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Domino im HinterlandFreitag 9. März 2007 "TECHNISCHE SPERRE" Das Ostseebad Heiligendamm wird eingezäunt - zum Schutz der "Großen Acht" Heiligendamm, die weiße Stadt am Meer, liegt im Nebel, doch wir bleiben nicht unbemerkt, als wir in der Nähe des Hotels Kempinski parken. Das Berliner Kennzeichen sorgt umgehend für polizeiliche Zuwendung. Als wir aussteigen und uns der Nobelherberge nähern, klappt die Tür eines Streifenwagens. Wir sollten uns ausweisen, verlangt ein Beamter. Presseausweise überzeugen ihn nicht, im Gegenteil - es wird telefoniert mit der Einsatzzentrale der BAO Kavala. BAO steht für Besondere Aufbauorganisation. Glücklicherweise haben wir uns zuvor bei der Pressestelle der BAO angemeldet und dürfen schließlich weiter, müssen aber in großem Bogen jenes Hotel umrunden, das in drei Monaten Tagungsort des G-8-Gipfels sein soll. In Reih´ und Glied Am Strand von Heiligendamm sind an diesem feuchtkühlen Märztag kaum Urlauber unterwegs. Drei einheimische Angler ziehen zur Seebrücke. Sie werfen ihre Ruten nach Scholle und Dorsch. Zum Gipfel - kein Kommentar. Die ständige Fragerei aller Durchreisenden gehe ihnen auf die Nerven. Dem Management im Kempinski offenbar auch, zwei Interviewanfragen stoßen ins Leere. Vielleicht, weil gerade der Direktor ausgetauscht wurde und Gerüchte kursieren über eine mögliche Insolvenz des Hauses. Von einer Mitarbeiterin ist wenigstens zu hören, die Polizeipräsenz, wohin man auch schaue, wirke nicht einladend und verschrecke die Gäste. Kurz vor Heiligendamm lässt sich im Wald schon ein Stück des berühmten Zaunes in Augenschein nehmen. Laut Polizei eine "technische Sperre": Zwölf Kilometer lang, zwölf Millionen Euro teuer und in jeder Hinsicht ein eindrucksvoller Schutzwall. Die Fundamente, Betonklötze mit einem Gewicht von einer Tonne, ziehen sich wie Dominosteine (in Reih und Glied) durchs Hinterland des Gipfels. Vom 30. Mai bis zum 9. Juni wird es keine direkte Straßenverbindung mehr geben von Bad Doberan nach Kühlungsborn. Und nach Heiligendamm darf nur noch, wer dort wohnt oder arbeitet - mit einem Passierschein. Der Zaun erregt die Gemüter, nicht nur wegen der hohen Kosten. Andererseits bescheren Weltereignisse auch Wohltaten. In Kühlungsborn lädt die restaurierte Strandpromenade zum Flanieren, es gibt ein neues Parkhaus, das Internationale Pressezentrum wird noch errichtet. Die Veranstalter rechnen mit 6.000 Journalisten. Für sie wird sogar ein eigener Bahnhof gebaut. Die Ostsee-Kleinbahn Molli wird während des Gipfels ausschließlich für die Presse zwischen Kühlungsborn und Heiligendamm verkehren. Für den öffentlichen Verkehr ist die touristische Attraktion dann tabu. Dabei wird das amerikanische Pressekorps wahrscheinlich gar nicht in Kühlungsborn, sondern in Rostock Quartier nehmen. Auch die Japaner suchen sich einen anderen Ort. Dezente Unterschiede im Medientross. Bei Kerzenschein Die Einheimischen schwanken zwischen Unbehagen und Lokalpatriotismus. Rainer Karl, seit sechs Jahren Bürgermeister in Kühlungsborn, reagiert auf dieses Wechselbad der Gefühle mit Zweckoptimismus und topografischem Realitätssinn: "Mir ist vor allem wichtig, dass der Gipfel eine nachhaltige Wirkung hat und die Menschen wiederkommen." Möglichen Protesten sieht er gelassen entgegen. "Die Straßen von Kühlungsborn sind doch viel zu schmal für Demonstrationszüge. Und wenn was passiert, dann passiert es eben." Seine Mitbürger sehen das um mehr als einen Hauch dramatischer. Gerüchte jagen durch den Ort. Baden in der Ostsee sei während des Gipfels verboten, schon das Betreten des Strandes nicht erlaubt. Man befürchtet, von der Protestwelle überrollt zu werden, sollten die Gipfel-Gegner wirklich bis zu 100.000 Demonstranten aufbieten. Die im Gegenzug avisierten 16.000 Polizisten erscheinen vielen wie der sichere Weg zur offenen Feldschlacht. Auf keinen Fall! - beteuert die Polizei und veranstaltet Bürgerversammlungen, in Kühlungsborn sogar bei Kerzenschein im Saal eines Ferienhotels. Knut Abramowski steht am Mikrofon. Er wird den Polizeieinsatz während des G-8-Gipfels leiten, eigentlich ist er der Chef der hiesigen Polizeidirektion. Einer von hier, das soll mindestens ebenso Vertrauen einflößen wie das Versprechen, während des Gipfels könnten gewiss Urlaubsgäste empfangen werden, gäbe es selbstverständlich regulären Schulunterricht, sei das Baden in der Ostsee natürlich erlaubt - "nach bisherigem Kenntnisstand". Dann schockiert Abramowski seine Mitbürger: "Die Gefahr eines terroristischen Anschlags ist nicht auszuschließen. Durch die Demonstrationen kann es zu Sachbeschädigungen kommen." Spätestens bei der Bemerkung, der Zaun um Heiligendamm würde Tausende von Demonstranten kaum aufhalten, dürften sich nicht nur etliche der Zuhörer nach dem Sinn des teuren Bollwerks gefragt, sondern auch überlegt haben: Welches Szenario erwartet die Polizei tatsächlich? Nach der Versammlung gehen die Menschen schnell und still auseinander. Wie auf der Flucht. Pastor Albrecht Jax vom Doberaner Münster kennt das verbreitete Unbehagen aus seiner Gemeinde und verachtet das Getöse um den Gipfel. Es gäbe viel zu viel Sprachlosigkeit, trotz ständiger Treffen zwischen Polizei und Gipfel-Gegnern. Beide redeten über die Köpfe der Menschen hinweg. Als Kirche sei man in Kontakt mit dem Polizeiseelsorger wie auch den Protestgruppen und habe "ein eigenes Gipfelkonzept". Und das bedeute, man wolle in den entscheidenden Tagen nicht nur Gottesdienste abhalten, sondern vor allem die Gotteshäuser offen halten - als (Asyl-) und Schutzort. "Wir schulen unsere Pastoren in Sachen Deeskalation und bilden sie als Notfallseelsorger aus. Das ist das, was wir leisten können." Auf dem Rückweg steigen wir noch einmal am Zaun aus. Gerade wird Stacheldraht ausgerollt. Ein Polizeiwagen treibt wie aus dem Nichts heran. Wieder Kontrolle, wieder Aufnahme der Personalien. Es ist beruhigend, auf dem Rückweg nach Berlin zu sein. Tim Herden |
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