»Das Problem ist immer, das zu verifizieren«

junge Welt 15. Juni 2007

Abwartende Bewertung der G-8-Einsätze durch Berliner Linksfraktion. Sorge um Ruf der Polizei. Ein Gespräch mit Marion Seelig
Interview: Peter Steiniger
Marion Seelig ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende und innenpolitische Sprecherin der Linkspartei.PDS im Berliner Abgeordnetenhaus

Wie bewerten Sie den Einsatz der Polizei in Rostock und rund um Heiligendamm?

Wir hatten am Montag nach der Demonstration in Rostock vom 2. Juni eine Innenausschußsitzung. Ich selber war nicht Vorort, habe mir aber von Volker Ratzmann von den Grünen sagen lassen, daß die Berliner Polizei dort, wie schon am 1. Mai, eher sehr umsichtig gehandelt hat. Ich weiß, daß es inzwischen auch andere Hinweise gibt. Das Problem ist immer, inwieweit das zu verifizieren ist.
Insbesondere zur Demonstration in Rostock gibt es viele Aussagen, daß gerade Berliner Polizeieinheiten besonders brutal vorgegangen sind.
Wie gesagt, ich kenne auch andere Zeugenaussagen.

Was wollen Sie im Innenausschuß weiter unternehmen?

Wir werden uns noch vom Polizeipräsidenten berichten lassen, wie die Abläufe gewesen sind. Auch, wer da beispielsweise von der Berliner Spezialabteilung »Politisch motivierte Straßengewalt« (PMS) vor Ort war, und welche Rolle sie gespielt haben.

Haben Sie Sorge, daß die Berliner Polizei ihren Ruf als Prügeltruppe erneuert haben könnte?

Das ist wirklich ein Problem. Wir haben ja inzwischen am 1. Mai eine Einsatztaktik, die auf Ruhe, Gelassenheit und Deeskalation setzt. Das heißt, die Polizei tritt möglichst nicht in Erscheinung, nimmt aber diejenigen, die sie beweissicher beobachtet hat, aus der Menge heraus fest. Wenn man in solch einer Situation ist – man kennt das ja alles, ich war jahrelang bei Demonstrationen und habe mich jahrelang aufgeregt – hat man den Eindruck, daß dieser arme Mensch völlig unschuldig aus der Menge gegriffen wird. Aber das genau ist nicht mehr der Fall.
In Rostock waren sie ja in vorderster Front als die Randale losging. Wir haben ja wirklich haufenweise Verletzte gehabt. Ich glaube 158 auf seiten der Berliner Polizei.

Sind diese Verletztenzahlen nicht inzwischen relativiert worden?

Die 158 sind nicht relativiert worden. Davon waren auch einige schwer verletzt in dem Sinne, daß sie gebrochene Arme, gebrochene Hände und so weiter hatten.

Die Einsatztaktik in Rostock schien sich aber sehr von der am 1. Mai in Berlin zu unterscheiden …
Das ist richtig. Wir haben in der Innenausschußsitzung auch festgestellt, daß da einiges schiefgegangen zu sein scheint. Die ganzen Begleiterscheinungen, die Durchsuchungen, die Hysterie und Festnahmen von Menschen, die dann von Richtern wieder entlassen werden mußten, weil gegen sie nichts vorlag –das alles sind Fragen, die noch mal verfassungsrechtlich geklärt werden müssen. Da habe ich heftigste Kritik. Aber ich bin vorsichtig bei Schuldzuweisungen, die ich nicht nachprüfen kann.

Sie hatten die gruppenweise Kennzeichnung von Polizisten bei geschlossenen Einsätzen angekündigt. Ist das umgesetzt?

Es sind jetzt kleinere Gruppen von sechs bis acht Beamten, die das gleiche Kennzeichen tragen. Daß in Rostock die Kennzeichnung auf den Helmen teilweise nicht mehr mit den Rückenkennzeichnungen identisch war, lag daran, daß die Helme teilweise wie Melonen geplatzt waren.
Es gibt außerdem ein Nachspiel zu einem Vorfall am 1. Mai, bei dem eine Frau zusammengeprügelt wurde. Polizeipräsident Dieter Glietsch hat im Innenausschuß zweimal bekräftigt, daß generell jeder Beamte gekennzeichnet wird, wenn sich in diesem Fall, der auf Video dokumentiert ist, herausstellen sollte, daß der schlagende Beamte nicht zuzuordnen ist.

Sie fordern auch unabhängig von diesem Fall eine individuelle Kennzeichnungspflicht?

Wir fordern das schon immer. Aber wie es in Koalitionen so ist: schwer, das umzusetzen. Zumal noch hinzukommt, daß eine solche Maßnahme mitbestimmungspflichtig ist. Da sind die Gewerkschaften nicht kompromißbereit.

Würden Sie weiterhin wie in Ihrem Fazit zur vergangenen Legislatur sagen, daß die Berliner Polizei »auf dem Weg zu einer bürgernahen Hauptstadtpolizei mit sozialer, interkultureller Kompetenz« ist?

Ich hoffe, es hat jetzt keinen Rückschritt gegeben. Da ist wirklich das Prinzip Hoffnung. Für ihre Auftritte in Berlin kann ich das im großen und ganzen aber so sagen.

http://www.jungewelt.de/2007/06-15/050.php