Anarchist Black Cross: Was passiert gerade in Deutschland?

Ein kurzer Überblick über die letzten Aktionen mit denen bezweckt werden sollte den militanten Widerstand einzudämmen.

Vom Anarchist Black Cross (ABC) Berlin

Wiedereinmal innerhalb von wenigen Monaten werden wir gezwungen Zeugen der schmutzigen Bewegungen der Bundesanwaltschaft zu sein: am 31. Juli wurden drei unserer Freunde in der Nähe von Berlin festgenommen, nachdem sie angeblich Brandsätze unter Fahrzeuge der Bundeswehr gelegt haben sollen. Eine vierte
Person wurde in seiner Wohnung festgenommen, beschuldigt wird er die Erklärungen der Gruppe geschrieben zu haben. Drei weitere Personen befinden sich im Moment auf freiem Fuß, aber es laufen Ermittlungen gegen sie. Wofür genau? Paragraf 129a, terroristische Vereinigung: sie alle sollen der Militanten Gruppe, eine seit 2001 aktive klandestine Gruppe, angehören.

Wir haben ein paar Sätze dazu von der Antirepressionswebsite Gipfelsoli übernommen, um über die Ereignisse der letzten drei Monate aufzuklären.
Diese Aktion ist die dritte dieser Art innerhalb der letzten drei Monaten in Deutschland gewesen. Seit Mai 2007 gab mehrere Hausdurchsuchungen aufgrund des Paragraf 129a in Hamburg, Berlin, Bremen, Strausberg und Bad Oldesloe:

  • Am 09. Mai: Beschuldigungen zur „Bildung einer terroristischen Vereinigung mit dem Ziel der Verhinderung des G8-Gipfels“ (18 Personen sind betroffen und sollen unter verschiedenen Gruppennamen agiert haben), außerdem „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ (gemeint ist die militante Gruppe, betroffen sind drei Personen).
  • Am 13. und 19. Juni: Beschuldigungen zur „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ (mit verschiedenen Gruppennamen u.a. AK Origami). Die Anschuldigungen beziehen sich auf Brandanschläge auf Fahrzeuge der Bundeswehr
    und eines Unternehmens, welches Kriegswaffen herstellt, in Glinde (2002), Bad Oldesloe und Berlin (2004 und 2006).

  • Am 31. Juli: Beschuldigungen zur „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ (militante Gruppe, vier Personen wurden verhaftet, drei weitere sind beschuldigt).

Das BKA hat mehrere Male vor der Presse erklärt, dass die letzten Hausdurchsuchungen weder etwas mit den Razzien vom 09. Mai noch mit der Anti-G8-Bewegung zu tun hätten. Jedoch, wie die Erfahrungen aus ähnlichen 129a
Verfahren und Prozessen zeigen, beruhen Durch- suchungsbeschlüsse meist auf vorher gewonnenen Durchsuchungsergebnissen. Diese Befugnisse erlauben den Behörden weitere Informationen über die radikale Linke zu sammeln. Auf diese
Weise werden später folgende Verfahren kon- struiert, vermutlich mit Anti-G8 Relevanz. Insgesamt führen nur 2% aller 129a-Verfahren zu Verurteilungen.
Die Untersuchungsakten allein für den 09. Mai umfassen ca. 80.000 Seiten.
Getrennt von den Durchsuchungen gab es duzende Verfügungen zur Telefonüberwachung, das Verwanzen von Autos und Versammlungen. Ein Zeuge, welcher angeblich eine verdächtige Person nach dem Brandanschlag auf das Auto
von Thomas Straubhaar identifizierte, brachte alleine 80 Fotos zum BKA.

Einige der Betroffenen werden beschuldigt eine “militante Gruppe” gegen den G8 initiiert zu haben. Die Anschuldigungen beruhen auf Telefon- gesprächen, bei denen Mitglieder der „Globale Landwirtschaft“-Arbeitsgruppe darüber sprachen
die Kampagne zu intensivieren. Verdächtig wurden sie, als sie die Webseiten der Firmen, die sie kritisieren besuchten oder am Telefon über die Standorte der Firmenniederlassungen sprachen.

Ein Großteil der Daten besteht aus Analysen von „selbstbelastenden Schriften”.
Dies bedeutet, das Vergleichen von Texten auf Formulierung von Sätzen, Zeichensetzung, grammatikalische Fehler, wie „Schwäche beim Genitiv“, Groß- und Kleinschreibung. Weitere Faktoren sind die Position des Datums, dessen
Schreibweise, der Gebrauch von Wörtern wie „Imperialismus“ oder „Prekarisierung“, Verweise auf andere Kampagnen und linke Gruppen, die
Schreibweise: „dissent“, „dissent“ oder „Dissent“, sowie G8 oder G-8, usw.
Verglichen wird auch auf die Benutzung einzelner Wörter wie „das Scheffeln von Geld“, „IWF“, usw. Nach jeder Analyse wird ein Profil von der/m potenziellen AutorIn erstellt: Herkunftsort, politische Orientierung, schulische Bildung und Position des Autors im jeweiligen politischen Spektrum. Einige der Texte werden nachher spezifischen Personen zugeschrieben.

Ein Großteil der Daten ist nicht dafür beabsichtigt sie nur in dem jeweiligen
speziellen Fall zu nutzen, sondern im Gegenteil die Recherchen sind für Informationssammlungen des Verfassungsschutzes bestimmt. Dies zeigt sich daran, dass die Behörden seit den Anfängen der Anti-G8-Bewegung Informationen über diese sammeln. Für die letzten beiden Treffen des „dissent!“-Netzwerkes gab es Befugnisse, mit welchen es möglich war die Handyzelle um den Mehringhof (autonomes linkes Zentrum in Berlin) und um die Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik zu überwachen. Es wurden alle Handys, welche sich im lokalen Netz eingeloggt hatten registriert, betroffen waren davon jeweils über 250 Personen. Die Anwesenheit von InformantInnen ist dabei auch keine Überraschung.

Alles in allem, nach der langen Zeit im Dunkeln und in Unwissenheit während der „militanten Kampagne gegen die G8“ (eine zwei Jahre lange militante Kampagne in allen Teilen von Deutschland, getragen von verschiedenen autonomen Gruppen, mit über hundert Brandanschlägen und Zerstörungen von Eigentum) schlugen die Behörden besonders hart zu, um dies alles zu stoppen.

Dies war ihr Versuch den militanten und sich selbst treu gebliebenen Widerstand einzu- schüchtern, aber dies gelang nicht so wie erhofft., weder die Untergrabung der Solidarität innerhalb der autonomen Bewegung noch die Beendigung der militanten Angriffe.

Dies war erst mal eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse. Etwas was uns gleichermaßen interessiert, ist es ein paar Worte über die Solidarität zu äußern. Positiv hervorzuheben ist die gute Solidarität, welche sehr schnell
gezeigt wurde nach den Razzien im Mai. Am selben Abend fanden unzählige Demonstrationen, nicht nur in Deutschland, statt. Die größten Versammlungen gab es in Hamburg, mit 2000 Personen und einigen Ausschreitungen, und Berlin, mit 5000 Personen unter dem Motto „Wir sind alle 129a!“ und „Wir sind alle die
militante Gruppe!“. Außerdem kam es zu vielen direkten Aktionen in den nächsten Tagen, eine davon von der militanten Gruppe selber, wobei zwei Polizeitransporter abbrannten. Das Ziel der Repressionsorgane den radikalen Widerstand gegen G8 und Kapitalismus einzuschüchtern gelang nicht in der Art wie es erhofft war. Darüber hinaus gab es nur sehr wenige distanzierende Stimmen (hauptsächlich der Führung bei Attac usw., aber nicht deren Basis)
gegenüber den beschuldigten Personen oder dem militanten Widerstand. Die geringe Anzahl an Distanzierungen ist sehr positiv zu bewerten.

Bereits jetzt wurde einige Personen in Norddeutschland von der Bundesanwaltschaft eingeladen, um Aussagen gegenüber ihren beschuldigten Genossen der 13./19. Juni – Operation zu machen.

Die erste Person mit solch einer „Einladung” erschien zusammen mit 40 solidarischen Menschen bei der Polizei und erklärte, dass sie keine Aussagen machen werde und bereit sei die Konsequenzen zu tragen. Wenn jemand in
Deutschland als ZeugIn vorgeladen wird und die Aussage verweigert, ist es möglich dafür bis zu sechs Monate inhaftiert zu werden. Dies passierte im Magdeburger 129a-Verfahren, wo mehrere Personen gegenüber ihren FreundInnen
aussagen sollten und einer der Zeugen fast sechs Monate im Gefängnis saß, um trotzdem Aussagen von ihm zu erpressen.
Zurück zum letzten Schlag der Repressions- behörden gegen die mutmaßliche Militante Gruppe. Es ist die Tatsache, dass drei Genossen momentan in Knast sitzen unter den üblichen schweren Konditionen. Seit dem Beginn des ganzen, wurde viel Solidarität gezeigt, speziell für einen der Gefangenen. Er wurde
nicht während eines angeblich versuchten Brandanschlags verhaftet und er arbeitet an der Universität, weshalb er für viele Menschen einen besonderen Status hat. So wie es aussieht scheint es keine schwere Sache für viele
Menschen zu sein, Solidarität mit einem kriminalisiertem Lehrer und Opfer eines
zwielichten und abgekarteten Spiels der Polizei zu zeigen. Und wir, selbstverständlich, geben ihm natürlich auch unsere ganze Solidarität!
Währenddessen wir diesen Text schreiben, ist es sehr erfreulich, dass dieser Genosse aus dem Knast entlassen wird. Er kam frei nach der Zahlung einer Kaution, aber es ist unklar, ob er bis zum Prozessbeginn nicht vielleicht doch
noch einmal in den Knast muss. Die Bundesanwaltschaft ließ verlauten, dass sie
gegen die Entscheidung der Freilassung vorgehen wolle.

Für eine Vielzahl von Leuten, wie etwa normale BürgerInnen, UniversitätslehrerInnen und Möchtegern-PolitikerInnen innerhalb unserer
Bewegung, scheint es eine Unmöglichkeit zu sein, Unterstützung für diejenigen zu zeigen, welche möglicherweise einen Brandanschlag gegen die Todesmaschinerie der deutschen Armee unternommen haben.

Viele Menschen fürchten sich davor vom Staat als MG-UnterstützerInnen oder einfach als „gewaltbereit“ eingestuft zu werden. Andere verurteilen absolut jede Form der Gewalt, sogar diejenige gegen Sachen.

Allgemein nehmen es einige in Kauf nicht zu viel über die drei „anderen“ zu sprechen, weil daraus resultieren würde, dass es schwierig wäre alle oben erwähnten verschiedenen UnterstützerInnen in dasselbe Boot zu holen.
Wir wollen uns den Stimmen aus dem Chor anschließen und das Bedürfnis zurückfordern, offene Unterstützung auch für diejenigen zu zeigen, welche für „schuldig“ erklärt werden etwas Ungesetzliches getan zu haben.

Für uns gibt es keine Unterscheidung zwischen „Unschuldig“ und „Schuldig“: diese
Kategorisierungen gehört nicht in unseren anarchistischen Background, ferner sollten diese bei keinem aufrichtigen linken Radikalen und dergleichen zu hören sein.

Wir müssen fähig dazu sein unsere volle Unterstützung für diejenigen auszudrücken, die mit ihren favoritisierenden Mitteln gegen die gegenwärtige Gesellschaft kämpfen. Sie müssen fühlen, dass sie nicht alleine sind und dass
wir für sie und für ihre möglichen Handlungen eintreten. Natürlich darf diese Solidarität eine dauerhafte und kritische Debatte mit unseren Freunden nicht ausschließen.
Deshalb ist es äußerst wichtig, dass wir uns nicht aufspalten lassen zwischen „gut“ und „böse“, dies ist das normale Spiel des Staates und des Kapitals. Es ist wichtig, eine entschlossene Unterstützung für all unsere eingesperrten Weggefährten ohne jedwige Unterscheidungen zu zeigen.

Und wir sind glücklich darüber zu sehen, dass es eine Vielzahl an Stimmen gibt, die auch unserer Meinung sind, wie viele Solidaritätsbekundungen innerhalb der letzten Tage zeigen.

Mittlerweile gab es drei Kundgebungen vor dem Knast, in dem unsere Genossen festgehalten werden, die erste kurz nachdem diese dorthin gebracht wurden.
Zwischen 200 und 300 Personen nahmen an den Kundgebungen jeweils teil. In der Nacht nach den Verhaftungen wurde in Berlin ein Fahrzeug des Bundesverfassungsgerichtes in Brand gesteckt. Einige Tage später gab es einen
versuchten Brandanschlag auf ein Justizgebäude in Berlin, welcher die Polizei und die Presse in Panik versetzte. Am darauffolgenden Wochenende brannten mehrere Fahrzeuge von Unternehmen, welche in Atomtransporten involviert sind, außerdem ein Fahrzeug der Bundeswehr.
Währenddessen gab es mehrere Solidaritätstreffen, unzählige Unterstützungserklärungen und Flugblätter wurden verteilt, Transparent aufgehangen und Geld organisiert.

Um es noch einmal zu verdeutlichen, wir lassen uns nicht einschüchtern, viel lieber werden wir weiter kämpfen, als zu Hause zu sitzen und Postkarten an die Gefangenen zu schreiben (auch wenn dies ein sehr wichtiger Teil unseres Kampfes ist).

Es ist auch sehr beachtenswert, das sich selbst reformistische Gruppen, wie Attac-Basisgruppen und Teile der Universitätswelt, an den Solidaritätskampagne beteiligen. Beim Attac-Sommercamp formierten sich 400 Personen zu einer spontanen Demonstration unter dem Motto „Wie sind alle Terroristen!“

Dieses ist vermutlich aber nur ein Papiertiger, entstanden durch die Tatsache, das einer der Angeklagten ein Soziologe ist, aber es ist zu beachten, dass möglicherweise ein paar Menschen nun angefangen haben sich Fragen über den
tatsächlichen Zustände zu stellen.

Der ausgiebige Gebrauch des Paragrafen 129a soll unseren Widerstand kriminalisieren, in Ländern wie Spanien und im besonderen Italien, wo er praktisch alle zwei Monate angewandt wird, ist dies bereits zur grausamen Realität geworden. Bewegen wir uns in die selbe Richtung? Wie wir einst in unserer Broschüre „Repression gegen AnarchistInnen in Italien“ geschrieben haben, ist es nur eine Frage der Zeit bis jede Freundschaft unter diesen
Paragrafen kategorisiert werden wird.

Allerdings haben diese Ereignisse dazugeführt, dass gerade eine große Kampagne
zur Abschaffungen der Paragrafen 129a und b initiiert wird. Außerdem wird dies
nur der Auftakt für eine Offensive gegen den Überwachungsstaat und dessen
verschiedenste Formen der sozialen Kontrolle sein. Am 22. September wird es
Berlin eine große Demonstration geben, an welcher auch ein großer autonomer
Block gegen den Überwachungsstaat und für die Abschaffung des besagten
abartigem Paragrafen teilnehmen wird.

Um es nochmals zu wiederholen, für uns gibt es nur eine Terroristenorganisation und dies ist der Staat. Deshalb ist es ein großer Widerspruch Menschen, welche sich aktiv einer der Hauptorganisation des Todes und des Terrorismus, wie der Armee, entgegensetzen, jetzt als Terroristen zu benennen! Dies ist etwas worüber jeder selbst nachdenken sollte.

Wir dürfen nicht vergessen zu erwähnen, dass das Problem nicht nur die Inhaftierung von jemanden aus unserem Umfeld ist, sondern noch mehr sogar durch die Existenz des Gefängnisses vertreten wird. Die Existenz dieser grauen Wände ist eine Bedrohung für uns alle und wir müssen tagtäglich für deren Zerstörung
kämpfen.

Freiheit für Axel, Florian und Oli!
Für die Einstellung aller §129a und b – Ermittlungen!
Freiheit für alle!
Zerstört alle Gefängnisse!

[Anarchist Black Cross (ABC) Berlin, 12.09.2007]