Schweriner Volkszeitung 29. Januar 2007
Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Heinz Fromm, hat vor Anschlägen auf den G8-Gipfel in Heiligendamm im Juni gewarnt. Die Täter nähmen dabei Personenschäden in Kauf. Fromm rechnet im Vorfeld des Gipfels mit Anschlägen vorwiegend im norddeutschen Raum sowie in und um Berlin. Josef Hufelschulte und und Robert Vernier sprachen mit dem Verfassungsschutz-Präsidenten. Das Interview erscheint heute auch im „Focus“.
Im Vorfeld des G8-Gipfels im Juni hat es schon ein Dutzend Anschläge gegeben – rollt eine Gewaltwelle auf den Konferenzort Heiligendamm zu?
Fromm: Das kann man so nicht sagen. Die Mobilisierung für dieses Ereignis bei extremistischen, aber auch bei nichtextremistischen Gruppierungen hat zwar vor einiger Zeit begonnen. Aber die Erwartungen, die die Akteure haben, sind bis jetzt enttäuscht worden. Man hofft auf 100 000 Teilnehmer. Ob so viele kommen, ist aus heutiger Sicht sehr fraglich.
Woran liegt das?
Fromm: Die Antiglobalisierungsbewegung hat ganz offensichtlich an Attraktivität verloren. Aber: Bis zu dem Ereignis dauert es noch eine Weile und man weiß nicht, was in der Zwischenzeit passiert. Je nachdem, welche Themen in den Vordergrund treten, wird sich vor allem die Beteiligung aus dem Ausland an den Protesten entwickeln. Besondere Sorge bereitet uns jedoch die militante Begleitkampagne mit bislang 14 Brandanschlägen sowie einer ganzen Reihe von Sachbeschädigungen anderer Art. Mit weiteren Anschlägen muss gerechnet werden.
Wer sind die Täter?
Fromm: Es gibt einige Selbstbezichtigungen, aber Täter konnten bislang nicht ermittelt werden. Zwar zielen die Attacken auf Sachschäden, aber es besteht dabei immer die Gefahr, dass Menschen zu Schaden kommen. Das nimmt man offensichtlich in Kauf.
Im Bekennerschreiben zur Farbbeutel-Attacke auf das Haus des Schweriner Ministerpräsidenten Harald Ringstorff wurden weitere Aktionen gegen Verantwortliche angekündigt. Wird da nicht Gewalt gegen Personen propagiert?
Fromm: Das ist eher so zu verstehen, dass sich Aktionen gegen Objekte – meist Fahrzeuge oder Häuser von Personen richten, die für die Folgen der Globalisierung verantwortlich gemacht werden, Es hat allerdings vor einiger Zeit in der Szene eine Diskussion darüber gegeben, ob man nicht auch personenbezogene Anschläge ins Auge fassen sollte. Das ist auf wenig Zustimmung gestoßen, weil man eine derartige Eskalation im Moment für politisch nicht opportun hält.
Was ist der Grund dafür?
Fromm: Die Mehrheit der Gipfelgegner ist nicht extremistisch orientiert. Sie würden, wenn Menschen zu Schaden kommen, abgeschreckt und es wäre dann viel schwerer, wenn nicht gar unmöglich, Massenproteste zustande zu bringen.
Brauchen Gewalttäter diese Demonstranten als Deckung?
Fromm: Bei einer Großdemonstration kommt es erfahrungsgernäß sehr darauf an, wie sich die Mehrheit positioniert und ob sie gewalttätige Aktionen zulässt. Aber auch dann kann man so etwas nicht ausschließen.
Vermitteln 12 000 Polizisten und der 13 Kilometer lange Hochsicherheitszaun in Heiligendamm nicht eine trügerische Sicherheit?
Fromm: Das nicht, denn sie garantieren die Sicherheit des Gipfels. Aber wir rechnen damit, dass es im Vorfeld weitere Anschläge geben wird vor allem im norddeutschen Raum sowie in und um Berlin.
Wer oder was ist gefährdet?
Fromm: Alles, was einen offenkundigen Bezug zur Globalisierung hat, internationale Konzerne, staatliche Institutionen – eine lange Liste.
Befürchten Sie ein Warmlaufen der Militanten bei der Sicherheitskonferenz in München im Februar?
Fromm: Das ist schon immer eine Veranstaltung gewesen, die einen gewissen Reiz auf das Protestpotenzial ausübt, wobei man auch hier sagen muss, dass das nicht alles Extremisten sind. Wir gehen im Moment nicht davon aus, dass die Konferenz nennenswert gestört werden wird.
Rechnen Sie mit Gipfel-Attacken von Rechtsextremisten? Fromm: Die NPD versucht das Thema aufzugreifen. Eine größere Resonanz ist jedoch nicht zu erwarten.
Wie gefährlich sind die neu aufgetauchten „Autonomen Nationalisten“?
Fromm: Das sind junge Leute aus der rechtsextremen Szene, die sich am Auftreten und der Aktionsweise von linksextremistischen Autonomen orientieren und ähnlich gewaltbereit sind – gegen politische Gegner und auch Polizeibeamte.
Gibt es neue Entwicklungen am rechtsextremistischen Rand?
Fromm: Wir beobachten, dass die Skinhead-Szene sich verändert. Seit einiger Zeit ist festzustellen, dass das typische Erscheinungsbild, wie etwa Glatze und Bomberjacke, jetzt immer weniger attraktiv zu sein scheint, oder um es salopp zu formulieren: Wir sehen einen Trend zum Scheitel statt Glatze.