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„Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht“„Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht“ Ich bin von ganzem Herzen ein Autonomer. Ich möchte die herrschenden Verhältnisse überwinden. Ich bin der Auffassung, dass dafür ein Organisierungsprozess und ein kontinuierlicher Kampf, der auch Militanz und Bewaffnung einschließt, unumgänglich werden wird. Insofern verfolge ich beispielsweise das Projekt Interventionistische Linke oder auch die militante Kampagne zum G8 und ihre jeweiligen Entwicklungen mit großen Sympathien. Ich war zusammen mit anderen Genoss/innen aus der autonomen Bewegung Teil der G8-Protest-Vorbereitung. Wir waren an der Planung und Durchführung von verschiedenen Aktionstagen und der Infrastruktur beteiligt. Wir haben auf unterschiedliche Weise, an unterschiedlichen Orten mitgeredet und uns eingemischt. In unseren Räumen, auf unseren Veranstaltungen, mit unseren vielfältigen Mitteln mobilisierten wir inner- und außerhalb unseres Umfelds viele Menschen zur Demo und den Blockaden. Wir waren nicht unmittelbar an der Vorbereitung der 2.-Juni-Demo beteiligt, wir fühlten uns jedoch eingeladen und luden ein, am black bloc in Rostock und an den Blockaden um Heiligendamm teilzunehmen. Unsere Gruppen und viele unserer Freund/innen kamen nach Rostock, Wichmannsdorf und Reddelich und schlugen dort ihre Zelte auf. Im Nachhinein mussten wir feststellen, dass wir sowohl am Samstag, dem 2. Juni als auch am Mittwoch, dem 6. Juni zwar willkommen waren, auch und vor allem in den ersten Reihen, aber nicht das gesamte Repertoire unserer politischer Praxis. Ohne dieses gibt es uns aber nicht. Wir haben uns die gesamte Zeit über, bis zum heutigen Tag, ausgetauscht, haben diskutiert und auch gestritten. Diese Auseinandersetzungen lieferten Anregungen für das vorliegende Papier. „militante gruppe - das Salz in der Suppe“* Wir leben nicht mehr in den 1980er Jahren, in denen es eine große militante Bewegung gab, die wenig Wert auf Bündnispolitik legen konnte. Wir sehen die Notwendigkeit, aber auch die Schwierigkeiten von Bündnissen. Auch wenn wir uns nicht mit den Herren aus den Chefetagen von attac, x-tausendmal-quer oder verschiedenen NGOs an einen Tisch setzen würden, auch wenn es uns schmerzt mitansehen zu müssen, wie Genoss/innen mit Jochen Stay und Peter Wahl das Gespräch suchen, können wir nachvollziehen, wenn Genoss/innen derartige Bündnisse eingehen. Dies hatte auch sein Gutes: Es trug dazu bei, dass sich die unterschiedlichen Menschen und Spektren kennen und schätzen lernten und dass auch dadurch das Gesamtbündnis nicht auseinanderfiel und nicht die große Distanzierung einsetzte, trotz abgefackelter Autos schon im Vorfeld und der Steinwürfe in Rostock. Mit großer Kritik hatten wir jedoch wahrgenommen wie Freund/innen und Genoss/innen ein Konzept wie Block G8 propagierten, das alles, was über zivilen Ungehorsam hinausgeht, ausdrücklich ablehnte. Die Erarbeitung und Durchführung eines solchen friedfertigen Konzepts wäre authentischer gewesen, wenn es Kreise umgesetzt hätten, die eine solche Politik tatsächlich auch betreiben. Solche Kreise - wie beispielsweise x-tausendmal quer - waren dazu allein offensichtlich nicht in der Lage. Wir bedauern, dass unsere Genoss/innen dennoch das Block-G8-Konzept zu ihrem Ding erklärten, dort ihre Kräfte hineingesteckt haben und nicht ein nach links hin offenes Konzept gefahren haben. Wir teilen die Einschätzung, dass sich die Massen auch an einem anderen, offeneren Konzept beteiligt hätten, wenn dieses statt dessen beworben worden wäre. So können wir nun als hinterher Klügere feststellen: Es wäre mehr drin gewesen, wie beispielsweise eine Überwindung des Zauns um Heiligendamm. Viele hatten jedoch noch nicht einmal damit gerechnet, bis zum Zaun vordringen zu können. Dass dies gelang, war tatsächlich ein gewisser Erfolg. Andere aber wollten mit einem Sternmarsch bis zum Kempinski-Hotel in Heiligendamm. Deren Erwartungen wurden nicht erfüllt. Wenn unsere Genoss/innen von Block G8 und der IL nun von �vollem Erfolg� sowie von �Sieg� sprechen und sich abfeiern, stellt dies unter anderem eine traurige Begrenztheit dessen dar, was sie für sinnvoll und erreichbar hielten. Und sie verhalten sich damit ambivalent zu der schönen Tatsache, dass sie von den Massen überrannt wurden, dass die Blockade-Teilnehmer/innen die Angelegenheit selbst in die Hand genommen haben und vor Ort geblieben sind, während die Organisator/innen abziehen wollten. Mit ihrem Erfolgssprech werden sie außerdem blind für eigene Fehler und verschweigen damit auch die eigenen Niederlagen und alles, was nicht wie gewünscht gelungen ist, wie beispielsweise die Akzeptanz der verschiedenen Aktionsformen. Selbstkritik wäre auch bei ihnen angebracht. „Mehr Bewegung am 2. Juni“ An der Demonstration am 2. Juni in Rostock nahmen in den Blöcken der IL, des revolutionären Bündnisses und des Ums-Ganze-Zusammenhangs etwa 20.000 Linksradikale teil und waren damit die größte Fraktion. Rückblickend wollen wir nicht von Erfolg oder gar von Sieg sprechen. In einem Punkt freuen wir uns aber sehr: Über die Militanz des 2. Juni. Sie war eine kollektive, militante Intervention. Sie stellte wie keine andere Aktion dieser Tage die Unversöhnlichkeit mit den herrschenden Verhältnissen und der Politik der G8-Staaten heraus. Sie brachte zum Ausdruck, dass Menschen bereit sind, sich Räume jenseits des vorgegebenen Rahmens zu erobern und anzueignen. Sie war beeindruckend auch für viele, die sie nicht gut fanden. Sie war ein Event und ein Anlass für zahllose Diskussionen. Auch deswegen sind wir froh, dass es sie gab. Ohne Militanz - auch wenn es im Überblick betrachtet verhältnismäßig wenig davon gab - hätte den diesjährigen Anti-G8-Protesten etwas gefehlt. Im Nachhinein war es richtig, bereits am Samstag und während der Demonstration militant einzugreifen, und nicht Tage später in der Nähe irgendwelcher kleiner Kundgebungen. (Obwohl ein anderer Ort als der Hafen für unsere Intervention sinnvoller gewesen wäre, siehe unten.) Am Samstag gab es noch die Einschätzung, dass wir nach Rückfahrt der Demo-Busse ab Montag relativ allein sein werden und möglicherweise von den Bullen eingemacht werden. Mit dem „Battle of Rostock“ wurde bereits am Samstag, und damit von Beginn an klar gemacht - und es blieb die ganze restliche Woche präsent: Die Unversöhnlichen sind auch da. Also diejenigen, die nicht nur im legalen Rahmen, den uns der Staat gewährt, mitmachen, die nicht allein die G8 delegitimieren wollen, sondern sie angreifen und bekämpfen. Wir beziehen uns positiv auf den gesamten Samstag ohne unsere Selbstkritik zu verschweigen, die an anderen Stellen bereits ausgeführt wurde: Als der Demonstrationszug am Hafen ankam, die Polizeiübergriffe auf die Demonstration begannen, waren viele der schwarzen Reihen bereits zum Platz vor der Bühne vorgedrungen oder sonst wohin verschwunden. Wir und der black bloc, haben es nicht hinbekommen, dass die Menschen stehen bleiben, Ketten bilden, den Platz verteidigen, damit die Polizei nicht reingehen kann. Im weiteren Verlauf kam es außerdem zu Steinwürfen von weit hinten, die eigene Leute trafen. Der Ort der Auseinandersetzung war nicht der beste. Die vielleicht geeignetste Stelle für eine Zuspitzung wäre das bewusst an der Demo-Route gelegene Radisson-Hotel gewesen. Das Hotel und die darin residierende US-Delegation waren ein aussagekräftiges Ziel. In der Gegend gab es zahlreiche, für einen Angriff nützliche Gebrauchsgegenstände. An diesem Ort, inmitten der Stadt, war eine Auseinandersetzung von der Polizei nicht gewünscht. Hier hätte sich die Polizei - anders als am Hafen - vermutlich nicht eskalierend verhalten. Ein militanter Angriff hätte - und zwar genau an diesem Ort - organisiert werden können und müssen. Dann hätte die Demonstration einen anderen Verlauf genommen und manch einer wäre danach vielleicht nicht ganz so unglücklich gewesen. Nicht nur das haben wir verschlafen. Doch dem Wunsch nach geplanter, abgesprochener, möglichst zielgenauer und organisierter Militanz stehen zwei Schwierigkeiten gegenüber. Einmal der Staat, der allzu offene Absprachen mit allerlei Gesetzen und Repression zu verhindern versucht und für derartige Pläne zur klandestinen Kommunikation zwingt, die leider auch oft das Ende der Kommunikation zwischen Genoss/innen bedeutet. Zum anderen liegt es an unserer Unfähigkeit, militante Interventionsformen laut zu denken, offensiv zu besprechen und dann eben auch zu organisieren. In diesem Zusammenhang wurden auch von der Demo-Organisation und -Leitung Fehler begangen. Ihr Lautsprecherwagen wurde demonstrativ zum Teil der stationären Polizeiabsperrung vor dem Hotel und sollte einen möglichen Sturm auf die Residenz der US-Delegation verhindern. Er sollte allen klar machen: Wer hier angreift, attackiert die Demoleitung. Diese Befriedungstaktik war ein politischer Fehler. Auch wenn die Demoleitung dies anders sieht, wird sie sich eingestehen müssen, dass das Abstellen des Lautsprecherwagens an diesem Ort auch in ihrem Sinne ein Fehler war, weil sie damit ein Instrumentarium zurückließ, das sie später hätte brauchen können. Wenn Militanz aus den großen Veranstaltungen - Demo und Blockaden - bewusst herausorganisiert wird, wenn noch nicht einmal wie auf vergangenen WWG/G7-Demos in Deutschland ein Militanter auf der Großdemonstration sprechen darf (wohlgemerkt weil sich die IL dagegen ausgesprochen hatte, nicht das breite Demo-Bündnis), wenn die Militanten aber - wie jeder weiß - kommen werden, dann war es nur konsequent, dass diese ihre Anwesenheit zum Ausdruck bringen und Steine haben sprechen lassen. „Steine, Gewalt“ Wir wissen, dass die Eskalation nicht am 2. Juni 2007 begann. Man könnte, um der Öffentlichkeit und den Medien die Militanz zu erklären, 40 Jahre zurückblicken und auf die Ermordung Benno Ohnesorgs durch einen Berliner Zivilpolizisten verweisen, oder auf die Hausdurchsuchungen und die repressive Stimmung im Vorfeld des G8-Gipfels, auf Personalienfeststellungen, Platzverweise und massive Kontrollen in Mecklenburg-Vorpommern in den Wochen und Tagen vor Gipfelbeginn. Man könnte aber auch auf die kampfbereitstehenden Polizeieinheiten verweisen. Polizisten haben schon Menschen aus der Demonstration herausgegriffen, bevor ihr erster Wagen platt ging. Die Polizei suchte die Auseinandersetzung. Aber die Straßenschlachten in Rostock gingen von uns aus. Es krachen zu lassen gehört spätestens seit Seattle dazu. Das wissen sogar Mitglieder der Jugendorganisation ['solid], die sich ganz praktisch daran beteiligten. Die Riots waren keine unmittelbare Antwort auf die Repressionen im Vorfeld. Sie waren ein Ausdruck unseres Antagonismus. Und somit haben wir zusammen mit dem black bloc Inhalte durch unsere Protest- und Widerstandsformen vermittelt: Den Inhalt der Unversöhnlichkeit. Und hier zeigen sich Parallelen und Unterschiede zu Block G8: Ihre Inhalte vermittelten sie ebenfalls durch die Protestform: Stören und Blockieren, allerdings auf versöhnliche Art und Weise. „Das größte Schwein im ganzen Land ist und bleibt der Denunziant“ Vom späten Nachmittag des 2. Juni bis heute hören wir immer wieder Distanzierungen à la die Autonomen gehören nicht zu uns. Und: Wir müssen in Zukunft mit der Polizei zusammenarbeiten. So beispielsweise vom Geschäftsführer der DFG-VK und Demoanmelder. Mit seinen letzten Worten auf der Abschlusskundgebung am Freitag, dem 8. Juni, blieb er hinter den attac-Kadern zurück, die zwischenzeitlich auch die Polizei kritisierten. Für ihn waren die „ein paar wenige“, die „unsere Demo“ „kaputt gemacht“ haben, ausdrücklich nicht die Polizei. In einem ZDF-Interview antwortet er auf die konkrete Aufforderung zur Denunziation, dass ihm keine Erkenntnisse über die vermeintlichen „Gewalttäter“ vorliegen. Mit keinem Wort weist er die Aufforderung zur Denunziation zurück. Seine Antwort impliziert die Bereitschaft, dies bei Vorliegen von Erkenntnissen zu tun. Ein attac-Koordinierungskreis-Mitglied fordert in Zeitungsinterviews und auf öffentlichen Veranstaltungen - und das ist offensichtlich sein einziger Inhalt - eine Distanzierung von den Autonomen. Er möchte bei zukünftigen Demonstrationen einen eigenen Ordnerdienst aufstellen. Ein anderer findet es richtig, sich von Gewalttätern abzugrenzen und die eigenen Reihen zu sortieren. Sämtliche anderen attac-Koordinierungskreis-Kollegen stoßen ins selbe Rohr. Was bedeutet das Gerede von eigenen Ordnerdiensten und der Zusammenarbeit mit der Polizei? Ordner/innen gab es in Rostock, und ebenfalls viele Menschen, die auf Steinewerfer/innen einwirkten. Das allein kann die Funktion der neuen Ordner/innen also nicht sein. Was soll also deren Bestimmung sein? Wir ahnen nichts Gutes. Denn von dem, was da von sich gegeben wurde, bis zur Aufforderung nach Auslieferung der eigenen Leute an die Polizei, ist es kein großer Schritt mehr. Mit Menschen, deren Denken und Handeln von dieser Logik bestimmt ist und die der Repression zuarbeiten, wollen wir nach wie vor nichts zu tun haben. Neben attac war auch die radikale Linke in der Medienöffentlichkeit stark präsent, allerdings hat diese dabei nur wenig radikale Inhalte vermittelt. Und die daran beteiligte IL hatte auch ihre Schädels, Giegolds und Wahls. Damit meinen wir nicht Pedram Shayer, der zwar in der IL ist, dort aber nichts zu sagen hat, sondern Genossen, die uns inhaltlich, teils auch persönlich nahe stehen. Hier erlauben wir uns Kritik und zwar in aller Schärfe, weil wir uns mit diesen Genossen weiterhin punktuell organisieren und inhaltlich weiterentwickeln wollen - und weil sie keine Denunzianten werden sollen. Wir finden es falsch, sich ungezwungen und öffentlich von Steinwürfen zu distanzieren, wie es geschehen ist. Das hat uns ehrlicherweise geschockt und uns drängte sich die Frage auf, was erst passieren wird, wenn es einmal zu mehr als Steinwürfen kommen wird. Generelle Entschuldigungen für die Riots, diese zu charakterisieren mit Worten wie „menschenverachtend“, „Krawall“ und „Radau“ sowie Aussagen wie „Der Protest ist uns entglitten“ bzw. „aus dem Ruder gelaufen“ oder „Wir [die IL] haben deutlich gesagt, dass die Autonomen dort [bei Block G8] nicht willkommen sind“, sind nicht mit Überforderung zu rechtfertigen. Wer solches Polizeivokabular benutzt und solche ordnungspolitischen Statements abgibt, denkt in gewisser Weise auch so. Deshalb ist dies keine Frage der Überlastung, sondern eine zutiefst inhaltliche. Nach den Ereignissen vom Samstag haben die Genossen von Block G8 und der IL viel Wert auf Friedfertigkeit gelegt und sich indirekt („zieht euch nicht schwarz, sondern bunt an“) oder direkt („Wir wollen keine Schlägereien mit der Polizei“) abgegrenzt. Wie schon beim Berliner MayDay 2007 wurden bestimmte Kreise, teils so bezeichnete „Chaoten“ und „Krawallmacher“, explizit ausgeladen. Die sollten doch bitte woanders hingehen. All diese praktizierten Politikformen haben auch einen Einfluss und sowohl direkte als auch indirekte Auswirkungen auf uns und unser politisches Handeln. Die Abgrenzungen und Distanzierungen werten wir als politischen Fehler. Das gilt auch für die nur im sehr kleinen Kreis abgesprochenen Gesprächsangebote an die Polizei und die daraufhin stattgefundenen Gespräche von einzelnen Vertretern (aus IL/Block G8 sowie dem Anmelder der Rostock-Laage-Kundgebungen) mit derselben. Das alles wäre einfach nicht nötig gewesen. Wir brauchen eine Auseinandersetzung über Ordnungsvorstellungen, die seit Rostock im Raum stehen: Über die Aussagen, Menschen sortieren, ausladen, ausgrenzen und nicht mehr in den eigenen Reihen haben zu wollen, über die Versuche, Protest und Revolte in geregelte Bahnen zu kanalisieren. Auf der angedachten Konferenz, mit der sich die IL im Spätjahr präsentieren will, sollten wir nicht nur zu hören bekommen und darüber sprechen, wie toll alles war, sondern auch wie die Aktivist/innen der IL im Nachhinein zu ihrer Politik stehen und welche Schlüsse aus den Erfolgen und vor allem aus den Fehlern gezogen werden können. Insbesondere in diesem Punkt will ich mich einbringen und mitstreiten. Anton * Die Zwischenüberschriften sind Parolen, die auf der Demonstration am 2. Juni 2007 als Sprechchöre zu hören oder auf Transparenten und Flugblättern zu lesen waren. |
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