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Gipfel versenkenFrankfurter Allgemeine Zeitung 7. Januar 2007 Linke und Globalisierungskritiker sehen das G-8-Treffen im Juni als Chance für eine Offensive. Manche setzen auf Gewalt Von Oliver Trenkamp und Markus Wehner Berlin. Auf dem Weg zur Küche hängt ein Schild. "Was hat Neoliberalismus mit Selbstbefriedigung zu tun?" steht darauf. Das Jungen-Klo ist abgeschlossen, ein Zettel weist den Weg zum "Intersexuellen WC". Eine Liste regelt, wer den Kompost entsorgt und wer für Papier, Gelben Sack und Restmüll zuständig ist. Die alltäglichsten Dinge, hier sind sie politisch. Rund 150 Schüler, Studenten, Umweltschützer und linke Aktivisten treffen sich zum Jugendumwelt-Kongress "Jukss" in einer Gesamtschule in Königs Wusterhausen nahe Berlin. Immer wieder taucht eine Abkürzung auf, in Filmen und Diskussionen, auf Flugblättern und Plakaten. Sie prägt die links-alternative Agenda der kommenden Monate: G 8. Die Staats- und Regierungschefs der acht großen Industrienationen treffen sich vom 6. bis zum 8. Juni in Heiligendamm nahe Rostock. Der Gipfel der "Weltführer" mobilisiert die Linke wie kein Ereignis seit dem Beginn des Irak-Krieges. Und er eint sie. Ein breites Bündnis bereitet seit dem Sommer die Proteste vor: Linksautonome und Rentner, Gewerkschafter und Christen, Umweltschützer und Globalisierungskritiker. Im November einigten sich 400 Aktivisten auf einen Fahrplan. Die heiße Phase soll mit einer Großdemonstration in Rostock vier Tage vor dem Gipfel beginnen, Straßenblockaden sind geplant und viele kleine Aktionen. Über einiges redet "mensch", wie sie hier sagen, auch auf dem Umweltkongress: Zwei Fahrradkarawanen zum Gipfel soll es geben, von Budapest und Brüssel aus, wochenlang, über die Dörfer. Zwölf junge Menschen planen die Touren: Wer kümmert sich um die Internet-Seite? Wer um die genaue Route? "Die Mobilisierung läuft unheimlich gut", sagt einer, der seinen Namen nicht nennen will. Nicht alle Aktionen werden so harmlos bleiben. Der Verfassungsschutz hat schon 41 Straftaten gezählt, die mit dem G-8-Gipfel zu tun haben, davon 13 Brandstiftungen. Vor zwei Wochen wurde das Auto des Finanzstaatssekretärs Thomas Mirow (SPD) in Hamburg angezündet, Farbbeutel trafen sein Haus. Eine "AG Kolonialismus und Krieg" bezichtigte sich der Tat - einer der Phantasienamen, hinter denen sich gewaltbereite Autonome verbergen. Zum Jahreswechsel gab es einen Farbanschlag auf das Hotel Kempinski in Heiligendamm, in dem die G-8-Entourage tagen wird. Die rote und schwarze Farbe an der Hotelfassade verursachte zwar nur 1900 Euro Schaden. Doch der symbolische Wert der Aktion gilt in der Szene als hoch. Im Bezichtigungsschreiben heißt es: "Wir kennzeichnen das Ziel des nächsten Jahres." Vor allem aus Hamburg und Berlin sollen die Täter kommen, sagen Verfassungsschützer. Doch die Ortskenntnis, die bei mancher Aktion notwendig ist, spricht dafür, dass auch lokale militante Gruppen mitmischen. Der Verfassungsschutz rechnet damit, dass die Serie von Brandanschlägen weitergehen wird. Gewaltakte mit dem Ziel, Personen zu töten, hält man indes für unwahrscheinlich. "Wir werden zu keinen Aktionen aufrufen, die illegal sind", sagt Frauke Distelrath, Sprecherin der Anti-Globalisierungs-Bewegung Attac. Aber an Sitzblockaden teilzunehmen sei für viele Mitglieder selbstverständlich. Konsens sei aber, dass von Attac keine Gewalt ausgehe. Befreit aufmarschieren kann die Linkspartei. Sie ist in Mecklenburg-Vorpommern nicht mehr an der Regierung beteiligt, staatsmännischen Verpflichtungen nicht länger unterworfen. Noch beim Bush-Besuch im letzten Jahr war das anders: Damals erregten Landesminister öffentlichen Unmut, weil sie sich an den Protesten beteiligt hatten. "Unsere Landtagsabgeordneten werden diesmal wieder mit dabei sein", sagt Landesgeschäftsführer Friedemann Reinhold. "Auf jeden Fall werde ich an der Großdemonstration teilnehmen", sagt auch die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke von der Linkspartei, "auch Blockaden könnte ich mir vorstellen." Bei vielen anderen in ihrer Fraktion sei das ähnlich. Für die radikale Linke ist das Treffen in dem Ostseebad der "Hype des Jahres", wie die Wochenzeitschrift "Jungle World" es nennt. Schon seit Monaten werben zahlreiche Internet-Seiten dafür, "den Gipfel zu versenken". Autonome und Globalisierungskritiker sehen die Juni-Tage als Chance, aus der Krise herauszukommen, nachdem im vergangenen Jahr der Protest gegen den G-8-Gipfel in St. Petersburg sogar ganz ausfiel. Selbstbewusst sagt auch Pedram Shahyar vom Attac-Koordinierungskreis: "Wir erwarten die größte internationale Demonstration seit vielen Jahren in Deutschland." Allerdings gilt den Sicherheitskräften das Ziel der Aktivisten, hunderttausend Gipfelgegner in Rostock zu versammeln, als überambitioniert. Sorgen macht der Polizei, dass die Militanten an ganz unterschiedlichen Orten zuschlagen könnten. Denn als Protest gegen die Globalisierung kann jeder Aktivist sein liebstes Steckenpferd reiten - vom Antirassismus bis zum Klimawandel. Einige Gruppen kündigen an, Felder mit gentechnisch veränderten Pflanzen ("Der Gendreck muss weg") zu zerstören, andere wollen das "Bombodrom" besetzen, einen Truppenübungsplatz in der Wittstocker Heide. Das "Bombodrom" haben die Linksaktivisten schon inspiziert und einen Film dazu ins Internet gestellt, zur Vorbereitung. "Um den Bombenabwurfplatz gibt es keinen Zaun - nur Schilder", heißt es darin. Und: "Die geräumten Wege gelten als sicher." Zu lauter Rockmusik wird gezeigt, woran "mensch" Blindgänger erkennt. DVDs mit dem Neunminüter kursierten auch auf dem Jugendumweltgipfel. "Mensch" musste fünf Euro dafür in ein Spendenglas schmeißen. Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 07.01.2007, Nr. 1 / Seite 4 |
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