NDR 28. Dezember 2006
Hamburg
Nach dem Anschlag auf sein Haus im Hamburger Stadtteil Winterhude hat sich Bundesfinanzstaatssekretär Thomas Mirow (SPD) zu dem Vorfall geäußert. Er verurteilte die Tat "stumpfsinnige Gewalt von seltener Sinnlosigkeit". "Wer kann glauben, dass auf diese Weise Regierungen ihr Handeln ändern?", sagte der frühere Hamburger Wirtschaftssenator am Donnerstag in Berlin. Zu dem Anschlag hatten sich am Mittwoch Gegner des Weltwirtschaftsgipfels 2007 in Heiligendamm in Mecklenburg-Vorpommern in einem Schreiben bekannt.
Der Hamburger Polizeipräsident Werner Jantosch beschloss am Donnerstag, eine Sonderkommission zu bilden. Bei den unter der Leitung von Polizeidirektor Burkhard Oeverdiek stehenden Maßnahmen soll es auch um den Schutz von Personen und Objekten gehen. Die Polizei erwartet weitere Anschläge linksautonomer Gruppen.
Grundstück des SPD-Politikers gezielt ausgesucht
Wie NDR 90,3 berichtete, war der dreiseitige Bekennerbrief bei der "Hamburger Morgenpost" eingegangen. Derzeit werten die Spezialisten der Staatsschutzabteilung im Hamburger Landeskriminalamt das Bekennerschreiben aus. Sie halten das Schreiben für echt. Nach Angaben der "Mopo" nennt sich die autonome Gruppe "AG Kolonialismus und Krieg". Der Brief enthalte die Forderungen "Zahlung von Entschädigung für die Verbrechen des Kolonialismus" und "Bedingungslose Streichung aller Schulden des Trikonts".
Das Grundstück von Mirow sei gezielt ausgesucht worden, so ein Sprecher der Hamburger Polizei. Wie die Zeitung mitteilte, geht aus dem Schreiben hervor, dass der SPD-Politiker Opfer des Anschlags wurde, weil er "an mehreren strategischen Schalthebeln der Macht" sitze. "In seiner Verantwortung liegt die Koordinierung der Finanzpolitik", heißt es in dem Brief.
Polizei setzt "alles in Bewegung"
Die Polizei gab keine weiteren Details zu dem Bekennerschreiben bekannt. Noch ist unklar, ob die Gruppe bereits einschlägig bekannt ist. "Wir setzen jetzt alles, was möglich ist, in Bewegung, um die Täter zu finden", sagte Polizeisprecher Ralf Kunz. Die Aufklärungsquote sei allerdings bei solchen Anschlägen niedrig. Das liege vor allem daran, dass militante Links-Autonome extrem konspirativ arbeiteten. Inzwischen hat der Generalbundesanwalt die Ermittlungen in diesem Fall übernommen.
Farbe gegen Hauswand - Mini Cooper ausgebrannt
Am Mittwoch hatten Beamte der Spurensicherung den Tatort noch einmal genau unter die Lupe genommen. Die Täter hatten den Anschlag in der Nacht zum Dienstag vor Mirows Haus im Stadtteil Winterhude verübt. Verletzt wurde dabei niemand. Mirow und seine Familie waren nach Informationen von NDR 90,3 zur Tatzeit im Weihnachtsurlaub in Österreich. Nach der Rückkehr war der SPD-Politiker laut "Mopo" "sichtlich mitgenommen". Die Täter hatten das parkende Auto von Mirows Ehefrau mit einem Brandbeschleuniger angezündet. Das Fahrzeug - ein Mini Cooper - sei fast vollständig ausgebrannt, so die Polizei. Durch die Hitze seien auch Fenster und Teile der Fassade des Hauses in Mitleidenschaft gezogen worden, sagte Polizeisprecher Kunz. Außerdem hätten die Unbekannten blaue Farbbeutel gegen eine Hauswand geworfen.
Neumann spricht von "Feigheit"
Stellvertretend für die SPD-Bürgerschaftsfraktion bezeichnete deren Vorsitzender Michael Neumann den Anschlag als "bemerkenswertes Beispiel für Feigheit". "Wenn sich Kriminelle nachts an Wohnhäuser herantrauen und bei ihren Anschlägen Menschenleben gefährden, interessieren mich ihre möglichen Motive nicht. Ich hoffe, dass diese Feiglinge endlich einmal gefasst werden", betonte Neumann. Er forderte zudem ein klares Bekenntnis der Globalisierungsgegner. Die große Mehrheit der friedlichen G8-Kritiker müsse sich unmissverständlich von jeder Form der Gewalt distanzieren. Neumann appellierte an sie, sich an der Aufklärung des Anschlags zu beteiligen.
Von Beust: "Frieden der Weihnacht mit Füßen getreten"
Zuvor hatte Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU) den Brandanschlag verurteilt. "Ich bin erschrocken, wie hemmungslos und brutal die Täter vorgegangen sind", sagte er am Dienstag. "Sie haben den Frieden der Weihnacht mit Füßen getreten". Sein Mitgefühl gelte Mirow und seiner Familie, "die aus der Freude des Festes in Angst und Schrecken gestürzt worden sind". Über den materiellen Schaden hinaus sei in besonders infamer Weise die Gefährdung ihres Leibes und Lebens in Kauf genommen worden, erklärte von Beust. Der Angriff habe einem Mitbürger gegolten, der sich durch menschliche Fairness und politische Kompetenz auf allen Seiten Respekt und Anerkennung erworben und für die Stadt viel Gutes bewirkt habe. "Wir Hamburgerinnen und Hamburger stehen zusammen im Nein gegen die Gewalt und im Vertrauen darauf, dass unsere Polizei alles tut, um die Täter so schnell wie möglich zu fassen", sagte der Bürgermeister.
Als Wirtschaftssenator für Airbus eingesetzt
Mirow war bei der Bürgerschaftswahl 2004 als Bürgermeisterkandidat der SPD gegen von Beust angetreten und hatte klar verloren. Von 1997 bis 2001 war er Wirtschaftssenator in Hamburg. In seine Amtszeit fiel die Entscheidung des Airbus-Konsortiums, das geplante Großflugzeug Airbus A380 in Hamburg zu bauen. Vor allem um die Verlängerung der Airbus-Landebahn in Finkenwerder gab es jahrelange Streitereien zwischen Befürwortern und Gegnern. Seit November 2005 ist Mirow als Staatssekretär im Bundesfinanzministerium zuständig für Europapolitik, Finanzmarkt- und Währungspolitik. In den vergangenen Monaten hatte Mirow Gespräche mit DaimlerChrysler geführt. Der Konzern will sich von 7,5 Prozent seiner Anteile an der EADS-Tochter Airbus trennen. Derzeit hält er noch 22,5 Prozent.
Frühere Anschläge auf Marnette, Straubhaar und Uldall
In der Vergangenheit hatte es bereits mehrere Anschläge auf Personen und Gebäude gegeben - so etwa auf den Chef der Norddeutschen Affinerie, Werner Marnette, eine Reederei sowie eine Werbeagentur. Im Mai hatte sich eine Gruppe "fight 4 revolution crews" zu einem Anschlag auf den Leiter des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Instituts (HWWI), Thomas Straubhaar, bekannt. Vor dessen Haus in Reinbek im Kreis Stormarn hatten Unbekannte ebenfalls ein Auto in Brand gesetzt und Steine sowie einen Farbbeutel gegen das Gebäude geschleudert. In einem Bekennerschreiben wurde Straubhaar als "Stichwortgeber der Wirtschaft für Angriffe auf das Proletariat" bezeichnet.
Der Hamburger Wirtschaftssenator Gunnar Uldall (CDU) wurde im April 2004 ebenfalls Opfer eines Farbanschlags auf sein Privathaus. Bei einer Hamburger Zeitung ging ein Bekennerschreiben einer Gruppe "revolutionäres Warm up" ein. Darin hieß es, Uldall sei "einer der entscheidenden Vollstrecker des Konzepts Wachsende Stadt".
Stand: 28.12.2006 14:55