G 8: Protestformen
Antidot – Zeitung der widerständischen Linken / Zürich Nr. 10 vom 29.06.2007, S. 12
Gegen die Tagung der G 8 Staatschefs in Rostock-Heiligendamm wurde das gesamte Formenrepertoire des außerinstitutionellen politischen Protestes der letzten 40 Jahre auf die Strasse gebracht. Was sagen diese über sich selbst und ihre wesentlichen Trägergruppen aus, was folgt daraus?
Als genuine Protestformen können aufgezählt werden:
- Die Besetzung und pink farbene Bemalung eines malerisch gelegenen Schießstandes auf dem Militärgelände Bombodrom am Freitag in der Kyritzer Heide durch Einheimische, außerinstitutionelle Gewaltfreie, Antimilitaristen und Autonome, die in Momenten nicht ganz frei von einer selbstgenügsamen alternativen Nischenbildung war.
- Die kollektive Massendemonstration am 2. Juni in Rostock mit ca 70.000 TeilnehmerInnen, die hauptsächlich getragen wurde von einer Vielzahl von politischen Gruppen und Netzwerken aus dem links-orthodoxen Spektrum, das von Attac, vereinzelten Gewerkschaftsgruppen, der Linkspartei bis hin zu den Grünen reicht. Durch eine Vielzahl mitgetragener großformartiger Puppen besaß sie zum Teil unterhaltsame karnevaleske Züge. Die Idee hinter dieser Form ist wohl die, das wir „echt viele!“ im Horizont einer vorgestellten Mehrheit sind, deren Absichten zumindest in einer Demokratie berücksichtigt werden sollten.
- Das Auftreten eines darin weitgehend homogen schwarz vermummten Blockes mit anschließender Randale. Seine Präsenz wird wohl von den Bullen in einem spontan dazu eingenommen Militärhorizont am ehesten gefürchtet wie begehrt, wenn auch natürlich nicht gutgeheißen. Hier wird sehr schnell eine Art Bürger- oder Partisanenkrieg insinuiert. Das kommt zunächst dem Interesse des staatlichen Sicherheitsapparates nach einer klaren Frontenbildung auf einem Terrain entgegen, auf dem er definitiv die stärkere Konfliktpartei ist: Die militärische Bewaffnung. Konkret sorgten aber fliegende Grauwackes und ein (!) brennendes Auto in Rostock nicht nur für Retro-Bilder aus den 80er Jahren, sondern führten auch zeitweise zu einem Kontrollverlust der Polizei als Ordnungsmacht: Ein für alle beunruhigendes Bild.
- Die auf der Abschlussversammlung im Hafen gehaltenen Kundgebungsbeiträge als eine Art Ersatzparlament der Strasse. Sie wurden aber weitgehend bezugslos zu der gleichzeitig stattfinden Randale vorgetragen. Dort wo ein direkter Bezug zur Randale von externen Journalisten gewaltsam hergestellt wurde, wurde der Sinn einer öffentlichen Rede in politisch außerordentlich interessierter Weise gefälscht.
- Die im Zusammenhang mit den folgenden Protestaktivitäten errichteten Camps in Rostock, Reddelich und Wichmannsdorf, die in hippiesker Weise mehreren tausend Menschen Logistik, Volxküche, Waschgelegenheiten und Platz boten. Hier sollte und hier wurde schlicht ein „Anderes Leben' im Horizont der demonstrativen Armutskollektivität vorgeführt. Sie sollten den Raum für die Diskussion von Sachthemen: Bildung, Weiterbildung und die 'richtige' Position eröffnen.
- Kleiner angelegte, thematisch begründete Manifestationen zu besonderen „Sachthemen“, wie z.B. Militarismus, Krieg und Flüchtlingsmigration. Sie waren leicht von der Polizei mit allem möglichen Gerät und Kampftruppen zu belagern, und auch so konnten die TeilnehmerInnen weitgehend zu unbeweglich gemachten Monumenten ihres politischen Anliegens gemacht werden.
- Ein Alternativgipfel als akademisches Forum für Experten einer globalen Gegenelite, die nicht sich selbst, sondern andere über etwas aufklären wollen, was diese noch nicht zu wissen scheinen. Der Name verrät es bereits, dass es sich hier in der Form fast um dasselbe handelt wie der reale Gipfel, nur von unten und mit anderen Interessen und Zielen.
- Diverse Rock- und Musikkonzerte gegen G 8 im Hafen, die real leicht zu habenden Drogen- Musik- und Lustkonsum mit einem politischen Anspruch zu verbinden suchten.
- Eine agile phantasievoll vermummte Clowns-Army die – wo immer möglich - stundenlang um die Polizeieinheiten herumspielte, spezifische Konfrontationen z.B. durch das Putzen von Uniformen einzelner Polizeibeamter herzustellen suchte, um diese der Lächerlichkeit preis zu geben. Sie hielt diese Form selbst bei Zugriffen der Ordnungsmacht weiter aufrecht. Der Fokus liegt hier ganz unmittelbar auf das Bloßstellen sinnloser Hierarchie, Uniformierung, Ordnung und Repression im Horizont des schallenden Gelächters
- Exklusive Elite-Aktionen der privatförmig strukturierten Organisation / Firma Greenpeace zum Teil mit exorbitant teuren ps-leistungststarken Motorbooten.
- Ein kollektiver, unangemeldeter, unaufhaltsamer Massenmarsch an allen Polizeikampftruppen vorbei und mitten hindurch querfeldein direkt in die Rote Zone. Im Ergebnis wurde dadurch das gesamte politisch-polizeitaktisch motivierte Sicherheitskonzept sprichwörtlich überrannt und über den Haufen geworfen.
- Mehrere riesige gewaltfreie Sitzblockaden im Horizont der real querulatorischen Ghandischen Gegengewalt der unbewaffneten Körper, die den Bruder oder die Schwester Polizist unberührt lassen soll.
Alle diese Protestformen könnte man versuchen zu gruppieren: Die, die in unterschiedlichen Stilen 'gut´ oder `böse´ sein' wollen, die, die die intelligent, die effektiv sein wollen, die die irritieren oder kämpfen wollen, die, die anders leben wollen. Wenn man Politik als unmittelbaren Kampf um die Macht gegen das G8-Imperium versteht, sind in einem strategischen Sinne mit allen Protestformen in allen Spektren erheblich mehr Clowns unterwegs, als man bereit ist, es zuzugeben. Clowns, verstanden als Narren verkörperten im Mittelalter die einzige bei Hofe zugelassene Form der Kritik. Wenn sie zu sehr störten, wurden sie entfernt, manchmal auch umgebracht. Politik lässt sich aber auch gerade in ihren konkreten Formen auch ganz anders verstehen. Dann wäre es gerade unter dem Formaspekt sehr interessant die Frage jeweils an Autonome, Attacis, Clowns, Linksparteiler, Greenpeacler, außerinstutionelle Gewaltfreie, Linke und Legalisten zu stellen, was sie mit dem Heiligendammer Luxustagungshotel angestellt hätten, wenn sie dort unkontrolliert hätten anlanden können: Ein Symposium, eine Art Parteitag, oder eine Vollversammlung durchführen, ein Organisationsbüro für kommende Kampagnen einrichten, einfach das Büfett leer fressen, die Räume bunt bemalen, ein alternatives Tagungshaus mit Vokü einrichten oder den ganzen Komplex verwüsten und niederbrennen? Gerade auch nach Rostock ist es spannend die Antwort auf diese Frage in allen Ecken und Winkeln der G8-Bewegung herauszufinden.
Markus Mohr