bewegungen bei. "Sicherheit" ist etwas sehr Relatives und besteht für Menschen, die nicht gefilmt werden wollen, nur dann, wenn nicht gefilmt wird.
Zwar ist die Pressefreiheit im Grundgesetz geschützt und Beiträge und Materialien für den redaktionellen Teil von Medien oder für redaktionell aufbereitete Informationsdienste sind beschlagnahmefrei. Personen, die berufsmässig an Medien mitwirken, sind berechtigt, das Zeugnis über InformantInnen, die Herkunft und den Inhalt von Wahrnehmungen zu verweigern (was auch für Aufzeichnungen von eigenen Wahrnehmungen gilt). Die Rechtsbegriffe sind dabei umstritten und in einer konkreten Situation, in der etwa PolizeibeamtInnen die Herausgabe von Materialien einfordern, oft schwer zu klären. Für die "berufsmässige Mitwirkung" z.B. soll es einerseits nicht auf die Gewinnerzielungsabsicht ankommen, sondern es soll hinreichend sein, dass etwa eine nebenberufliche Tätigkeit in der Absicht dauernder oder doch wiederkehrender Beschäftigung erfolgt; andererseits reicht angeblich "ein Beitrag hin und wieder" nicht aus, so dass davon ausgegangen werden sollte, dass die Materialien von "normaler VideoaktivistIn" nicht beschlagnahmefrei sind und "strafrechtlich relevantes Material" selbstverständlich an die Strafverfolgungsbehörden herausgegeben werden muss, VideoaktivistIn sich u.U. sogar strafbar machen kann, wenn sie/er es wissentlich zurückhält oder vernichtet.
Wer Material aufnimmt, muss nach den Erfahrungen der letzten 20 Jahre damit rechnen, dass Material an die Polizei abgegeben werden muss, egal, ob Presse-Ausweis als Nachweis der Berufsmässigkeit vorhanden ist oder nicht. Schon zu Beweissicherungsmassnahmen können alle Aufnahmen von VideoaktivistInnen von der Polizei beschlagnahmt werden.
Wenn nicht "Gefahr im Verzug" besteht, ist eine strafrechtliche Beschlagnahme zwar nur aufgrund eines richterlichen Beschlusses zulässig. "Gefahr im Verzug" besteht nach einiger Rechtsprechung allerdings schon dann, wenn es für einen richterlichen Beschluss "zu lange" dauern würde.
VideoaktivistIn kann nicht nur mit einer "strafrechtlichen", sondern auch mit einer "polizeirechtlichen" Beschlagnahmesituation konfrontiert sein. Das heisst dann: "Durchsuchung (der Person)", "Durchsuchung (der von der Person mitgeführten Sachen)" und "Sicherstellung (nach dem Polizeigesetz)". Ob die Grundrechte auf Versammlungsfreiheit und das Grundrecht auf Pressefreiheit "polizeifest" sind, ist unter Juristen - leider - umstritten.
Wichtig ist: nie etwas "freiwillig" herausgeben oder auf einem Beschlagnahmeprotokoll "freiwillig" ankreuzen lassen! Nur dann können (hinterher) durch Rechtsanwälte (im Folgenden RAe) Rechtsmittel eingelegt werden und es kann gerichtlich überprüft werden, ob die Beschlagnahme oder die polizeirechtliche Massnahme zulässig und rechtmässig war. Stellt sich die Unzulässigkeit einer strafrechtlichen Beschlagnahme heraus, dann darf das beschlagnahmt gewesene Beweismittel im Strafverfahren nicht verwertet werden.
Ausserdem sollte VideoaktivistIn vom Recht zu Schweigen Gebrauch machen, das gegenüber der Polizei sowohl für Beschuldigte als auch für Zeugen gilt, also sich zu etwaigen Inhalten von Materialien (die meistens ja noch gar nicht bekannt sein können) und auch sonst NICHT äussern. Nur die eigenen Personalien ist mensch verpflichtet anzugeben, zu denen die "Berufsangabe" (am einfachsten: Presse-Ausweis vorlegen) gehören kann (aber z.B. nicht der "Auftraggeber" gehören sollte).
Die Polizei muss Protokoll Teil A (darin werden die Personalien aufgenommen) und Protokoll Teil B (darin werden die beschlagnahmten Gegenstände aufgeführt) aushändigen. Ausserdem können Dienstnummern erfragt werden.
Natürlich ist es immer gut, Zeugen für die Massnahme, der mensch ausgesetzt wird, zu haben.
Es ist möglich, die Versiegelung der beschlagnahmten Gegenstände zu beantragen (umstritten), dann kann die Entsiegelung i.d.R. nur später im Beisein bestimmter Amtsträger erfolgen und auch RA hat Anwesenheitsrecht.
Schliesslich kann mensch auch nachfragen, ob Kopien beschlagnahmter Materialien gemacht werden können, wie es z.B. bei Hausdurchsuchungen und der Beschlagnahme von Unterlagen der Fall sein sollte.
Kann beschlagnahmtes Material, nachdem ich es zurückbekommen habe, überhaupt noch veröffentlicht werden?
In der Regel ja. Vorsichtshalber sollte mensch die Frage mit dem RA erörtern, der das Rechtsmittelverfahren gegen die Beschlagnahme geführt hat.
Im übrigen: Wenn es niemandes Recht ungerechtfertigt verletzt, d.h., wenn - was eigentlich bei jeder Veröffentlichung zu bedenken ist - auch keine sonstigen zivilrechtlichen Bedenken entgegenstehen.
Kann die Polizei verlangen, dass Aufnahmen vor Ort gelöscht werden?
Rein praktisch, ja. Rechtlich abgesichert ist das eigentlich nur, wenn es um "Portraitaufnahmen" von PolizeibeamtInnen geht. Die polizeirechtlichen und strafrechtlichen Beschlagnahme- und Durchsuchungs-/Sicherstellungsregeln sehen ein Löschen nicht vor, so dass im Hinblick hierauf auch keine "Verhältnismässigkeitsüberlegungen" angezeigt sind.
Wenn mensch nicht einer längeren Polizeisituation ausgesetzt sein will, kann es einfacher sein, darauf einzugehen.
Portraitaufnahmen
Das Gesetz, um das es hier geht, ist das Kunsturhebergesetz, §§ 22 (Recht am eigenen Bild) und 23 (Ausnahmen davon). Alle Menschen haben das Recht auf das eigene Bild (Portrait), ausser es handelt sich um Personen der Zeitgeschichte oder mensch nimmt Teil an öffentlichen Versammlungen oder es besteht ein öffentliches Interesse an den Aufnahmen. Dieses öffentliche Interesse besteht z.B., wenn rechtswidrige Handlungen stattfinden. Im Gesetzestext steht, dass Portraitaufnahmen zwar angefertigt, aber nicht veröffentlicht werden dürfen. Wenn die Polizei also sieht, dass du PolizistInnen filmst und sie ausserdem den Eindruck hat, du würdest sie veröffentlichen, kann das ein Grund für sie sein, dein Tape zu beschlagnahmen. In der Regel ist die Beschlagnahme von Videoaufnahmen aus diesem Grund zwar rechtswidrig, weil ja nur das Veröffentlichen strafbar ist. Aber da auf Internet-Foren manchmal Portraitaufnahmen von PolizistInnen veröffentlicht werden, kann die Polizei das möglicherweise als Argument benutzen.
Vielleicht besteht ein öffentliches Interesse an deinen Aufnahmen. Das kann z.B. der Fall sein, wenn die Polizei rechtswidrige Tätigkeiten ausübt (Kessel, Knüppeln, etc.). Dann erlaubt das Presse-Privileg, die PolizistInnen dabei zu filmen, auch im Portrait. Aber: das Kunsturhebergesetz besagt, dass es verboten ist, Portraitaufnahmen von Menschen ohne deren Einwilligung zu veröffentlichen. Wenn die Polizei also der Meinung ist, sie habe gar keine rechtswidrigen Tätigkeiten ausgeübt, kann sie das Videomaterial beschlagnahmen mit dem Hinweis auf das Verbot von Portraitaufnahmen.
Wenn ein Videotape mit der Begründung herausgegeben werden soll, man habe Polizeibeamte in Zivil gefilmt, sollte man dem, sofern wahrheitsgemäss, entgegenstellen, man habe nicht die Beamten, sondern DemonstrationsteilnehmerInnen gefilmt.
Alle diese Argumente zu einer Verteidigung gegen eine drohende Beschlagnahme können besser und überlegter in einer späteren Auseinandersetzung über die Frage der Zulässigkeit der Beschlagnahme angebracht werden.
Welche Rechte hat der/die Video-AktivistIn gegenüber der Staatsmacht?
Die Strafprozessordnung sieht vor, dass es für JournalistInnen ein Zeugnisverweigerungsrecht gibt, wenn er/sie seine InformantInnen aufdecken soll; dies gilt auch für Inhalte von Materialien, auch für selbstrecherchiertes Material (s.o.).
Wer als JournalistIn eine Ladung zur Vernehmung als Zeuge bekommt oder - was in dem Bereich von Printmedien häufiger ist- ein Anschreiben mit bestimmten Fragen, die beantwortet werden sollen, sollte auf keinen Fall etwas ohne anwaltliche Beratung unternehmen. Häufig steckt hinter diesen Zeugenvorladungen ein Strafverfahren, dass sich gegen die JournalistIn selbst, die unter Pseudonym veröffentlicht hat, richtet. Als Zeuge musst du auf eine Ladung / ein Anschreiben der Polizei nicht reagieren, auch wenn sich die "Rechtsbelehrung" auf diesen Schreiben bedrohlich anhört. Erst ein Staatsanwalt oder Richter kann Zeugen zur Aussage zwingen (und z.B. in Beugehaft nehmen lassen, wenn die Aussage weiter ungerechtfertigt verweigert wird).
Die Materialien berufsmässiger Journalisten sind von Gesetzes wegen beschlagnahmefrei (s.o.).
Gegen Beschlagnahmen, Durchsuchungen, Sicherstellungen, d.h. gegen alle polizeilichen und strafrechtlichen Massnahmen sind Rechtsmittel zulässig, die mit einem RA beraten werden sollten, möglichst bald nach der Massnahme.
Sofern mensch Beschuldigter eines Strafverfahrens ist, sollte sowieso klar sein, dass mensch von seinem Recht zu Schweigen Gebrauch macht, jedenfalls mindestens so lange bis ein RA des Vertrauens ggf. das Gegenteil rät.
Welche Rechte gibt es bei einer Einkesselung etc., wenn Pressearbeit gemacht wird?
Berufmässige Video-AktivistInnen (d.h. der Einfachheit halber, wer einen Presse-Ausweis hat) sollte die Polizei nicht an der Ausübung des Berufs, der ja zugleich auch Grundrechtsausübung ist, hindern. Die Grenzen, die die Polizei setzen kann, müssen immer wieder neu praktisch und juristisch ausgelotet werden; die Polizei wird jeweils alles untersagen wollen, was ihren Einsatz aus ihrer Sicht behindert. Dies wird häufig unrechtmässig sein - was erst hinterher auf juristischem Weg festgestellt werden kann.
Ohne Presse-Ausweis (bzw. gleichwertigen Nachweis der "Berufsmässigkeit" der Medientätigkeit) gibt es in der Praxis keine anderen Rechte als die, die jede/r DemonstrationsteilnehmerIn hat. Allerdings ist auch die einmalige Tätigkeit für Medien schon grundrechtlich geschützt, so dass du, wenn du einen RA einschalten möchtest, ggf. hinterher feststellen lassen kannst, ob eine polizeiliche Massnahme gegen Dich wegen des Grundrechtseingriffes rechtswidrig gewesen ist.
Wie werden Videos in Strafprozessen verwendet?
Wenn Videomaterial in Strafprozessen benutzt wird, muss die Authentizität der Aufnahmen bewiesen sein, am besten mit einer persönlichen Erklärung von FotografIn oder FilmerIn, dass die Aufnahmen von ihm/ihr sind, und dass sie ungeschnitten und auch ansonsten unmanipuliert sind. Sonst kann das Material nicht verwertet werden, wenn die Verteidigung sich auf dieses Argument stützt. Im Ermittlungsverfahren werden aber immer wieder auch Aufnahmen unbekannter Herkunft (meist TV-Aufnahmen oder von TV-Sendern oder Journalisten zur Verfügung gestellte oder sonst wie an die Polizei gelangte Aufnahmen) sehr wohl verwertet, z.B. auch um U-Haft zu begründen.
copyright und copyleft - Das Urheberrecht
Mit dem Urheberrecht bekommen VideoaktivistInnen in mehrfacher Hinsicht zu tun. Wenn Videos mit Musik unterlegt werden, muss, je nachdem, wo und wie sie veröffentlicht werden sollen (d.h.: fast immer!) darauf geachtet werden, dass die Musik nicht GEMA-geschützt ist oder es müssen entsprechende Anmeldungen erfolgen und Lizenzgelder an die GEMA gezahlt werden.
Die GEMA ist ein Verein, der sich um die finanziellen Interessen von KünstlerInnen kümmert und bei jeder Verwertung für diese Geld kassieren darf. Das betrifft vor allem VeranstalterInnen von Konzerten, und zwar nicht nur in grossen Hallen, sondern z.B. auch in Jugendzentren oder Kneipen. Weiterhin trifft es die MacherInnen von Radiosendungen, aber eben auch Video-AktivistInnen.
Das Urheberrecht kommt auch zum Tragen, wenn ein Video nach der Veröffentlichung von andern geklaut wird und z.B. in einem kommerziellen Zusammenhang verwendet wird. Das Werk ist - allein aufgrund seiner Existenz - urheberrechtlich geschützt. Urheber (und die Inhaber der Nutzungsrechte, z.B. das Projekt, dass das Video veröffentlicht) können verschiedene Ansprüche auf Unterlassung, Beseitigung, Auskunft, Schadensersatz und Nennung als Urheber bzw. Inhaber von Rechten geltend machen. Dabei ist es unproblematisch, ob jemand unter einem Pseudonym oder Kunstnamen arbeitet oder unter dem/den richtigen Namen. In Streitfällen muss mensch aber die Urheberschaft bzw. die Rechte-Inhaberschaft beweisen können. Das kann kompliziert werden, wenn das Material vieler Leute zusammengeschnitten wird und einem Projekt zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt wird und kann, wenn nicht eine Vielzahl von Informationen rekonstruierbar oder schriftlich (am besten: vertraglich) dokumentiert ist, dazu führen, dass kommerziell geklaut werden kann, ohne dass mensch sich dagegen wehren kann.
Wenn Copyright egal ist, kann mit der Creative Common License gearbeitet werden. Die CCL sieht vor, dass das Werk auch von anderen benutzt werden kann, solange es nicht kommerziell verwendet wird. Missbrauch ist möglich, z.B. durch die Verwendung von Szenen in Musikvideos, und vor allem dann, wenn diese auch unter Creative Commons vertrieben werden.
trojan tv, August 2005 (alle Rechte bleiben beim Autor, nur nichtkommerzielle Verwendung gestattet)
entnommen: http://www.videoactivism.de/rechtliches.html