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„Konstruierter Terrorismusverdacht“DIE ZEIT - online 7.8.07 Vier Männer sitzen auf Betreiben der Bundesanwaltschaft in Einzelhaft, gegen vier weitere wird ermittelt. Der Vorwurf: Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Die Festnahme von drei der Inhaftierten bietet wenig Diskussionsbedarf. Die Polizei hatte sie dabei beobachtet, wie sie versuchten, drei Lastwagen der Bundeswehr anzuzünden. Die Begründung der Haftbefehle jedoch – vor allem die für den eines promovierten Soziologen von der Humboldt-Universität, der offenbar nicht direkt an dieser Tat beteiligt war – sorgt für einige Irritation. Alle vier sollen, so glaubt die Bundesanwaltschaft, zu einer linksterroristischen Truppe gehören, die sich selbst „Militante Gruppe – mg“ nennt. In deren Namen wurden in den vergangenen Jahren diverse Brandanschläge verübt. Allerdings zieht die Bundesanwaltschaft diesen Schluss offenbar lediglich aus Indizien, es gibt keine Beweise. Dem Soziologen Andrej H. wird die Mitgliedschaft beispielsweise anhand zweier Verdachtsmomente unterstellt. Zum einen soll er sich im Februar und im April zwei Mal „konspirativ“ mit einem der drei gefassten Brandstifter getroffen haben. Zum anderen gebe es Ähnlichkeiten zwischen einem von ihm 1998 veröffentlichten wissenschaftlichen Artikel und Texten der Militanten Gruppe. Der wissenschaftliche Text enthalte „Schlagwörter und Phrasen“, die auch die mg verwendet habe. „Die Häufigkeit der Übereinstimmung ist auffallend und nicht durch thematische Überschneidungen erklärlich“, heißt es im Haftbefehl. Außerdem soll der Soziologe in einem im Juni 2005 veröffentlichten Artikel über einen fehlgeschlagenen Anschlag der „Revolutionären Zellen“ berichtet haben. Derselbe Anschlag sei in einem zuvor erschienene mg-Text thematisiert worden. „Augenscheinlich versucht die Bundesanwaltschaft gerade, den Tatbestand der terroristischen Vereinigung auf eine zufällig zustande gekommenen losen Zusammenschluss von Personen auszudehnen“, sagte Volker Ratzmann, der Vorsitzende der Grünenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, der tagezeitung. Damit werde für den Paragrafen 129a des Strafgesetzbuches ein uferloser Anwendungsbereich geschaffen. Er gehe jedoch davon aus, „dass das Konstrukt, das die Bundesanwaltschaft da zusammengezimmert hat, einer Überprüfung nicht standhält“. Auch mit dem Fall befasste Anwälte halten die Vorwürfe vor allem gegen Andrej H. für abstrus. Es sei eine „krude Theorie“, die die Bundesanwaltschaft da vertrete, sagte Sönke Hilbrans ZEIT online. Er vertritt vier weitere Männer, gegen die ebenfalls wegen Mitgliedschaft in der mg ermittelt wird und bei denen es deswegen Hausdurchsuchungen gab. So wird einem dieser bisher nicht Verhafteten vorgeworfen, dass er „als promovierter Politologe und Promotionsstipendiat“ intellektuell in der Lage sei, „die anspruchsvollen Texte der Militanten Gruppe zu verfassen“. Bei der Bundesanwaltschaft ist man sich bewusst, dass der mit ähnlichen Begründungen arbeitende Haftbefehl gegen Andrej H. Fragen aufwirft. Beantworten will man sie aber nicht. Der Ermittlungsrichter habe einen dringenden Tatverdacht gesehen, man könne sich darauf verlassen, dass er seine Gründe dafür habe, heißt es dort. „Den Antrag auf den Haftbefehl stellt die Bundesanwaltschaft und sie formuliert ihn auch vor“, sagte Hilbrans dazu. Er räumte aber ein, dass Generalbundesanwältin Monika Harms bei einer solchen Ermittlung möglicherweise nicht alles in einen Haftbefehl schreiben lasse, was ihre Behörde an Verdachtsmomenten habe. Der Wissenschaftliche Beirat des globalisierungskritischen Netzwerks Attac zeigte sich trotzdem entsetzt über das Vorgehen. Andrej H. sollte eigentlich in seiner Eigenschaft als Stadt- und Regionalsoziologe bei einer Tagung von Attac einen Vortrag halten. Er konnte nicht kommen, da er zu diesem Zeitpunkt schon im Gefängnis saß. Die Begründung der Haftbefehle verlasse den Boden der Rechtstaatlichkeit, sie „steht für eine Ausweitung der Terrorismus-Ausnahmegesetzgebung“, heißt es in einer Erklärung des Beirates. Dadurch werde kritische Gesellschaftsanalyse nicht nur kriminalisiert, sondern unmittelbar dem Terrorismusverdacht ausgesetzt. Die Wissenschaftler erzürnt vor allem der Vorwurf, der verhaftete Andrej H. und der verdächtige Politologe hätten die sachlichen und persönlichen Voraussetzungen, Mitglied zu sein, und deswegen werde gegen sie ermittelt. So wird der Politologe beschuldigt, ihm stünden „als Mitarbeiter eines Forschungszentrums Bibliotheken zur Verfügung, die er unauffällig nutzen kann, um die zur Erstellung der Texte der Militanten Gruppe erforderlichen Recherchen durchzuführen“. „Die bekannt gewordenen Begründungen aus dem Haftbefehl sind eine Beleidigung für den gesunden Menschenverstand und würden – wenn sie von der Gesellschaft akzeptiert werden – die Grundlagen jeder kritischen Öffentlichkeit in einer freien Gesellschaft zerstören“, schreibt dazu der Wissenschaftliche Beirat von Attac. „Wenn sie als Indizien für die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gelten, dann wird kritische Wissenschaft unter Generalverdacht gestellt.“ Auch aus den beiden Treffen, die Andrej H. vorgeworfen werden, ergibt sich für seine Anwältin kein hinreichender Verdacht. „Obwohl die Bundesanwaltschaft selbst einräumt, dass sie nicht weiß, worum es bei diesen Treffen ging, wird hier ein Terrorismusverdacht konstruiert“, sagte Christina Clemm der taz. Außerdem bemängeln Anwälte der Beschuldigten, dass sie nur durch eine Trennscheibe Kontakt zu ihren Mandanten haben und ihre Post an diese gelesen wird. Ein Sprecher der Bundesanwaltschaft sagte dazu, dies sei in solchen Fällen üblich und vom Gesetz so geregelt, solange eine „Verdunkelungsgefahr besteht und die Ermittlungen noch am Anfang stehen“. Dass die Ermittlungen überhaupt in der Observation der versuchten Brandstiftung und in Haftbefehlen gipfelten, ist offenbar auf die Hausdurchsuchungen im Vorfeld des G8-Gipfels in Heiligendamm zurückzuführen. Zumindest zitierte die Zeitschrift Focus einen namenlosen Ermittler, das bei den Razzien im Mai sichergestellte Material habe zu der Spur der vier Verhafteten geführt. Ob es auch für eine Verurteilung reichen wird, ist völlig unklar. Die wolkigen Beschuldigungen sprechen eher dagegen. Außerdem enden mehr als 90 Prozent der Verfahren wegen Bildung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ohne ein Urteil. Nicht umsonst wird der Paragraf 129a des Strafegesetzbuches deswegen in der Politik gerne als Ermittlungsparagraf bezeichnet, der vor allem dazu dient, Hausdurchsuchungen und Überwachungen zu ermöglichen, um mehr über bestimmte Szenen zu erfahren. Die Anwälte der Beschuldigten sind sich sicher, dass es keine Belege für eine Verbindung zwischen der Militanten Gruppe und den Festgenommenen gibt. „In den Akten, die wir jetzt haben, ist eine Verbindung zur Militanten Gruppe nicht im Ansatz zu erkennen“, sagte beispielsweise Sven Lindemann, Anwalt eines der Inhaftierten. Im Haftbefehl steht dazu lediglich, der Anschlag auf die Bundeswehr-Laster weise „eine Vielzahl von Parallelen“ zu Brandanschlägen auf, zu denen sich die mg bekannt habe. Die Inhaftierten selber schweigen zu den Vorwürfen. Die Bundesanwaltschaft hat noch bis Mitte August Zeit, bessere Beweise zu finden. Dann muss sie einen Haftprüfungstermin ansetzen. |
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