Spiegel online 09. Februar 2007
Von Björn Hengst , Heiligendamm
Mit gigantischem Aufwand rüstet sich Heiligendamm für den G-8-Gipfel im Juni, allein elf Millionen Euro verschlingt der Sicherheitszaun zum Schutz der Staatsgäste. Für drei Tage soll der Ort zum Nabel der Welt werden - dabei haben ihn schon viele Einwohner enttäuscht verlassen.
Heiligendamm - Sie haben in Heiligendamm schon einen Begriff für die Leute, die jetzt wie Pilger zu den Orten fahren, an denen die Betonblöcke in den Boden gerammt und die ersten Stahlgitter aufgerichtet werden. "Zauntouristen", sagt die Polizei und rechnet damit, dass es bald noch mehr werden, viel mehr sogar.
Es sind Leute wie das Paar, das seinen Skoda auf dem Parkplatz an der Galopprennbahn abstellt und kurz die Straßenseite wechselt, um Fotos zu machen von der Sperranlage. "Komm, Heinz, noch eine Nahaufnahme", sagt die Frau, dann schauen die beiden noch, wie sich die dunklen Pfeiler Hunderte Meter bergab entlang der Nadelbäume ziehen, und fahren wieder.
Heiligendamm: Vorbereitungen für den G-8-Gipfel
Vor ein paar Tagen haben die Bauarbeiten begonnen, im Mai soll alles fertig sein. Dann wird sich das Bollwerk rund zwölf Kilometer über Äcker, Wiesen und durch Gehölz von Heiligendamm und Umgebung fressen, um für drei Tage die mächtigsten Personen der Welt zu schützen: Vom 6. bis 8. Juni treffen sich die Staats- und Regierungschefs der acht größten Industrienationen (G8) zu ihrem Gipfel in dem Ostseebad.
US-Präsident George W. Bush, Bundeskanzlerin Angela Merkel und die übrigen Gäste sollen von dem Schutzwall und dem angekündigten Protest nicht viel spüren, bis zu 100.000 demonstrierende Globalisierungskritiker erwartet die Polizei - deshalb ist der Zaun selbst an der dichtesten Stelle zum Tagungsort mindestens einen Kilometer vom Grand Hotel Heiligendamm entfernt.
Dort ist es auch dieser Tage ruhig, man hört nur die Brandung der Ostsee und manchmal das Pfeifen der Dampflok "Molli", die mit Touristen von Kühlungsborn nach Bad Doberan zuckelt und auch in Heiligendamm hält. Viele Urlauber kommen in dieser Jahreszeit nicht hierher. "Der Februar ist der schwierigste Monat", sagt Gerhard Butze, der eine schwarze Wollmütze gegen den scharfen Wind aufgezogen hat.
Sein kleines Bistro an der Strandpromenade ist deshalb im Moment geschlossen, aber vielleicht öffnet der 56-Jährige doch früher als geplant: "Kommen ja schon einige Neugierige, die sehen wollen, wo sich demnächst die Mächtigen versammeln", sagt Butze. Er könnte also ein gutes Geschäft machen, wie im vergangenen Jahr, als US-Präsident George W. Bush nach seinem Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel in Stralsund schon einmal in Heiligendamm übernachtete. "Da waren ja viele Sicherheitsleute hier", sagt Butze. Seine Schnitzel gingen damals weg wie nichts.
Strahlendes Luxushotel neben verlassenen Villen
Es ist eine merkwürdige Stimmung in Heiligendamm, einem Ortsteil der Kleinstadt Bad Doberan. Ein bisschen gespenstisch. Da strahlt dieses klassizistische Luxushotel in so reinem Weiß vor dem flachen Sandstrand und nur ein paar Meter weiter wird die Promenade von verlassenen Villen aus dem 19. Jahrhundert gesäumt. In vielen Rahmen fehlen die Fenster, der Putz bröckelt von den schmuddeligen Badehäusern, die nach dem Willen der Investorengruppe Fundus irgendwann auch den Gästen zur Verfügung stehen sollen. Dabei läuft es schon jetzt schlecht: Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass die HypoVereinsbank einen Millionkredit für das Hotel gekündigt hat. Die Auslastung der Luxusherberge, in der die "Orangery Suite" bis zu 895 Euro kostet, liegt unter den Erwartungen.
"Hier hätte vieles anders laufen können", sagt Butze - aber was genau, das will er nicht sagen. Nur, dass sich ständig Leute über den jämmerlichen Zustand der vor sich hingammelnden Villen beklagen. Und dass schon viele Bewohner weggezogen seien aus diesem immer lebloseren Ort. Er selbst ist auch gegangen, obwohl er fast 25 Jahre hier war. Heute kommt er nur noch zur Arbeit. Immerhin, sein Pachtvertrag wurde verlängert. "Ist ja meine Existenz", sagt Butze. War nicht selbstverständlich, dass es weitergeht, erst kürzlich hat eines der wenigen Cafés geschlossen. Es wird aber auch gebaut. Ein Thalasso-Bad soll entstehen, ab Sommer ein vergrößerter Golfplatz im benachbarten Wittenbeck mehr Gäste anziehen.
Ein hüfthoher Zaun versperrt in Heiligendamm schon jetzt den Weg von der Promenade zu den Villen. Der hat aber nichts mit dem Gipfel zu tun, den wollten die Investoren, um Neugierige von den betuchten Urlaubern fernzuhalten. Manche macht das zornig, Bürger haben sich in der Initiative "Pro Heiligendamm" zusammengeschlossen. Sie wünschen sich eine "entspannte und tolerante Atmosphäre" und fordern im Internet, dass das "ästhetische Flair des Ortes" weiter für alle Gäste "erlebbar" bleibt. In den Augen vieler ist Heiligendamm aber kein Ort mehr für alle Bürger, sondern ein exklusives "Wohlstands-Ghetto".
Manche wettern nun auch gegen den Sicherheitsaufwand für den G-8-Gipfel. Viel zu teuer, sagen die einen. Ausgerechnet im klammen Mecklenburg-Vorpommern, sagen die anderen, aber Butze ist da Realist. "Ist doch klar, dass die Politiker geschützt werden müssen", sagt er.
Rund 100 Millionen Euro wird der G-8-Gipfel kosten - und weil bei Ereignissen der Superlative geeicht, gemessen, gezählt und gewogen wird, was sich Eichen, Messen, Zählen und Wiegen lässt, weiß man inzwischen auch, dass rund 16.000 Polizeibeamte im Einsatz sein werden, der Sicherheitszaun rund elf Millionen Euro kosten wird, seine Betonfundamente 900 Kilo wiegen und die Anlage 2,50 Meter hoch ist.
Die Polizei hat inzwischen damit begonnen, Bürger in Heiligendamm und Umgebung über die Einschränkungen wegen des G-8-Gipfels zu informieren. Am Dienstagabend sitzen rund 100 Frauen und Männer in der Wittenbecker Kneipe "Nasse Ecke". Es ist wie ein groß angelegter Nachbarschaftstreff, sie schlürfen dunkles Bier, rühren im Kaffee, plaudern über dies und das oder gucken zu, wie Polizeihauptkommissar Ingolf Dinse seinen Computer startet.
"Mount the barricades!"
Dinse spricht von eingeschränktem öffentlichen Leben, von "Fahrzeugdurchlasskontrollstellen", von Kollegen, "die rechtzeitig in der Tiefe tätig werden" und projiziert Übersichten aus seinem Rechner auf die Leinwand: Ein Schaubild zur "Gefährdungslage", eins zu den "Sperrgebieten im Seegebiet", vor allem das zum "Vandalismus" interessiert die Bürger. Es sei mit "erheblichem Demonstrationsgeschehen" zu rechnen, man könne nicht ausschließen, dass Demonstranten "durchsickern" würden, sagt Dinse, schickt aber Worte hinterher, die beruhigen sollen: "Wir werden hier so viel Polizei haben, wie Sie es noch nie gesehen haben."
Bei einigen bleiben die Sorgen. Wie verhindert werde, dass ihnen Demonstranten reihenweise in den Vorgarten pinkeln, wollen sie wissen. Ob man ihnen ein Feuerwehrauto zur Seite stellen könne, damit ihr Reetdach nicht in Flammen aufgeht, wenn Globalisierungskritiker auf komische Ideen kommen. Man werde alles im Griff haben, sagt Dinse, seine Kollegen würde gewalttätige Demonstranten schnell ausfindig machen. Er spricht von "Identitätsfeststellung".
"Das muss er jetzt ja sagen", meint eine Frau und schaut skeptisch. Als die Leute nach Hause gehen, wartet am Ausgang Monty Schädel mit einem Papierstapel auf die Wittendecker, es ist ein Info-Blatt der Globalisierungsgegner zum G-8-Gipfel. Schädel gehört zu den Organisatoren der Demonstrationen und ist Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft. "Ein paar Informationen der G-8-Gegner gefällig", fragt er einen Rentner. Er sei kein G-8-Gegner, blafft der zurück.
"Eine Zeitung für den Herrn", fragt Schädel einen anderen mit reduzierter Eigen-PR. "Kann man ja mal mit nach Hause nehmen", sagt dieser und klemmt sie sich unter den Arm. Gleich auf der ersten Seite steht in fetten Buchstaben: "Mount the barricades!"