Bunt und friedlich

OZ 9. Juni 2007

4000 Menschen trafen sich gestern in Rostocks Stadthafen zur Abschlusskundgebung der G8-Kritiker.

Rostock (OZ) Eigentlich sollte die Abschlusskundgebung der Globalisierungskritiker in Rostocks Stadthafen um 13 Uhr beginnen. Zu der Zeit langweilen sich dort jedoch nur ein paar Polizisten des Antikonflikt-Teams der Berliner Polizei. „Die meisten kommen gerade erst am Bahnhof an“, gibt Polizistin Corinna Krieger bereitwillig Auskunft. „Einige wohl direkt von den letzten Blockaden.“ Die 28-Jährige war in den vergangenen Tagen bei mehreren Protestaktionen eingesetzt. Ihre persönliche Bilanz: „Wir hatten viele nette Gespräche mit den Demonstranten, Steinewerfer waren ja die wenigsten.“ Auch andere Erinnerungen nimmt sie mit. „Einmal standen wir mitten im Kornfeld, wo hat man das schon in Berlin?“

Die Teilnehmer aus Doberan und Wismar sammeln sich zu diesem Zeitpunkt gerade am Bahnhofsvorplatz. Mit 2000 Leuten steht dort auch Alessandro, ein italienischer Philosophiestudent, in der sengenden Mittagshitze. Um ihn herum ein Gewirr von Fahnen und Transparenten. „Yes, from Milano. No G8!“. Der 22-Jährige ist extra hergekommen, um gegen den Gipfel zu demonstrieren. Die meisten, die wie er gerade mit der Bahn ankamen, haben die Nacht im Camp verbracht, Blockaden hinter sich und Wasserwerferattacken. In Rostock wollen sie jetzt nur noch feiern.

Wie am vorigen Samstag marschiert der Protestzug durch die Stadt. Bunt – und diesmal friedlich. Doch die Polizei ist viel präsenter als am vergangenen Wochenende. Neben einigen, möglicherweise autonomen Teilnehmern, läuft die Polizei in Dreierreihen. „Nie, nie, niedriger Dienstgrad!“, spotten Demonstranten. Andere rufen: „Gebt’s den Leuten, die hier wohnen: G8 kostet 100 Millionen!“

Gegen 14.30 Uhr ist der Stadthafen erreicht. Die Veranstalter schieben die Verspätung auch darauf, dass die Polizei nochmals akribische Personenkontrollen vornahm. Rund 4000 Leute sind auf dem Platz. Peace-Fahnen, Lenin mit Hammer und Sichel. „Ich denke, wir haben das Ding hier gewonnen“, ruft eine Sprecherin auf der Bühne. „Die Polizei soll sich zurückziehen. Wir entlassen sie in ihr wohlverdientes Wochenende. Tschüß!“ Die Menge vor der Bühne quittiert’s mit Beifall.

„Dass noch einmal so viele kommen, hatten wir gar nicht erwartet“, meint Mitorganisator Monty Schädel. „Die Woche war anstrengend, es gab Auseinandersetzungen. Wir dachten, die Leute würden vom Camp gleich nach Hause fahren.“

Auf der Bühne lassen rund 20 Redner nochmals viele Aktionen der Gipfel-Gegner Revue passieren. Der Rostocker Pastor Tilman Jeremias schwenkt riesige Luftballons mit Unterschriften für die „Erlassjahr“-Kampagne der Kirchen, mit der erreicht werden soll, dass die G8-Staaten Entwicklungsländern illegitime Schulden erlassen. Gemeint sind Gelder, die in Afrika nie beim Volk ankamen, weil sie in falsche Kanäle gerieten. Ein Pastor aus Tansania habe berichtet, dass es für sein Land eine Teilentschuldung gab, seit 2006 können Kinder deshalb kostenlos die Grundschule besuchen. Jeremias: „Man kann etwas erreichen.“

Der Hamburger Fotograf Markus Dorfmüller klebt Plakate an eine Wand, die im Holydamnit-Projekt entstanden. Mit Unterstützung von Künstlern aus Senegal, den USA, Israel, Palästina, Österreich und Deutschland seien kostenlos 50 000 Plakate entstanden, die weltweit verschickt wurden und zur Auseinandersetzung mit dem G8-Gipfel beitrugen.

Thomas Seibert von der Hilfsorganisation Medico, die sich u.a. in Afrika engagiert, berichtet, dass in Rostock ganz unterschiedliche Gipfelkritiker Kontakt zueinander fanden – vom Netzwerk „Kein Mensch ist illegal“ über Interventionistische Linke bis zur IG Metall. „Wir alle wollen der Globalisierung von Markt und Kapital die Globalisierung der sozialen Rechte entgegensetzen.“ Seibert: „Rostock ist für uns nicht zu Ende.“

ELKE EHLERS und MARCUS STÖCKLIN