Bundeswehr out of area

junge Welt 14. Juni 2007

Von Frank Brendle
Die Bundeswehr war zum G-8-Gipfel in weitaus größerem Maße eingesetzt als bislang bekannt. Damit ging Hans-Christian Ströbele am Dienstag abend an die Öffentlichkeit. In einer Antwort auf eine Anfrage des Grünen-Politikers räumt das Verteidigungsministerium ein, daß am 5.Juni das Protestcamp der Globalisierungskritiker in Reddelich von einem »Aufklärungstornado« überflogen worden ist. Die dabei gewonnenen Bilder wurden an den Polizeiführungsstab »Kavala« weitergegeben. Angeblich ist der »Tornado« 150 Meter hoch geflogen. Die normale Mindestflughöhe liegt bei 330 Metern. Das Verteidigungsministerium legte am Mittwoch offen, daß im Mai und Juni mindestens vier Flüge mit je zwei »Aufklärungstornados« über dem Gelände rund um Heiligendamm stattgefunden haben. Man müsse die entsprechenden Fähigkeiten üben, »wie man in Afghanistan sieht«, so ein Ministeriumssprecher. Ströbele kündigte eine Verfassungsklage an.

Ulla Jelpke von der Linksfraktion erklärte am Mittwoch, daß die Bundesregierung noch Ende April zugesichert habe, Soldaten würden »nicht in erster Reihe« in der Öffentlichkeit erscheinen. »Das war doppelt gelogen: Zu Lande und in der Luft waren sie unübersehbar.« Die SPD setzte sich vorsichtig von ihrem Koalitionspartner ab. »Demonstranten sind schließlich keine Taliban«, kritisierte SPD-Außenpolitiker Niels Annen die »Tornado«-Flüge. SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz kommentierte auf N24 die Aktion als »politisch dermaßen gaga«, schränkte aber ein, verfassungsrechtlich sei daran nichts auszusetzen.

Union und Bundeswehr beharrten darauf, es habe sich um »technische Amtshilfe« gehandelt. Man habe feststellen wollen, ob die Protestierer »Erddepots« anlegten oder Straßen unterspülten. »Alles das diente dem Zwecke der Gefahrenabwehr«, so Wolfgang Bosbach (CSU). Der parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Christian Schmidt (CSU), behauptete, es sei »keinerlei Geheimhaltung dabei« gewesen. Tatsächlich hatte die Bundeswehr noch vor einer Woche auf Nachfrage von jW bestritten, überhaupt »Tornados« einzusetzen.

Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums räumte gestern gegenüber jW ein, daß zum Gipfel weit mehr als die bislang zugegebenen 1100 Soldaten im Einsatz waren. Weitere 1000 Mann seien inner- und außerhalb militärischer Liegenschaften ausschließlich mit »Sicherheitsaufgaben« betraut gewesen. Genaue Zahlen mitzuteilen, sei der Sprecher »nicht befugt«. Betroffen war auch das Krankenhaus Bad Doberan. Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten Eva Bulling-Schröter (Linksfraktion) berichteten gegenüber jW, Feldjäger hätten sie anläßlich eines Krankenbesuches schon vor der Klinik nach ihrem Ziel gefragt. An der Rezeption hätten Soldaten mit Fotoapparaten gestanden. Angeblich »aus Sicherheitsgründen« sei den Besuchern eine Soldatin gefolgt und habe sich im Krankenzimmer postiert. Bundeswehrsprecher wollten das nicht kommentieren, bestätigten aber, für Teile des Krankenhauses das Hausrecht erhalten zu haben. Die Klinikverwaltung war gestern nicht zu erreichen.

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