Ostseezeitung 10. Februar 2007
Der G8-Gipfel in Heiligendamm rückt näher. Während im Seebad der Zaun gebaut wird, sammelt sich der Widerstand.
Rostock (OZ) Es war eine illustre Gruppe, die sich am Donnerstagabend im Saal der Rostocker Kindertagesstätte „Waldemarhof“ zusammengefunden hatte. Ergraute Herren, Spontis mit Pudelmütze, Ökos in selbstgestrickten Pullovern – insgesamt rund 70 Personen. Sie alle wollen mitmachen: gegen den Weltwirtschaftsgipfel G8. Attac, das international agierende Netzwerk der Globalisierungsgegner, hatte zur Gründung einer Regionalgruppe aufgerufen.
„Rechtzeitig zum nahenden Einfall der neoliberalen Speerspitze in unsere Region“, hieß es kämpferisch in der Einladung, „dem G8-Gipfel Heiligendamm, nimmt die globalisierungskritische Bewegung in unserer Stadt Form an.“ Es habe andere Bewegungen gegeben, die die Gesellschaft veränderten, verkündete der eigens aus Regensburg angereiste Weltwirtschafts-Kritiker Harald Klimenta (38): die Arbeiterbewegung, die Frauenbewegung, die Anti-Atombewegung. Im roten Hemd, die spärlichen Haare zu einem Zöpfchen gebunden, klärte der promovierte Physiker über unbestreitbare Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte auf. Er sprach vom Raubbau an Natur und Umwelt, dem Elend in Entwicklungsländern, der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich.
Attac, mit rund 17 000 Mitglieder in Deutschland, ist eine der großen Organisationen, die mitmischen wollen, wenn die Mächtigen der Welt vom 6. bis 8. Juni in Heiligendamm beraten. „Wir wollen die Massen mobilisieren“, erklärt der Rostocker Attac-Gründer Jan-Eric Susemihl (41), von Beruf Schlosser. Es gehe um Aufklärung, Infostände, Demonstrationen. „Was genau, müssen wir noch bereden.“
Auch anderswo im Land sammeln sich die Aktivisten. Unter dem Dach des „Rostocker Bündnisses“ treffen sich etwa 40 verschiedene Vereinigungen, darunter Arbeitslosenverbände, Grüne, Linkspartei, Gewerkschaften und Kirchen. Ver.di (bundesweit 2,7 Millionen Mitglieder) trifft sich am 23./24. Februar zu einer Klausurtagung, um Formen von Protest zu besprechen, so der Rostocker Bezirksvorsitzende Peter Geitmann (49). Die evangelischen Kirchengemeinden sind aufgerufen, am 6. Juni um 18 Uhr acht Minuten lang die Glocken zu läuten. Sie laden zu einer „Andacht für Gerechtigkeit“. In der für den 2. Juni geplanten Großdemonstration gegen den Gipfel ist auch ein „kirchlicher Block“ vorgesehen.
„Am 5. Juni eröffnen wir den Alternativ-Gipfel“, kündigt „Rostocker-Bündnis“-Sprecher Monty Schädel (37) an. Etwa 100 Workshops sind in Rostock geplant, zu Themen wie „Weltordnung/Krieg“, „Armut/Gerechtigkeit“, „Migration/Rassismus“. „Zu jedem Podium erwarten wir bis zu 400 Teilnehmer“, sagt Koordinatorin Sibylle Gundert-Hock (50) vom Eine-Welt-Netzwerk Rostock. Auch Ehrengäste sind geladen: die alternative Nobelpreisträgerin Wangari Mathai, der brasilianische Befreiungstheologe Leonardo Boff, der Psychoanalytiker Horst Eberhard Richter. Eher „biedere Promis“, wie Richard von Weizsäcker, habe sie nicht auf der Liste, so die Koordinatorin.
Schon am Flughafen Laage wollen Kritiker die Politiker gebührend begrüßen: Mit einem „Antimilitaristischen Empfang“, wie Schädel wissen lässt. Voraussichtlich werde es zu „Blockaden“ kommen. Im Rostocker Stadthafen sollen derweil Politik und Kleinkunst stattfinden.
Gewalt erteilen Attac und „Rostocker Bündnis“ bislang eine deutliche Absage. Für den berüchtigten „Schwarzen Block“ und andere gewaltbereite Gruppen könne man aber nicht sprechen. Gewalt, so war auf dem Treffen in Rostock zu hören, könne ja auch von Polizisten kommen. „Menschen müssen das Recht haben, sich zu wehren“, forderte ein junger Mann mit schwarzer Pudelmütze. „Von Attac geht keine Gewalt aus“, versicherte Susemihl. „Wir werden aber keinen verurteilen, der Gewalt ausübt.“
MARCUS STÖCKLIN