Pressestimmen: “Dumm oder dreist”

Financial Times Deutschland 14. Juni 2007

Der Einsatz von Tornados beim G8-Gipfel in Heiligendamm stößt bei den Kommentatoren deutscher Tageszeitungen auf breite Ablehnung. Auch die verantwortlichen Politiker kommen schlecht weg, die Vorwürfe reichen sogar bis zum Dilettantismus.

“Die Tageszeitung” (Berlin):

“Die Bundeswehr versichert, dass die Flugzeuge unbewaffnet waren und keine Demonstranten identifiziert haben. Stimmt das, kann man die Flüge noch als vom Grundgesetz erlaubte “technische Amtshilfe” einstufen. Wer aber im Vorfeld eines hoch umstrittenen Staatsereignisses Bundeswehrjets über dessen Kritiker hinwegdonnern lässt, merkt entweder nicht, dass er damit ein provozierendes Symbol setzt - das wäre dumm - oder er setzt es sogar ganz bewusst. Das wäre dreist. Bisher heißt es im Grundgesetz nur, Amtshilfe sei möglich. Eine gesetzliche Definition, was Amtshilfe der Bundeswehr darf und was nicht, fehlt. Nötig ist aber noch ein ausdrückliches Verbot, die Bundeswehr in innenpolitischen Konflikten einzusetzen.”

“Mannheimer Morgen”:

“Von Wolfgang Schäuble ist seit Jahren bekannt, wie gerne er die Bundeswehr auch in Deutschland in Marsch setzen möchte. Angesichts der von gewaltbereiten Gipfel-Gegnern potenziell wie tatsächlich ausgegangenen Gefahr könnte er deshalb die günstige Gelegenheit ohne öffentliche Diskussion zum Versuch genutzt haben, die Dehnbarkeit der verfassungsrechtlichen Grenzen zu testen. Und Franz Josef Jung hat das nötige Personal samt fliegendem Gerät zur Verfügung gestellt. Eine juristisch saubere Lösung sieht anders aus. Dazu müsste Schäuble eine das Grundgesetz ändernde Zweidrittel-Mehrheit zu Stande bringen. Bisher hat er das nicht geschafft.”

“Kölner Stadt-Anzeiger”:

“Als zuletzt vom Einsatz der Tornados die Rede war, ging es um die Jagd auf Taliban in Afghanistan. Demonstranten sind aber keine Taliban. Schon der Zaun von Heiligendamm und die Geruchsproben von Gipfel-Gegnern waren fragwürdig. In Kombination mit dem “Tornado”- Einsatz ist eine Grenze erreicht. Demonstranten müssen den Eindruck gewinnen, dass der Staat, der von Demonstrationsfreiheit redet, sie einschüchtern will. Berlin hat einen Grundsatz in die unterste Schublade gelegt, der oben auf den Schreibtischen liegen müsste: Zum demokratischen Rechtsstaat gehört die Verhältnismäßigkeit der Mittel.”

“Neue Presse” (Hannover):

“Mit bloßem Auge, also ohne High-Tech-Amtshilfe der Bundeswehr, war in Rostock zu sehen, wie Randalierer bei der Demonstration vor dem G-8-Gipfel Steine sammelten. Die Polizei schritt nicht ein. Die Polizeiführung war wohl zu sehr mit dem Studium hochauflösender Luftbilder beschäftigt. Das wäre nicht verwunderlich, wenn für den Minister beim Großereignis G8 politische Nebengeschäfte Vorrang haben. In Demokratien ist es Sache der Polizei, für Ordnung im Innern zu sorgen. Sie hat es mit Bürgern, also mit Trägern von Grundrechten zu tun. Die Armee schickt man gegen Feinde los.”

“Neue Osnabrücker Zeitung”:

“Sicher, formal ist der Einsatz von Aufklärer-Kampfflugzeugen der Bundeswehr gegen mögliche Störer des G8-Gipfels kaum zu beanstanden. Schließlich entspricht Amtshilfe des Militärs für die Polizei im Inland Recht und Gesetz. Nur, die Qualität ändert sich. Waren Foto- Kampfjets in Amtshilfe früher unterwegs, um etwa die Eltern verschleppter Kinder aus einer grässlichen Ungewissheit zu befreien, oder um aktuelle Lagebilder für die Hochwasser-Abwehr zu beschaffen, geht es jetzt um radikal anderes: Überwachung. Das liegt im Trend. Ob Telefon- oder Bankkontenkontrolle, ob Verseuchung der Städte mit Video- und Web-Kameras der Scannen von Autokennzeichen: Der Staat besäuft sich zunehmend an Kenndaten seiner Bürger.”

FTD.de, 08:35 Uhr
© 2007 Financial Times Deutschland

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