Silke Studzinsky
Vorbemerkung
0. Strukturwandel: Verdacht
Seit einigen Jahren ist ein struktureller Wandel in der Verbrechensbekämpfung zu beobachten.
Das was von Polizeien seit langem gefordert wird, schlägt sich in der Realpolitik nieder:
Es geht nicht mehr nur darum, Straftaten, die geschehen sind aufzuklären, sondern polizeiliche Arbeit und damit auch Kompetenz richtet sich zunehmend in den Bereich, in dem vermutlich künftig Straftaten geplant und begangen werden könnten, durch die die "Sicherheit" bedroht sein könnte.
Die Polizei verlagert ihre Aktivität sowohl auf internationale als auch auf regionaler Ebene auf Informationsgewinnung im Vorfeld.
Beim sogenannten "Community Policing" , bei dem das tragende Element die Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern ist bei gleichzeitiger Erhöhung der Kontrolle und des Einflusses zur Befriedung eines stark geförderten und ausgeprägten Sicherheitsbedürfnisses. Dieses Konzept ergänzt kleinteilig auf unterer Ebene die auf der anderen Seite voran getriebenen europäischen und internationalen Strategieentwicklungen zur Bekämpfung der transnationalen Kriminalität.
Beides setzt bei der umfassenden Konstruktion des Verdachts an.
Danach stellen die tatsächlich begangenen Straftaten nur die Spitze des Eisberges dar. Dahinter stehen das Verborgene, was die Straftaten erst ermöglicht und in das sie eingebettet sind. Das können die zahlreichen "Parallelgesellschaften" sein, die "Schläfer", die "Hintermänner", die es zu beobachten, zu erforschen, zu kontrollieren gilt.
Gegenstand von Überwachung und Kontrolle sind dann ganz legale Strukturen und Verhaltensweisen, die unter Verdacht geraten.
Die dafür notwendige Aufrüstung des Sicherheitsapparates, sowohl auf technischer Ebene als auch die zunehmend grenzenlose Ausweitung von Kompetenzen und Gesetzesverschärfungen wird mit der Notwendigkeit, Sicherheit zu gewährleisten begründet und gerechtfertigt.
Das Sicherheitsbedürfnis wird emotional und medienwirksam geweckt, ohne daß es mit einer tatsächlichen Gefahrenlage korrespondiert. Der gesellschaftliche Widerstand oder auch nur Protest gegen die schon im Vorfeld- und Verdachtsbereich notwendige Kontrolle, Beobachtung und Überwachung ist dementsprechend gering.
Um erst gar nicht unter Verdacht zu geraten ist ein möglichst unauffälliges Verhalten notwendig, was zu einer Selbstkontrolle und Anpassung sowohl in den nach außen getragenen Handlungen als auch im Denken führt. Nur noch die Konformität kann Menschen davor bewahren unter Verdacht zu geraten.
Noch mehr Daten für noch mehr Behörden
1. Die diesjährige Fußballweltmeisterschaft wurde zum Generaltest für polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit.
Die Kontroll-und Überwachunsgmaßnahmen im Vorfeld und die repressiven Maßnahmen während der WM sind der bisherige Höhepunkt der praktischen europäischen polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit. Der Einsatz kleiner Aufklärungs- und Interventionsteams, der sich schon bei Anlässen wie dem 1. Mai in Berlin aus Sicht der Polizei bewährt hat und die Befugnis ausländischer PolizistInnen in Deutschland z.B. auch Festnahmen zu tätigen, geht Hand in Hand mit der Präsenz ausländischer StaatsanwältInnen und RichterInnen.
Die Außerkraftsetzung des Schengener Abkommens ermöglichte Ein- und Ausreisekontrollen in großem Umfang. Dies wird kombiniert mit den Ausreiseverboten, von denen immer mehr europäische Staaten Gebrauch machen und die dazu erforderlichen Daten untereinander austauschen.
Die Erfahrungen bei diesem Massenereignis lassen sich mühelos auf künftige politische Widerstandsaktionen bei Gipfeln übertragen. Dabei ist es auch zu einem Praxistest der bilateralen Zusammenarbeit mit Drittstaaten gekommen. So hat z.B. die Schweiz zur WM Sicherheitskräfte entsandt, Daten und Informationen ausgetauscht, z.B. für Entscheide zur Einreiseverweigerung und Hooligans begleitet und beobachtet. Zu diesem Zweck wurden bilaterale Absichtserklärungen unterzeichnet, in denen die Zusammenarbeit für die Zeit vor und während der WM gesondert geregelt wurde über die bereits existierenden bilateralen Verträge zur polizeilichen Zusammenarbeit hinaus.
Die Europäische Kommission legte zuletzt im Haager Programm von 2004 in einem Fünf-Jahres-Plan (von 2005 - 2010) die grundlegenden Strategien für eine engere EU-weite Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres fest. Die Bewertung der Fortschritte für 2005 liegt vor.
Gleichzeitig wird regelmäßig das Schengener Durchführungsübereinkommen "verbessert", ergänzt und vor allem erweitert.
Ein Kernthema des Europäischen Rates ist die Erweiterung und Effizienz der europäischen Datenbanken und die polizeiliche länderübergreifende Kooperation.
Zielrichtung ist zum einen die Abschottung der EU-Außengrenzen und die Verhinderung der Einreise von Flüchtlingen, aber genauso die intensivere Zusammenarbeit gegen Kriminalität im Inneren der EU, wozu auch die Einrichtung von gemeinsamen Ermittlungsgruppen, grenzüberschreitenden Einsätzen und gemeinsamen Strategieplanungen gehört. Dabei ist der möglichst grenzenlose Datenfluß zwischen den nationalen Polizeibehörden und auf europäischer Ebene einer der wichtigsten Voraussetzungen und Bestandteil der Kooperation.
2. Welche europäischen Instrumente existieren bzw. sind in Planung?
2.1. Schengener Informationssystem (SIS) , das Herz des Schengener Durchführungsabkommens
*elektronisches polizeiliches Fahndungssystem
*es besteht rund um die Uhr Zugriff auf die gespeicherten Daten. Es ist vorrangig von Interpol zu benutzen, allerdings inzwischen auf Betreiben Deutschlands auch für EUROPOL zugänglich
*Die nationalen Ansprechpartner sind die jeweiligen Sirene- Stellen, in Deutschland das BKA.
Gem. Art. 46 SDÜ- Generalklausel - Grundlage für den polizeilichen Austausch und die Zusammenarbeit
Danach ist jede Vertragspartei berechtigt einer anderen Vertragspartei Informationen mitzuteilen, die zur Unterstützung bei der Bekämpfung zukünftiger Straftaten, zur Verhütung einer Straftat oder zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich sind.
Das bedeutet bereits jetzt eine präventive Verbrechensbekämpfung, bei der nur noch der - frei definierbare- Verdacht maßgeblich ist.
Was wird gespeichert?
* Personen zum Zwecke der Festnahme mit dem Ziel der Auslieferung; hier findet sich in Art 94 eine abschließende Aufzählung der aufzunehmenden Daten, wie Name, Aliasname, Geburtsdatum und Ort, unveränderliche physische Merkmale, Geschlecht personenbezogene Hinweise "bewaffnet/gewalttätig", Ausschreibungsgrund und zu ergreifende Maßnahme.
* Drittausländer wg. Einreiseverweigerung wg. begangener Straftaten oder künftig geplanter Straftaten.
* Aufenthaltsermittlungen von Angeklagten und Zeugen
* Sachen, wie KfZ, Waffen, Blankos, die zur Sicherstellung oder Beweissicherung gesucht werden
* Außerdem können Personen und Fahrzeuge zur verdeckten Registrierung oder zur gezielten Kontrolle ausgeschrieben werden Die so erhobenen Daten, z.B. über Umstände des Antreffens, Kontakt- und Begleitpersonen, mitgeführte Gegenstände etc. werden an die ausschreibende Stelle übermittelt
Zusätzlich kann jede Vertragspartei in ihrem nationalen Datensystem Ergänzungen vornehmen.
Betroffene können bei der für sie zuständigen Sirenestelle (in Deutschland das BKA) (theoretisch) Auskunft über die zu ihrer Person gespeicherten Daten verlangen. (Art.109 SDÜ) Die Auskunft unterbleibt bei der verdeckten Ausschreibung und wenn dies zur Durchführung der Aufgaben unerlässlich ist.
Art. 47 regelt den Einsatz von Verbindungsbeamten und eröffnet den Abschluß bilateraler Abkommen
Der Einsatz von Verbindungsbeamten - auch über die Schengenstaaten hinaus ist ein erfolgreiches Konzept. Sie arbeiten mit EUROPOL eng zusammen und erledigen deren Anfragen. Sie haben einen präventiven und repressiven Auftrag. Über sie läuft auch der Austausch von Daten.
Neben den Regelungen im SIS über polizeiliche grenzüberschreitende Zusammenarbeit gibt es bilaterale Abkommen, in denen teilweise der Schengenstandard und die technische und praktische Zusammenarbeit in den Grenzregionen konkretisiert ist, teilweise aber auch über den Schengenstandard hinausgeht. Mit Österreich besteht z.B. schon ein gegenseitiger DNA Abgleich.
2.2. Der Vertrag von Prüm
Einzelne bilaterale Abkommen werden demnächst abgelöst vom Prümer Vertrag. Belgien, Deutschland, Spanien, Frankreich, die Niederlande, Luxemburg und Österreich haben am 27.Mai 2005 einen multilateralen Vertrag über die Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus, der grenzüberschreitenden Kriminalität und der illegalen Migration unterzeichnet, der bisherige bilaterale Vereinbarungen ersetzt.
Mit dem Prümer Vertrag erreicht die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit in Europa eine neue Qualität. Derzeit befindet sich der Vertrag noch im Ratifizierungsprozess. Es ist jedoch davon auszugehen, daß rechtzeitig zum G 8 Gipfel 2007 die Ratifizierung abgeschlossen ist. Am 4.7.2006 erklärte der italienische Innenminister Amato die Absicht des italienischen Beitritts zum Vertrag von Prüm. Finnland hat ebenfalls seine Beitrittsabsicht geäußert.
Mit diesem Vertrag wird nun der während des G 8 Gipfels in Genua 2001 praktizierte Datenaustausch einschließlich der Übermittlung von "schwarzen Listen" legalisiert.
Daten können nun spontan oder auf Anfrage ausgetauscht werden.
Ziel der Unterzeichnerstaaten ist es, auch die übrigen EU-Staaten dafür zu gewinnen, diesem Vertrag beizutreten. Nach einer Evaluierung sollen die Regelungen dieses vereinfachten Informationsaustausches für die gesamte EU eingebracht werden.
Eine wesentliche Neuerung ist. daß sich die beteiligten Staaten untereinander bestimmte Zugriffsrechte auf DNA- und Fingerabdruckdateien sowie Fahrzeugregister gewähren.
Zu einigen Regelungen im Einzelnen:
* Zur Verfolgung von Straftaten kann jeder künftig durch einen direkten Zugriff auf die DNA- und Fingerabdruckdateien der anderen Staaten feststellen, ob dort zu einer DNA-Spur oder einem Fingerabdruck Daten gespeichert sind. Kommt es zu einem Treffer, übermitteln die Staaten einander in einem zweiten Schritt die Daten der gesuchten Person (z. B. den Namen, die Adresse und weitere Informationen).
* Im Falle der Fingerabdruckdateien ist ein solcher Zugriff auch zur Verhinderung von Straftaten zulässig.
* Zur Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten und zur Gefahrenabwehr kann außerdem jeder dieser Staaten in Zukunft Daten aus den Fahrzeugregistern der anderen Staaten direkt Online abrufen.
* Austausch von Informationen zu präventiven Zwecken über reisende Gewalttäter und Hooligans (z.B. vor Fußballspielen, Europäischen Räten und anderen internationalen Gipfeltreffen).
* Zur Verhinderung terroristischer Straftaten können (personenbezogene) Informationen über sog. "terroristische Gefährder" übermittelt werden; der Einsatz von Flugsicherheitsbegleitern ist vorgesehen.
* Als Maßnahmen zur Bekämpfung der illegalen Migration sind der Einsatz von Dokumentenberatern und die gegenseitige Unterstützung bei Rückführungen vorgesehen.
* Zur Intensivierung der polizeilichen Zusammenarbeit ermöglicht der Vertrag gemeinsame Einsatzformen zur Gefahrenabwehr (z.B. gemeinsame Streifen), grenzüberschreitendes Eingreifen zur Gefahrenabwehr bei gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben und Hilfeleistung bei Großereignissen und Katastrophen (auch durch Entsendung von Beamten, Spezialisten und Beratern). Ferner konkretisiert er die bisher bereits nach den Schengener Regelungen mögliche Zusammenarbeit der Polizeibehörden auf Ersuchen.
2.3. Geplanter Rahmenbeschluss zur Verbesserung der polizeilichen Zusammenarbeit
Dieser Beschlussvorschlag vom 19.7.2005 regelt die strukturelle Koordinierung, den Informationsaustausch, die praktische Zusammenarbeit und gemeinsames Vorgehen bei der Durchführung operativer Tätigkeiten zwischen Polizei und Zollbehörden.
2.4. Geplanter EU-Rahmenbeschluss zum Datenaustausch
Im Oktober 2005 legte die EU-Kommission dem Rat einen Vorschlag für einen Rahmenbeschluss vor. Danach sollen künftig die Behörden eines Mitgliedsstaates grundsätzlich alle in einem anderen Mitgliedsstaat verfügbaren und zur Verhütung, Aufdeckung und Untersuchung von Straftaten notwendigen Informationen erhalten. Die Suche soll weitgehend automatisiert erfolgen.
2.5. Geplanter Rahmenbeschluss über den Austausch von Informationen und zwischen den Strafverfolgungsbehörden
Dieser geplante Rahmenbeschluss soll den Austausch zwischen Strafverfolgungsbehörden fördern und erleichtern. Danach geht es vor allem um eine Beschleunigung der Erkenntnisübermittlung, die sowohl spontan und eigeninitiativ erfolgen kann als auch auf Anfrage. Betroffen sind "alle Arten von Informationen oder Angaben, die bei den Strafverfolgungsbehörden und privaten Stellen vorhanden sind, soweit bei letzteren keine Zwangsmaßnahmen zu ihrer Gewinnung erforderlich sind. Zwar ist in der Einleitung (5) der Anwendungsbereich auf "schwere Straftaten" und "terroristische Handlungen" bezogen, jedoch im Rahmenbeschluss selbst findet sich keinerlei Beschränkung. Dort ist allgemein die Rede vom Austausch zur Aufdeckung, Verhütung oder Aufklärung von Straftaten.
2.6. Zusammenarbeit mit Drittstaaten
Je nach definiertem "Sicherheitsbedarf" wird auch ohne gesetzliche Grundlage mit Drittstaaten zusammengearbeitet, wie sich am Beispiel der USA gezeigt hat.
Erst im nachhinein wurde versucht, die polizeiliche Zusammenarbeit auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen, und sie so zu legitimieren.
2.7. Eurodac
Fingerabdruckdatenbank, die seit 15.1.2003 in Betrieb genommen wurde und den sogenannten Asylmissbrauch aufdecken soll, registriert nun die Fingerabdrücke sämtlicher Asylantragsteller ab 14 Jahre, aber auch aller illegal angetroffenen Personen in der EU und Norwegen und Irland und aller illegal einreisenden Personen.
Dieses Informationssystem wird von der Europäischen Kommission verwaltet. Jährlich werden fast eine Œ Millionen Fingerabdrücke in diesem System abgeglichen. Dabei wurden (mit steigender Tendenz) im Jahre 2004 13 % Doppelantragstellungen festgestellt.
2.8. VIS = Informationssystem für den Austausch von Visumsdaten als 3. Säule neben SIS und Eurodac
Hier werden biometrische Daten aller Visumsantragsteller gespeichert werden, um "Visa-shopping" zu vermeiden. Eine Eingliederung in SIS hat begonnen. Dies setzt eine Einführung von biometrischen Daten auf Visa voraus. Sämtliche Polizei und Grenzbehörden und auch Asyl-und Einwanderungsbehörden werden dann durch online Zugriff auf das Informationssystem die Identität des Visumsantragstellers mit der kontrollierten Person überprüfen können. Eine enge Zusammenarbeit und ein Datenaustausch mit den Konsularbehörden gehören ebenso dazu.
Der Zugriff soll auch erweitert werden für die Behörden, die für die "innere Sicherheit" zuständig sind "zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung und Aufklärung von Straftaten".
Zur Dimension: Im Jahre 2007 wird mit 20 Millionen Visumsanträgen von Einreisenden in die EU gerechnet.
Die AktivistInnen, die aus visumspflichtigen Ländern einreisen unterliegen damit einer zusätzlichen Einreiseschranke und Speicherung ihrer Daten.
Der geplante erweiterte Zugriff auf VIS und Eurodac Daten bedeutet, daß bereits im Falle eines Verdachts auf eine erhebliche Straftat (dabei wird der Katalog der Straftaten aus dem EU-Haftbefehl zugrunde gelegt) auf Daten von Menschen zugegriffen wird, die lediglich dort gespeichert sind, weil sie der Visumspflicht unterliegen und in die EU einreisen. Dies kommt einer zunehmend totalen Erfassung gleich.
Daran ändert sich auch nichts, selbst wenn der Rat feststellt, daß aus Gründen der Verhältnismäßigkeit "nur zu Präventions- und Ermittlungszwecken bei schweren oder terroristischen Straftaten zugegriffen werden sollte".
2.9. SIS II
Mit der Erweiterung der EU wird auch die größte polizeiliche Datenbank Europas erweitert. Weil das Schengener Informationssystem (SIS) technisch nur für 18 Mitgliedsstaaten ausgelegt und zudem technisch überholt sei, soll im Jahr 2007 SIS II in Funktion treten. Geplant war eigentlich bereits der Beginn in 2006, wurde aber erneut verschoben und wahrscheinlich ist vor 2008 nicht mit dem Start von SIS II zu rechnen.
Das neue Schengener Informationssystem SIS II soll für "polizeiliche Informationszwecke im weitesten Sinne" genutzt werden, aber noch ist vieles ungeklärt, nicht zuletzt natürlich der Datenschutz
SIS II soll nicht mehr "nur" als Informationssystem dienen, sondern auch als Ermittlungssystem.
Nach dem 11. 9. 2001 wuchsen allerorten die Begehrlichkeiten nach mehr Überwachung und weniger Datenschutz. Auch in der EU versuchte die Kommission, die Gelegenheit zu nutzen, das bereits länger geplante neue SIS entsprechend auszuweiten. Und wie auch anderen Orts geht es nicht nur um die Bekämpfung des Terrorismus, sondern neue Befugnisse sollen auch auf andere Zielgruppen Anwendung finden. Bislang enthält SIS mehr als 13 Millionen Datensätze, darunter fast 900.000 über Personen, die gesucht werden, sowie fast 800.000 Hinweise auf Personen, die nicht einreisen dürfen.
Neben einer Terroristendatenbank sollen auch Daten über Menschen eingegeben werden, die den Schengen-Raum nicht verlassen dürfen, die als Unruhestifter gelten oder als politische Aktivisten aufgefallen sind. Zudem sollen neue Daten wie biometrische Merkmale, Lichtbilder und Fingerabdrücke, nebst DNA Abgleich, einbezogen werden, eine Verbindung zu anderen Datenbanken hergestellt werden und mehr Behörden, einschließlich Kraftfahrzeugregistrierungsstellen, EUROPOL, EUROJUST und Geheimdienste, Zugriff erhalten - auch zu anderen Zwecken als denjenigen, für die sie erhoben wurden. Auch bei Ermittlungen im Rahmen des Europäischen Haftbefehls soll SIS II eingesetzt werden.
Erwogen wird zudem die Öffnung von SIS II für nichtstaatliche Organisationen wie Kreditinstitute.
SIS II ist keine einfache Datenbank mehr wie SIS.
Dennoch findet die Entwicklung und Entscheidung über SIS II weitgehend hinter verschlossenen Türen statt. Transparenz und eine demokratische Beteiligung ist nicht vorgesehen.
Eine öffentliche Diskussion ist umso wichtiger, weil SIS grundlegend verändert und für "polizeiliche Informationszwecke im weitesten Sinne" eingesetzt werden soll.
Die Kontrolle ist nicht mehr gewährleistet. Bereits jetzt mangelt es den Kontrolleuren an Information und Mitteln. Sie sind eingesetzt von den Justiz- und Innenministern und folglich nicht autonom.
Wenden sich BürgerInnen an die Kontrollinstanz, können ihnen kurzerhand die Auskünfte verweigert werden, "sofern die Aufgabenerfüllung dadurch gefährdet wird".
Eine gerichtliche Kontrolle für die Betroffenen ist nicht vorgesehen.
2.10. INPOL-Neu und die europäische Dimension
Das System INPOL-Neu , in der Version 4 in Betrieb seit August 2003 verknüpft nun die verschiedenen Fahndungssysteme der Länder und des BKA miteinander. Dazu gehören u.a. gesuchte Personen und Fahrzeuge, Tatortdaten, Fingerabdrücke und digitale Fotos und Daten aus der DNA Kartei beim BKA, Meldestellen, das Kraftfahrbundesamt und die Datenbestände der bisherigen Einzeldateien, einschließlich des SIS werden miteinander verbunden. Die Software ist inzwischen derart erweitert, daß auch Bilder von Personen direkt übertragen werden können.
Zentraler Bestandteil sind die Daten aus Kriminalakten, wie erkennungsdienstliche Behandlungen, Haftdaten, Daten über Strafanzeigen und Personenbeschreibungen.
Der nächste Schritt ist die nun die unmittelbare Verknüpfung dieser Datenbank mit denen anderer EU-Länder.
Der Datenaustausch auf europäischer Ebene wird nicht zuletzt mit der Installation und dem Ausbau der Institutionen EUROJUST und vor allem EUROPOL forciert.
2.11. EUROPOL
EUROPOL ist seit dem 1. Juli 1999 als Polizeieinheit innerhalb der EU tätig.
Hatte diese Behörde zunächst keine große praktische Bedeutung, (Von 1999 - 2002 richtete das deutsche Verbindungsbüro bei EUROPOL in 3843 Fällen Anfragen für deutsche Strafverfolgungsbehörden direkt an EUROPOL sowie an die Verbindungsbüros der Mitgliedstaaten.) wird sie demnächst immer mehr an Kompetenz erlangen.
Inzwischen hat EUROPOL direkten Zugriff auf das Schengener Informationssystem.
Die aktuellste Erweiterung besteht in dem geplanten Datenaustausch auch mit Ländern ohne ein mit der EU vergleichbares Datenschutzniveau. Ferner soll demnächst ein einfacher Beschluß des Rates genügen das EUROPOL-Übereinkommen zu bestätigen.
Die Tätigkeiten von EUROPOL spiegeln sich in deren Computersystem wieder, welches aus drei Untersystemen besteht:
1. Das zentrale Informationssystem: in diesem werden die Daten von Verdächtigen gespeichert ebenso wie von Personen, die künftig(!) eventuell(!) ein Verbrechen begehen könnten. Zuständigkeit besteht auch für "Verbrechen, die im Rahmen von terroristischen Aktivitäten gegen das Leben, körperliche Unversehrtheit, pers. Freiheit und Eigentum begangen werden."
2. Die Arbeitsdateien: diese dienen v.a. der Analyse, gespeichert werden ausführliche Informationen von Menschen, möglichen Zeugen und Opfern, Kontaktpersonen, Verbündeten sowie Informanten.
3. Das Indexsystem soll schließlich Auskunft geben, ob eine bestimmte Information gespeichert ist.
EUROPOL führt die Informationen der einzelnen nationalen Stellen zusammen, bündelt also alle personenbezogenen Daten in einem zentralen "Informationssystem", auf das wiederum die nationalen Stellen in den Mitgliedstaaten zugreifen können (bundesstaatlich strukturierte Mitgliedstaaten wie Deutschland und Österreich haben faktisch auch einen Online-Durchgriff der Landeskriminalämter auf den zentralen EUROPOL-Datenbestand eingerichtet). Daneben bezieht EUROPOL Daten von Drittstaaten und Drittstellen (wie beispielsweise Interpol) und stellt diese in das Informationssystem ein.
Die ständigen Kompetenzerweiterungen, die EUROPOL seit seiner Entstehung erhalten hat und erhalten wird, stehen dabei im konträren Verhältnis zum Recht des Einzelnen. Nicht nur daß Datenschutzinteressen kaum Beachtung finden, der springende Punkt ist, dass dieser ebenso wie die gesamte Institution EUROPOL keinerlei parlamentarischer (oder sonstiger) Kontrolle unterliegt. Ein verselbständigter Apparat, der zwar ebenso wie z.B. auch das BKA Zugriff auf alle möglichen Daten hat, aber im Gegensatz zu diesem nur sich selbst kontrolliert. Auch wenn es für eine(n) Einzelne(n) nicht immer wirklich nachvollziehbar und transparent ist, was und wie die deutschen Behörden in ihrer Tätigkeit ermitteln, so steht zumindest noch der mühsame Weg, über die Gerichte, Rechte einklagen zu können. Nicht einmal das ist bei EUROPOL derzeit jedoch möglich.
2.12. EUROJUST
Die Errichtung von EUROJUST beruht auf dem Beschluß des Rates vom 28.2.2002.
Es ist ein Zusammenschluss von Verbindungsstaatsanwälten sämtlicher Mitgliedsstaaten.
Sie haben Koordinierungs- und Clearingfunktion zu nationalen Justizbehörden.
Nachdem sie zunächst ohne gesetzliche Grundlage und nahezu ohne Kontrolle zunächst in Brüssel agierten, befindet sich ihr Sitz nun in Den Haag.
EUROJUST muss als Vorstufe zu einer europäischen Staatsanwaltschaft betrachtet werden.
Insoweit kommt EUROJUST auch bei dem Thema polizeilicher Zusammenarbeit und Datenaustausch künftig eine bedeutende Rolle als europäischer Ermittlungsbehörde zu.
EUROJUST ist seit seiner Legalisierung äußerst aktiv.
Die Behörde veranstaltet regelrechte Info- Reisen, auf denen der deutsche Vertreter gern seine Handy Nummer herausgibt, unter der er ständig zu erreichen ist, wenn ein Staatsanwalt grenzübergreifende Ermittlungen führt und einen wie auch immer gearteten Informationsbedarf hat.
Neben umfassendem Datenmaterial und rechtlichen Vergleichserhebungen, (wie z.B.: welche Voraussetzungen für eine Durchsuchung bestehen in den einzelnen Vertragsstaaten?) wird auf den kurzen persönlichen Draht gesetzt: Wer sich kennt, erreicht eine zügige Bearbeitung seiner Anfrage.
Auf dem "kurzen Dienstweg" wird natürlich nichts mehr dokumentiert, was überhaupt nur einem Vertreter der Kontrollkommission zugänglich wäre.
Die Aufgaben von EUROJUST umfassen die Zuständigkeit für organisierte Kriminalität, Computerkriminalität, Umweltdelikte, Geldwäsche und Betrugsversuch, Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung und als Generalklausel, alle Delikte die wiederum mit den anderen aufgezählten Straftaten zusammen begangen wurden, sowie Delikte, die im Aufgabenbereich von EUROPOL liegen.
EUROJUST soll als Institution einzelne Staaten um die Aufnahme von Ermittlungen ersuchen oder/und deren Ermittlungen unterstützen und koordinieren.
Dem Informationsaustausch sind nahezu keine Grenzen gesetzt, solange der Austausch nur irgendwie für die Aufgabenerfüllung erforderlich ist.
Für Auskünfte der Betroffenen, welche Daten über sie gespeichert sind, ist das Bundesministerium der Justiz zuständig.
Während der Fußballweltmeisterschaft 2006 waren Staatsanwälte aus England und Schweden in "beratender Funktion" in Berlin vor Ort.
2.13. Task Force der europäischen Polizeichefs
Seit 2000 ist ein regelmäßiger Informationsaustausch zwischen den Polizeichefs der EU Länder etabliert, wobei besonderer Wert auf persönliches Sich-Kennen gelegt wird. In diesem informellen Gremium werden Strategien der polizeilichen Kooperation entwickelt.
2.14. Europäische Polizeiakademie (CEPOL- European Police College)
Sie hat die Aufgabe Schulungen und Austauschprogramme - auch auf sprachlicher Ebene voranzutreiben. und ist mit Ratsentscheidung vom 20.9.2005 etabliert worden. Sie hat eigene Rechtspersönlichkeit und wird aus dem Gemeinschaftshaushalt finanziert.
2.15. Der Europäische Haftbefehl
Hier handelt es sich um ein erleichtertes Auslieferungsverfahren auch eigener Staatsbürger, das im Geiste der gegenseitigen vertrauensvollen Anerkennung wechselseitiger Entscheidungen bei einem Straftatenkatalog von 32 Straftaten bzw. Gruppen von Straftaten Anwendung findet.
3. Welche (sichtbaren) Maßnahmen sind bei künftigen Gipfeln konkret zu erwarten?
Das Repertoire reicht im Vorfeld des Ereignisses von
* Ausreise- und Einreiseverboten über
* Gefährderansprachen,
* Auflagen an potentielle Verdächtige, sich z.B. täglich oder mehrmals täglich bei der örtlichen Polizei zu melden, bis zu der
* Entziehung des Reisepasses,
* der mobilen Begleitung und Observation von Verdächtigen und der
* Vorbeugehaft
* Grenzkontrollen auch an den Schengen-Grenzen (Außerkraftsetzung nach Art 2 Schengener Abkommen)
* Observationen im Vorfeld verbunden mit entsprechendem Datenaustausch innerhalb der EU, ggfs. mit Drittländern
Während des Ereignisses ist mit folgenden Maßnahmen zu rechnen mit:
* Vorkontrollen bereits fernab des Veranstaltungsortes
* mobile und fest installierte Videoüberwachung mit Zoom
* Telefonüberwachungen
* Präsenz und Einsatz ausländischer Polizisten, die Leute aus ihren Ländern identifizieren und beobachten und selbst festnehmen werden
* Platzverbote
* Ingewahrsamnahmen (bis nach Abschluß des Ereignisses nach den jeweiligen Polizeigesetzen)
* Schnellgerichtsverfahren insbesondere bei aus dem Ausland kommenden TeilnehmerInnen
* bei ausländischen TeilnehmerInnen ausländerrechtliche Maßnahmen
[Silke Studzinsky, Rechtsanwältin in Berlin im Mai 2006; zuletzt aktualisiert im Oktober 2006]