Provokateure raus!

junge Welt 16. Juni 2007

Unter den Militanten bewegen sich die Geheimdienstleute wie Fische im Wasser. Die Linke darf nicht in die Gewaltfalle laufen

Von Jürgen Elsässer
Am 8. Juni meldete die Deutsche Presseagentur (dpa): »US-Sicherheitskräfte haben die Kontrollen um den G-8-Gipfel in Heiligendamm nach dpa-Informationen mit dem Transport einer geringen Menge Sprengstoff getestet. Der in einem Koffer versteckte Plastiksprengstoff sei von den deutschen Beamten an einer Kontrollstelle in einem Auto entdeckt worden, erfuhr die dpa. Obwohl es sich um eine ›sehr kleine Menge‹ gehandelt habe, schlug demnach die Durchleuchtungstechnik Alarm. Daraufhin hätten sich die zivil gekleideten Insassen als US-Sicherheitskräfte zu erkennen gegeben.«

Die Fragen, die sich daraus ergeben, hat als erstes der Investigativjournalist Mathias Bröckers formuliert: Was hätten die »US-Sicherheitskräfte« gemacht, wenn das Material bei der Kontrolle unentdeckt geblieben wäre? Hätte die »sehr kleine Menge« ausgereicht, um Wolfgang Schäuble und der Bild-Zeitung (»Chaoten, wollt ihr Tote ?«) Genüge zu tun? Reicht es, nach der Entdeckung einer Straftat einen CIA-Ausweis zu zücken und »Sorry, war nur ein kleiner Test« zu nuscheln, um fröhlich seiner Wege zu ziehen? Gilt in Deutschland statt Grundgesetz und Strafgesetzbuch der Patriot Act, weil Präsident Bush im Lande weilt?

Der Bombenanschlag, den die US-Spione den Demonstranten in die Schuhe geschoben hätten, blieb uns erspart. Bei vielen anderen Gelegenheiten in Rostock und Heiligendamm konnten V-Leute – die junge Welt hat es dankenswerter Weise dokumentiert – aber tatsächlich Gewalttaten verüben. Zusammen mit den Steinewürfen und Zündeleien der Autonomen, deren Ausmaß von Polizei und Medien stark übertrieben wurde, die es aber dennoch in größerem Umfang als in den vergangenen Jahren gab, reichte das aus, um die Proteste gegen den G-8-Gipfel zu diskreditieren.

Anstatt nun aber die Strategie der Geheimdienste zu entlarven und Überlegungen zu entwickeln, wie die Linke künftig die Gewaltfalle vermeiden kann, jubelt Dr. Seltsam die Staatsterroristen zu Geburtshelfern einer neuen revolutionären Bewegung hoch. »Die ganze innerlinke Diskussion um die Polizeispitzel im Schwarzen Block kann man sich schenken: Wenn die Bewegung soweit ist, werden sie nicht als Agents Provocateurs für die Polizei wirken, sondern aus Versehen mithelfen, das Fanal einer neuen Revolte zu entzünden.« Genau so sei es auch 1967 gewesen, als der Polizeispitzel Peter Urbach die Mollis zum Flambieren der Springer-Zeitungswagen mitbrachte. Das war für Dr. Seltsam der »zündende Funke« für die 68er Revolte, und er meint das durchaus positiv. Muß man Angst haben, daß der Gute sich demnächst beim Staatsschutz für solche zündenden Hilfsdienste bewirbt – zur Förderung des »letzten Gefechts der Weltrevolution«?

Claudia’s little helpers

Dabei teile ich die Einschätzung vieler Linksradikaler, daß sich große Teile des bürgerlichen Protestspektrums de facto als heimliche Alliierte der Kanzlerin präsentiert haben. Aber dies ist kein Problem ihrer Aktionsformen, sondern ihrer Inhalte – und die sind bei den Autonomen nicht besser.

Ein Beispiel ist die Degeneration des Internationalismus zum Antinationalismus. Claudia Roth schreibt über die Globalisierung: »Die Akzente der Diskussion liegen heute noch immer zu einseitig auf der Abwehr, auf der illusorischen Re-Nationalisierung (… ).« Linke Politik, wie sie sich die Grünen-Chefin vorstellt, »verläßt ihren alten Bewußtseinskasten Nationalstaat, in dem sie zu lange festsaß«.

Das sehen die Linksradikalen von der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB) ganz ähnlich. In ihrem Aufruf zur Gipfelblockade heißt es: »Die Antwort auf all das kann jedenfalls nicht die Rückbesinnung auf den bürgerlichen Nationalstaat sein, der schon immer die Betriebsbedingungen des Kapitals garantiert hat (…).« In der Erklärung der Interventionistischen Linken (IL) wird gewarnt vor dem »nicht selten offen reaktionären Charakter der Widerstände gegen den imperial(istisch)en Krieg«, weshalb »internationale Solidarität (…) heute nicht mehr umstandslos als Einheit der Linken im Norden mit den Aufständen im Süden gedacht werden kann«.

Damit ist auch klar, warum kein Vertreter des irakischen oder libanesischen Widerstandes zu den Gipfelprotesten eingeladen wurde. Die selbsternannten Militanten aus Kreuzberg und Altona wollten die wirklichen Militanten aus Beirut und Bagdad nicht dabeihaben, da die sie bei ihren Revolutionsspielchen stören könnten. Ist das nicht die Spaltung der Bewegung, die sie ansonsten den bürgerlichen Vertretern von ­ATTAC und Co. vorwerfen?

Anstatt den Aufständischen in anderen Weltgegenden Zensuren zu erteilen, sollten sich die Autonomen lieber Gedanken machen, wie auch hierzulande die Globalisierung gebremst werden könnte. Um nur einige Vorschläge zu nennen: Durchsetzung von Mindestlöhnen für alle Branchen; Betätigungssperre für Heuschrecken-Fonds aus unkontrollierbaren Steuerparadiesen; Schluß mit dem Verhökern öffentlichen Eigentums. Alle diese Maßnahmen müssen im und vom Nationalstaat durchgesetzt werden, durch nationale Gesetze. Wer jedenfalls einen Stopp der Privatisierung kommunaler Betriebe fordert, muß den Ungehorsam des deutschen Gesetzgebers gegenüber Brüssel propagieren, von wo aus der Ausverkauf oft verordnet wird.

Politik wie im Kino

Die ganze Militanzdebatte hat eine andere Frage in den Hintergrund gedrängt: Warum waren bei der großen Auftaktdemonstration in Rostock eigentlich weniger Leute als erwartet? Die Polizei sprach von 25000, die Veranstalter von 80000 – die Wahrheit dürfte wie immer in der Mitte liegen. In jedem Fall wurde die vorher groß postulierte Marke von 100000 Teilnehmern weit verfehlt. Wer dies mit der Einschüchterung durch die Razzien im Vorfeld erklärt, lügt sich in die Tasche: In Wirklichkeit haben die martialischen Durchsuchungen in den Vorwochen der Mobilisierung einen Kick gegeben.

Die Linke kann sich nicht auf Events für Minderheiten kaprizieren, wenn sie die Macht im Staat erobern will – dazu braucht sie die Bevölkerungsmehrheit. Unsere Aktionen müssen also immer vermittelbar sein – was nicht dasselbe wie langweilig oder gewaltfrei ist. Die Blockadeaktivitäten, die Vorstöße zum Zaun, der Schlauchboot-Angriff von Greenpeace – das hatte Spannung und Drive wie ein guter Krimi. Das dürfte selbst vielen Coach potatoes vor der Glotze gefallen und sie zum Mitmachen beim nächsten Mal animiert haben. Sobald aber Kintopp in Brutalität umschlägt und echtes Blut fließt, bleiben die Leute weg.

Linke und Gewalt

Die Gewinnung von Mehrheiten ist eine notwendige, allerdings nicht ausreichende Bedingung für den Sozialismus, wie das Beispiel Chile zeigt. Dort kam die Volksfront von Salvador Allende 1970 in freien Wahlen zur Macht – wurde aber drei Jahre später von der Armee mit CIA-Unterstützung weggeputscht. Der friedliche Übergang zum Sozialismus hatte nicht geklappt.

Das Scheitern des friedlichen sprach aber nicht gegen den demokratischen Weg, wie Hugo Chávez 25 Jahre später in Venezuela demonstrierte: Er ließ sein Vorgehen über Wahlen und zusätzlich über Plebiszite legitimieren, sicherte jeden Schritt über die Verfassung ab. Als dann 2002 die CIA wieder putschen wollte, hielt – anders als bei Allende – ein Großteil der Armee zu ihm. Das ist die erfolgreiche Version des bewaffneten Weges zum Sozialismus: Nicht, wie bei den Guerillagruppen, gegen die Sicherheitsorgane des bürgerlichen Staates, sonder mit ihnen, oder besser: mit ihren nicht-faschistischen Teilen.

In Deutschland unternimmt derzeit die aggressivste Fraktion des Finanzkapitals den Versuch, die Verfassung zu beseitigen: das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes, die Beschränkung der Bundeswehr auf die Landesverteidigung, der Schutz der Privatsphäre, die Gewaltenteilung. Aus einer bürgerlichen Republik soll eine Kolonie des globalen Imperiums werden. Eine Mehrheit der Bevölkerung ist dagegen, weiß sich aber nicht zu helfen, obwohl das Grundgesetz einen Weg weist: »Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.« Unter bestimmten Bedingungen war Gewalt von unten also selbst für die Gründerväter der BRD legitim.

Glaubwürdig kann die Linke diesen Widerstandsparagraphen jedoch nur für sich reklamieren, wenn sie sich als Verteidigerin und nicht als Feindin der Verfassung präsentiert. Dies schließt die darin festgeschriebene Garantie des Privateigentums ein – allerdings auch dessen soziale Bindung und die Möglichkeit für Enteignungen, mit anderen Worten: das venezolanische Übergangsmodell zum Sozialismus. Für dieses Programm sind nicht nur Christdemokraten wie Heiner Geißler und Norbert Blüm zu begeistern, sondern auch Polizisten und Soldaten, die immerhin einen Eid auf das Grundgesetz geleistet haben. Im übrigen: Auch die Uniformierten sind Opfer des Neoliberalismus. Beim G-8-Gipfel zum Beispiel mußten sie in brütender Hitze -zig Überstunden schieben und bekamen schlechte Verpflegung. Hätte man sie in dieser Situation nicht eher mit Leckereien aus der veganen Volksküche ködern können – anstatt sie mit Pflastersteinen zu bewerfen? Manchmal geht nicht nur die Liebe, sondern auch der Klassenkampf durch den Magen. Und wer öfter mit Revolutionären geschlemmt hat, wird irgendwann die Gulaschkanonen umdrehen.

Die Debatte wird fortgesetzt.

http://www.jungewelt.de/2007/06-16/019.php