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Das unheimliche Bild vom unberechenbaren GlobalisierungskritikerFreitag 8. März 2007 VOR DEM GIPFELSTURM AN DER OSTSEE: Mecklenburg-Vorpommern will nicht nur die G 8-Delegationen, sondern genauso die Protestierer aus aller Welt als Gäste empfangen Anfang Juni soll der diesjährige G 8-Gipfel - das Treffen von Staats- und Regierungschefs der USA, Kanadas, Japans, Großbritanniens, Frankreichs, Italiens, Deutschlands und Russlands - in Heiligendamm an der mecklenburgischen Ostseeküste über die Bühne gehen. Die Vorbereitungen werden mit einem gigantischen Aufwand betrieben, allein zwölf Millionen Euro kostet ein Sicherheitszaun, um die Staatsgäste hermetisch abzuschirmen und jeden Gipfel-Protest von ihnen fernzuhalten. “Eine neuartige planetarische Zivilgesellschaft erhebt sich aus den Trümmern des Nationalstaats. Sie organisiert den Widerstand. Sie setzt sich aus den mannigfaltigsten Fronten der Verweigerung zusammen. Diese Kämpfe lassen eine ungeheure Erwartung lebendig werden.” “Guten Tag, ich möchte mal fragen, warum man gegen G 8 sein soll.” Der junge Mann ist die paar Stufen von der Straße aus heruntergekommen in den Infoladen, der eben eröffnet wurde. Die Presseleute sind schon gegangen, vier freiwillige Betreuer trinken Tee. Den Raum im Souterrain hat das “Rostocker Bündnis gegen G 8″ bis zum Juni vom stadtbekannten Öko-Haus bekommen, das gut eingerichtet ist mit Versammlungsräumen, Büros, einem Laden, Kindergarten, Kompost-Klo, Restaurant. An diesem Treffpunkt sollen sich Rostocker Bürger authentische Informationen über den Protest holen, während sie im Kiosk der Stadtbehörden offizielle G 8-Informationen bekommen. Am Geländer, das zur Straße hochführt, wehen Peace-Fahnen und Transparente. Mecklenburger beantworten Fragen nicht unbedingt auf der Stelle. Sie horchen den Fragen nach. Lohnt die Antwort? Der Besucher bekommt ein paar Blätter von Attac, er liest, bald steht ein Becher Tee vor ihm. Geredet wird noch nichts. Er blickt auf, und seine Fragen werden spezifischer: Was habt ihr gegen den freien Markt? Sind nicht die Menschen in ihrer Trägheit selbst schuld daran, dass so Vieles im Argen liegt? Alle haben doch - wenigstens bei uns in der Demokratie - die gleichen Chancen! Die schöne Ines schaut ihn skeptisch an, sie räumt weiter Plakate und Broschüren in die Regale und lässt von der Seite einige Sätze über die geballte Macht der G 8 fallen. Sie glaubt dem Besucher, dass ihn diese Fragen wirklich beschäftigen. Monty Schädel, der einen Laptop für das Büro einrichtet, erklärt dem Gast, dass es einen Berg von Gründen gegen den G 8-Gipfel gibt und unzählige Gruppen jeweils ihr Motiv hätten, es gehe um Krieg und Frieden, Finanzspekulation, Migration und neue Sklavenarbeit, Hunger und industrielle Landwirtschaft, Unterdrückung der Frauen, Klimawandel und vieles andere. Tatsächlich zeichnet sich für den Juni ein unglaublich großes, vielfältiges Bündnis ab, das möglich ist, weil allen der innere Zusammenhang dieser Anliegen erkennbar bleibt. Anlässe für Distanzierungen könnten höchstens gegensätzliche Vorstellungen von Protest sein: die friedliche Massendemo einerseits und Blockaden oder Sabotageaktionen kleiner Gruppen andererseits. Früher war das regelmäßig Stoff für Ausgrenzung, Verachtung und Denunziation. Doch bei den heutigen politischen Konflikten, die immer internationaler und auch darum so vielfältig geworden sind, scheint der Druck zu schwinden, sich von anderen Strömungen messerscharf abzugrenzen. Jede Gruppe verantwortet ihre Losungen, ihren Einsatz, ihre Methode. Alle Beteiligten beschwören bis jetzt die gegenseitige Akzeptanz. Es kann für die Bewegungen von unten, die durch Teilungen und Trennungen so leicht zu schwächen sind, eine produktive Übung sein. Das Handy von Monty Schädel klingelt oft, seine Auskünfte gibt er leise und rasch. Er ist Bundesgeschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft/Vereinigte Kriegsgegner (DFG/VK), in Rostock zu Hause und dort einer der Hauptorganisatoren. Er hat die Demonstrationen und Versammlungen für die Zeit des G 8-Gipfels schon vor einem Jahr polizeilich angemeldet, als noch kaum jemand an diese Notwendigkeit dachte. Bei ihm laufen viele Fäden zusammen, eine Rolle, die er ohne besondere Pose wahrnimmt. “Von diesem bescheidenen Büro aus soll der Protest der 100.000 organisiert werden? Ob das klappt?” Die Frage stellt leise und besorgt ein anderer Gast. Aber das Eigentümliche an diesem zivilen Protest ist: Er hat kein Zentrum, auf Grund der Vernetzung aber konnte man sich längst auf einen Protest-Fahrplan einigen. Niemand weiß freilich, wie viele Anfang Juni dann tatsächlich nach Mecklenburg-Vorpommern aufbrechen. Sie werden einzeln, in Gruppen, auch in Sonderzügen kommen. Die Zahl 100.000 steht als magische Größe im Raum. Sie gründet nicht auf Anmeldungen, man kann sie nicht einmal eine Schätzung nennen, sie leitet sich von Beobachtungen ab - je nach Perspektive - als böse Ahnung oder als Hoffnung. 2001 protestierten in Genua 250.000. Es folgten zwei völlig abgeschottete G 8-Treffen in Kanada und in den USA. 2005 zählte man in Schottland 225.000 Demonstranten. 2006 war der Gipfel von St. Petersburg wiederum kategorisch abgeriegelt. Seither hat die Kritik an den USA und ihren Verbündeten nur immer mehr zugenommen. Die flache Sandküste im dünn besiedelten Mecklenburg scheint offen dazuliegen und zu warten. An der Ostsee ist zwar immer wieder zu hören, man wolle nicht nur die G 8-Delegationen, sondern genauso die Protestierer aus aller Welt “als Gäste empfangen”. Doch das unheimliche Bild vom unbekannten, unberechenbaren Globalisierungskritiker verunsichert. Angst entsteht zwangsläufig durch die bereits spürbaren Sicherheitsvorkehrungen, durch die dunklen Vermutungen über Sperrzonen und unklare Befugnisse. Die Medien tun das Ihre, indem sie ständig nach Zeichen bevorstehender Gewalt suchen. So gibt es einen Stau bei den Vorbereitungen: Die geforderten Flächen für selbstverwaltete Zeltplätze sind bisher nicht genehmigt. Die “Camp AG” verhandelt für die Protestler mit der Polizei und den Gemeinden, sie lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, sondern weist selbstbewusst auf ihr demokratisches Recht zum Protest hin. Wenn die Behörden tatsächlich eine Infrastruktur verhindern sollten, um die erwarteten Hunderttausend unterzubringen, dann - so sagen die Leute vom Rostocker Bündnis - werden diese Behörden und Zuständigen ein Problem haben: Die Massen werden kommen, ob mit oder ohne Zeltplatz, sie werden einfach da sein und sich ihre eigenen Wege suchen. Marina Achenbach Außerdem Fahrrad- und andere Karawanen aus ganz Europa, Samba-Bands, Grönemeyer-Konzert in Rostock, Gottesdienste. Es gibt lange Listen von Internet-Adressen für Informationen. Heute hier nur die vom Rostocker Bündnis: www.heiligendamm2007.org |
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