07.09.2006 | Gegeninformationsbüro Berlin und Revolutionäre Aktion Stuttgart
Revolutionäre Aktion Stuttgart (RAS) und Gegeninformationsbüro Berlin (GIB) antworten auf die gleichen Fragen.
1. Neben dem Anti-G8-Bündnis für eine revolutionäre Perspektive gibt es das Dissent-Netzwerk und die Interventionistische Linke. Was unterscheidet euch von den Anderen?
GIB: Es gibt weitaus mehr Gruppen und linke Zusammenhänge die im Juni 2007 nach Heiligendamm mobilisieren werden. So sind unter anderem Attac, die Gewerkschaftsjugend, kirchliche Gruppen und diverse NGO’s in die Organisierung der Proteste involviert. Die Interventionistische Linke strebt ein breites Bündnis mit allen reformistischen und kirchlichen Gruppen an. Auch wenn wir eine Koordination mit diesem Spektrum, zum Beispiel bei Blockaden und Demonstrationen als durchaus sinnvoll ansehen, ist uns die Herangehensweise der IL zu diffus und inhaltlich zu defensiv angelegt. So ist zum Beispiel eine unkritische Zusammenarbeit mit Parteien wie der PDS, gerade in Berlin und auch in Mecklenburg-Vorpommern unmöglich, da die PDS als Regierungspartei entscheidende Mitverantwortung hat für den Sozialabbau und für die neoliberalen Angriffe auf das gesellschaftliche Eigentum, wie zum Beispiel die Privatisierung von Wohnungen. Eine Politik, gegen die wir auf die Straße gehen.
Es ist natürlich positiv wenn sich im nächsten Jahr eine große Masse an den Protesten beteiligt. Das wollen wir auch, aber wir wollen gleichzeitig deutlich machen, dass dies allein nicht ausreicht, um etwas zu verändern. Dazu sind weitergehende Strukturen und die Entwicklung von Perspektiven nötig, die den Kapitalismus nicht verbessern, sondern ihn abschaffen und durch eine sozialistische Gesellschaft ersetzen.
Das Dissent-Netzwerk ist ein diffuser Zusammenhang von verschiedensten Einzelpersonen und Gruppen, von denen viele im Bereich der Schaffung von Freiräumen, Anti-Atom-Kampf und Antifa-Arbeit aktiv sind. Eine Auseinandersetzung und Entscheidung über die inhaltliche Ausrichtung ist aufgrund der Organisationsprinzipien von Dissent jedoch gar nicht möglich. Um dennoch klare antikapitalistische, antiimperialistische Positionen mit einiger Durchsetzungskraft vermitteln zu können haben wir das „Anti-G8-Bündnis für eine revolutionäre Perspektive“ im Januar 2006 gegründet. Es erschien uns notwendig ein Bündnis zu schließen, in dem sich Gruppen zusammenfinden, die sich über diese Positionen relativ einig sind. Darüber hinaus haben die Gruppen in unserem Bündnis durchaus verschiedene Ausrichtungen und die konkreten gemeinsamen Schritte müssen politisch Erstritten werden.
RAS: Das breite, von der Interventionistischen Linken initiierte Netzwerk – beziehungsweise der Austausch auf den Kongressen in Rostock – hat den Anspruch möglichst alle fortschrittlichen Kräfte die gegen den G8 mobilisieren an einen Tisch zu bringen und einer Isolierung der verschiedenen Strömungen vorzubeugen.
Das Dissent versteht sich als Zusammenschluss von Leuten verschiedener sich als linksradikal begreifender Strömungen. Wir halten beide Ansätze für unterstützenswert und arbeiten mit ihnen zusammen. Uns geht es mit der Mobilisierung gegen den G8-Gipfel jedoch auch darum, tiefer gehende Debatten zu führen und in einer gemeinsamen Praxis längerfristige Strukturen und eine Zusammenarbeit verschiedener Gruppen, die über den G8-Gipfel hinausreicht, zu entwickeln. Dafür bieten die beiden anderen Zusammenschlüsse keinen Raum, da sie einen anderen, eher auf die konkrete Praxis ausgerichteten Anspruch haben. Trotz aller Widersprüche im Anti-G8-Bündnis für eine revolutionäre Perspektive und der Tatsache, dass dort momentan Gruppen mit sehr unterschiedlichen Positionen und Erwartungen vertreten sind, denken wir, dass in diesem Bündnis, beziehungsweise zumindest mit einem Teil der Gruppen darin, diese Facette unserer Ansprüche an die Mobilisierung am ehesten umgesetzt werden kann.
2. Anfang August 2006 fand ein Anti-G8-Mobilisierungscamp an der Ostsee statt. Warum hat sich das Bündnis am Camp beteiligt?
GIB: Es hat in unserem Bündnis Diskussionen gegeben, wie sinnvoll eine Teilnahme beziehungsweise eine Mitorganisierung am Camp-Inski sein kann, und es haben sich einige Gruppen beziehungsweise GenossInnen auch dagegen entschieden. Teils weil sie in anderen Sommeraktivitäten steckten, teils weil der angesagte Ferienkommunismus des Camp-Inski ihnen nicht so wichtig schien. Wir, die wir uns für die Beteiligung entschieden haben, waren der Meinung, die politischen Positionen unseres Bündnisses sollten unbedingt Teil des Anti-G8-Mobilisierungscamps sein, weil ein Anti-G8-Vorbereitungscamp seinen Sinn in der Thematisierung der G8-Politik, ihrer ganz konkreten und aktuellen innergesellschaftlichen und weltweiten Auswirkungen hat. Um diesen Zusammenhang herum haben wir für die zehn Camptage ein Veranstaltungsprogramm organisiert, in der Hoffnung damit Diskussionen anzuzetteln.
Wir wollen in der Mobilisierung zum einen die Bedeutung des G8-Treffens in Bezug auf den Imperialismus, der ja mit der Natur des Kapitalismus unmittelbar verwoben ist aufzeigen. Es geht uns also darum die Strategien des Kapitals in bestimmten Regionen, die von geostrategischer Bedeutung sind, wie beispielsweise Afghanistan, Israel/Palästina, Kongo, und Jugoslawien, zu analysieren. Ein wichtiges Merkmal des heutigen Imperialismus ist die Unterwerfung von noch nicht oder nur teilweise kapitalistischen Bereichen unter die Logik des Kapitals. Zum Beispiel durch Privatisierung öffentlichen Eigentums und öffentlicher Dienstleistungen wie Wasser, Bildung, Transportwesen oder des Rentensystems, die Betonung des Rechtes auf intellektuelles Eigentum, die Patentierung von zum Beispiel Saatgut, genetischem Material und so weiter. Imperialismus ist für uns also kein veraltetes Konzept, sondern stellt vielmehr die aktuelle Realität dar. Auf der anderen Seite ist es uns wichtig auf die herrschenden kapitalistischen Verhältnisse in der BRD einzugehen. Es geht uns darum, verstärkt auf den Klassenkampf, also den Kampf der Lohnabhängigen und Arbeitslosen gegen die kapitalistische Klasse, einzugehen und Perspektiven zur Überwindung des Kapitalismus zu entwickeln.
Im Dissent-Spektrum sind solche Theorien und Überlegungen kaum oder gar nicht verbreitet, stattdessen haben Theorien wie die des Empire von Negri stark an Einfluss gewonnen. Auch eine Beschränkung auf die individuelle statt der kollektiven Befeiung und die Ablehnung verbindlicher Strukturen ist dort stark verbreitet. Dies hatten bereits die Treffen in Hamburg, Berlin und Leipzig deutlich gezeigt. Dennoch – so sagten wir uns – gibt es unter zirka 1000 Menschen, die vielleicht kommen werden, nicht wenige, die Antworten, Informationen und Zusammenhänge suchen, die im Dissent-Politikverständnis nicht zu finden sind.
RAS: Für uns war das Camp eine wichtige Mobilisierung der AktivistInnen die gegen den G8 aktiv sind, um einen Austausch und gemeinsame Planungen voranzubringen. Uns ging es mit der Mobilisierung aber auch darum, Leuten die Möglichkeit zu geben, sich über den Stand der Mobilisierungen zu informieren, sich aktiv an den verschiedenen Aktivitäten zu beteiligen und auf den Veranstaltung auch über weiterführende Themen zu diskutieren.
3. Wie konntet ihr eure Pläne umsetzen und welchen Eindruck hattet ihr insgesamt vom Camp?
GIB: Wir haben uns als Teil des Camps verstanden. Unser Veranstaltungszelt – wir hatten es Pasaremos genannt, was soviel wie „Wir werden durchkommen“ heißt – stand prinzipiell allen Gruppenveranstaltungen offen, sofern eine zeitliche Koordinierung mit unserem eigenen Programm möglich war. Unser Zelt war gut besucht, es hat – außerhalb der moderierten Plena und Foren – heiße Dispute gegeben. Unsere Filme und Vorträge sind auf dem Camp und auch darüber hinaus auf Interesse gestoßen.
Unser Bündnis hatte wie schon erwähnt zwei zentrale politische Anliegen: die gegenwärtige Verschärfung ökonomischer Ausbeutung und ihre politische Durchsetzung als Klassenkampf von oben deutlich zu machen und zu zeigen wie und mit welchen Instrumenten die Verschleierung dieser Binsenwahrheit funktioniert. Hierzu haben wir eine Veranstaltung zur Rolle der Medien und insbesondere des Medienkonzerns und Think-Tanks Bertelsmann gemacht.
Der zweite zentrale Punkt war die Denunzierung der imperialistischen Kriegspolitik der G8-Staaten und die dahinter stehenden ökonomisch-politischen Strategien zur Sicherung der Interessen des Kapitals, wie den Zugang zu Ressourcen und Märkten.
Zum derzeit aktuellen Krieg Israels gegen den Libanon und die palästinensischen Bevölkerung haben wir mit folgendem Transparent Stellung genommen: „Stoppt die mörderische Besatzungspolitik Israels – Stoppt den Angriffskrieg gegen Libanon –Gerechtigkeit für Palästina“.
Das Transparent wurde von Antideutschen Pro-Israel-Apologeten entsorgt, wozu die Camporganisation keine Stellung einnehmen wollte, in der Furcht vor Eskalation. Verständlich, aber für uns in dieser Weise nicht hinnehmbar.
Was wir nicht erwartet hatten auf dem Camp-Inski: diese sanfte, wenn auch diffuse Affinität eines großen Teils des Dissent-Spektrums zur Antideutschen Strömung, die ihren Eingang über die Antifa-Arbeit findet, und außerdem diese Lustlosigkeit des anderen Teils, politisch heiße Themen, heiße Konflikte, anzufassen, zuzulassen. Auf dem Camp-Inski war die Harmonie organisiert, nicht die politische Diskussion, die notwendige produktive Auseinandersetzung. Die Strukturen des Camps, also zum Beispiel das Konsensprinzip und die Ablehnung eines großen Teils der Anwesenden Entscheidungen zu treffen machten die Plena völlig unproduktiv.
Insgesamt ist die Haltung sehr verbreitet in bestimmten Teilbereichskämpfen tätig zu sein, ohne sich dabei für die gesellschaftliche Grundlage zu interessieren – nämlich das kapitalistische System und seine Triebkräfte. Der Kapitalismus wird als nur ein Widerspruch unter vielen gesehen.
Die verschiedenen Herrschaftsformen werden zwangsweise in Abwehrkämpfen, wie zum Beispiel in antipatriarchalen, antimilitaristischen oder antirassistischen Kämpfen angegangen, die relativ beliebig nebeneinander stehen. Das Selbstverständnis wird alleine damit definiert, dass die Kritik der verschiedenen Teilbereiche möglichst radikal formuliert wird. Es wird nicht zwischen Ausbeutung und Unterdrückung unterschieden und auch nicht die Notwendigkeit der Änderung der materiellen Basis für die Änderung des gesellschaftlichen Überbaus gesehen.
Die Gesamtgeschichte um Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung, wird als „schiefgelaufene Geschichte“ verächtlich beiseite gelassen und nicht als ein Prozess begriffen, von dem sie Teil sind. Das Dissent ist natürlich ein Spektrum. Die grad skizzierte Charakterisierung ist mal mehr, mal weniger zutreffend.
RAS: Für uns war die Mobilisierung zum Camp relativ erfolgreich. Aus Stuttgart ist, mit Unterstützung aus anderen süddeutschen Städten ein Bus zum Camp gefahren. Dort gab es mehrere recht interessante Veranstaltungen, Kontakte zu Gruppen in anderen Städten konnten geknüpft und ausgebaut werden, es gab recht aufschlussreiche Debatten und ein paar gute Aktivitäten. Auch das Wetter und das Essen waren recht OK.
Wir waren überrascht, dass recht viele der anwesenden deutschen Linken unfähig waren, eine Position gegen den Krieg gegen den Libanon einzunehmen. Dass auf einem Treffen, das mehr oder weniger einen linksradikalen und internationalistischen Anspruch hat, Positionen die sich gegen den Krieg aussprechen reflexartig mit Positionen reaktionärer Gruppen wie Hamas oder Hizbolah in einen Topf geschmissen werden, fanden wir relativ beschämend.
Unsere Positionierung gegen den Krieg, nicht zuletzt auch mit einem Bezug zur revolutionären Linken in Israel, die sich dort auch an antimilitaristischen Aktivitäten beteiligt – in unserem Bereich auf dem Camp wurde unter anderem dazu auch ein Film gezeigt – war auf dem Camp fast schon exotisch.
Mit den Versuchen, alles möglichst basisdemokratisch, nach Konsensprinzip und ohne jegliche Verbindlichkeit zu diskutieren, war letztlich wohl kaum jemandem wirklich gedient – außer denjenigen, die ihren politischen Anspruch in erster Linie an genau solche Herangehensweisen festmachen. Inwieweit auf solchen Treffen, die von äußerst unterschiedlichen Teilen der Linken besucht werden eine andere Diskussionskultur zu erwarten ist, ist natürlich fraglich.
Wir favorisieren alles in allem aber eine Herangehensweise, bei der es zunächst einmal an uns selbst liegt unseren Ansprüchen gerecht zu werden und unsere Politik weniger durch eine Kritik an anderen Strömungen und mehr durch unseren eigenen Organisierungsprozess und eine eigene Praxis darzustellen. Gerade deswegen bewerten wir das Camp also relativ positiv.
4. Welche Bündnis-Aktivitäten sind vor und während des G8-Gipfels geplant?
GIB: Von den verschiedenen Spektren, die gegen den G8 mobilisieren sind bereits verschiedene Aktionen kurz vor dem Gipfel geplant. So zum Beispiel die Großdemonstration am 2. Juni 2007, an der sich das Bündnis mit einem eigenen Block beteiligen wird. Außerdem wird es eine Aktion zum Bombodrom, einen Aktionstag zu Migration und einen Aktionstag gegen Krieg geben. Das Bündnis wird sich verstärkt auf diesen Aktionstag gegen Krieg konzentrieren, der voraussichtlich am 5. Juni 2007 am Flughafen Rostock-Laage stattfinden wird. Des Weiteren ist ein Gegengipfel in Planung, der von einem breiten Spektrum organisiert wird.
RAS: Momentan tauschen sich die Bündnisgruppen zum Beispiel regelmäßig zu größeren Mobilisierungen aus und veröffentlichen gemeinsame Aufrufe, wie etwa zu Demonstrationen gegen Sozialabbau und zur Innenministerkonferenz im November in Nürnberg. Auch zum Treffen des World Economic Forum (WEF) im Januar und zur NATO-Sicherheitskonferenz im Februar soll es gemeinsame Mobilisierungen geben. Während dem G8 Gipfel werden wir versuchen inhaltlich und praktisch aktiver Teil der Aktivitäten gegen den Gipfel zu sein und zu den Camps, den Demos und anderen Aktivitäten mobilisieren. Die genaueren Planungen dazu dauern noch an, es wird aber Anfang 2007 sicher die ersten konkreten Veröffentlichungen dazu geben.
Nach dem Gipfel wird es hoffentlich einen weiteren Austausch und eine enge Zusammenarbeit von Teilen aus dem Bündnis und eventuell auch anderen Organisierungen, mit denen wir gemeinsam gegen den G8 aktiv sein werden, geben. Wir machen uns dabei keine Illusionen, dass in nächster Zeit eine bundesweite relevante revolutionäre Organisierung aus dem Boden zu stampfen ist, es gibt aber keine Alternative dazu, zu versuchen auch in diese Richtung voranzukommen – das Bündnis halten wir für einen Versuch zumindest einen halbwegs kontinuierlichen Austausch, Diskussionen und gemeinsame Aktivitäten mehrerer Organisierungen bundesweit zu gewährleisten.