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Nie wieder einen Gipfel!Frankfurter Rundschau 11. Juni 2007 VON BERNHARD HONNIGFORT Auf dem Feldweg hinter Brodhagen steht an diesem Morgen ein Bauer in Gummistiefeln. Er kommt gerade von seinem Weizenfeld oder besser gesagt dem, was einmal sein Weizenfeld war. Der Mann, Mitte fünfzig, ist vor Wut lila im Gesicht, seine Augen treten ein bisschen hervor und er schreit sofort los: "Wenn ich die erwische. Wenn ich die erwische." Er blickt sich um. Sein Feld ist platt getreten. Natürlich wird er niemand mehr erwischen. "Der April", schießt es aus ihm heraus, "viel zu trocken. Ich dachte schon, das wird nichts mit der Ernte. Dann der Mai: viel zu nass. Aber dann wuchs das Getreide endlich. Und nun das hier. Alles im Eimer." Er stapft über den Weg und kann sich überhaupt nicht beruhigen, denn auch der Feldweg ist verwüstet. Bänke für Spazier- gänger und Radfahrer hatten die Dorfbewohner angelegt, den ganzen Weg entlang durch die Felder. Schöne schwere Bänke, daneben Tische. Nichts ist davon übrig. Bänke und Tische sind herausgerissen und zu Barrikaden aufgetürmt. Nichts ist verschont geblieben. Neun Barrikaden haben die Demonstranten zusammengeworfen allein auf diesem Weg. "Es ist doch eine Schande", sagt der Bauer. Er ist ganz klein und leise geworden, als er sieht, was alles kaputt ist. "Was soll das? Was haben denn wir hier oben damit zu tun?" Das fragen sich viele in den Dörfern um Heiligendamm, in Reddelich oder Kröpelin, in Brodhagen, Hintergangen oder Hundhagen, in Kühlungsborn oder Vorder und Hinter Bollhagen. Der G8-Gipfel ist Geschichte, der Zaun seit Samstag wieder offen, der Strand wieder im Besitz von Urlaubern, die sich in den gigantischen G8-Gipfel-Strandkorb quetschen und fotografieren lassen. Aber für viele in den Dörfern um Heiligendamm war die vergangene Woche eine Plage biblischen Ausmaßes, ein millionenteurer Spuk, ein unbegreiflicher Irrsinn: Tausende Polizisten, Tausende Demonstranten, Gewalt und Zerstörung, Lärm und Unruhe, Straßenblockaden - und wofür und wogegen das alles? Öl auf der Landstraße "Bitte nie wieder so etwas hier", sagt Thomas Culmsee. "Bitte, bitte nicht." Er ist der Wirt vom Marktstübchen in Kröpelin, einem netten Dorf knapp hinter Heiligendamm. Seine Speisekarte beginnt mit zehn Geboten. Gebot Nummer eins: "Du sollst Deinem Wirt glauben." Vor dem Haus parkt ein Auto mit dem Aufkleber "Hart, härter, Landschaftsgärtner". In Kröpelin haben sie keine Fenster vernagelt wie in Bad Doberan oder Rostock. Es gab keine Demonstrationszüge. In Kröpelin haben sie sich nur geärgert. Die Straßen in die Nachbardörfer waren blockiert, dauernd kreisten Hubschrauber über dem Ort, mal taten die Fernseher nicht mehr richtig und die Handys. Hundertschaften der Polizei sausten mit Blaulicht durchs Dorf, hin und her, im Supermarkt kauften Demonstranten alles billige Speiseöl auf. "Und wir wunderten uns noch: Was wollen die denn braten?", sagt Wirt Culmsee. Gebraten wurde nichts, das Öl wurde auf die Straße nach Kühlungsborn gekippt. "Wir vermissen diese Tage wirklich nicht", sagt er. Während er erzählt, mischen sich andere Gäste ein. Es ist Mittagszeit, und das Lokal lebt. Rentner Willi Reimer setzt sich an den Tisch, bestellt ein Schnitzel mit Möhren und Kartoffelbrei, kommt dann aber kaum zum Essen, weil er reden muss und reden muss. Reimer ist der stets gutgelaunte Außenseiter im Dorf: Er hat einmal zwei Demonstrantinnen in seinem alten, roten Passat mitgenommen. Er steht auf der Seite des Protestes. "Die Armen werden immer ärmer, die Reichen immer reicher", brüllt er. "Noch zehn bis fünfzehn Jahre, dann bricht auch hier die Revolution los." Jetzt ist Stimmung im Marktstübchen. Der Wirt steht auf Seiten der Polizisten. "Mir tun die leid. Und dann werden die auch noch mit Steinen beworfen", sagt er. "Nicht zehn Monate, zehn Jahre müssten die Steinewerfer kriegen." Reimers Schnitzel wird kalt. Wirt und Rentner dreschen mit Worten aufeinander ein wie einst Don Camillo und Peppone, der katholische Dorfpfarrer und der kommunistische Bürgermeister. "Willi, du hast doch keine Ahnung." Sie sind beim Thema Fremdenverkehr angekommen, bei der Hoffnung von Harald Ringstorff, Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, nach dem Gipfel kämen bestimmt mehr Urlauber, vor allem Polizisten aus Baden-Württemberg und Bayern, die die liebliche Ostseelandschaft kennen gelernt hätten. "Tourismus? Wenn ich die Bilder im Fernsehen gesehen hätte, würde ich woanders hinfahren", sagt der Wirt. Am vergangenen Dienstag hatten die G8-Gegner einen kleinen Infostand auf dem Marktplatz. Dafür, erzählt der Wirt, war ihnen von der Gemeinde ein Wasseranschluss gelegt worden. "Das ist doch die Höhe", ruft er. "Die Markthändler warten seit zwanzig Jahren auf einen Wasseranschluss und kriegen ihn nicht. Dann kommen die und es klappt sofort." Eine Frau vor dem Lokal sagt: "Der Putin macht es richtig." Sie meint den Umgang des russischen Präsidenten mit Demonstranten. Die Straße nach Kühlungsborn ist frei. Nur noch ein schwarzer Fleck ist zu sehen, mitten im Wald, wo vergangene Woche eine Barrikade brannte. Am Straßenrand liegen beiseite gekehrte Nägel, die auf der Fahrbahn verstreut lagen. Die Polizei hat die Holzhaufen weg geschoben. Jetzt beginnt der Ärger danach: Bauern und Waldbesitzer wollen Entschädigung. Auf die Frage, wer zahlt, antwortete das Schweriner Innenministerium: Verursacherprinzip. So als könnten die Bauern sich das Geld bei den italienischen, spanischen und englischen Demonstranten einklagen, die nachts durch ihre Felder liefen. "Wir haben das kommen sehen", sagt ein Sprecher vom Bad Doberaner Kreisbauernverband. Rostock. Vor einer Woche waren die gewalttätigen Krawalle am Stadthafen. Am Surfhaus ganz in der Nähe prüft ein Mann die Bretter vor dem Fenster. Der Laden ist noch ganz zugenagelt. "Nein", sagt er. Die Bretter kämen noch nicht ab. "Erst wenn der letzte Schwatte aus der Stadt ist." Schwatte, sagt er, plattdeutsch für Schwarze. Er meint die vermummten Autonomen. In der Kröpeliner Straße, in der Langen Straße - überall das gleiche Bild. Die Krawalle sind längst Geschichte. Aber Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Also sind viele Geschäfte, Banken, Handyläden noch vernagelt. "Es ist erst alles vorbei, wenn es vorbei ist", sagt die Frau vor dem Jeansladen. Immer noch sind Polizisten aus Hessen in der Stadt. Immer noch Demonstranten. Es ist tatsächlich, wie einige Zeitungen in der vergangenen Woche schrieben: In der Kröpeliner Straße gibt es einen McDonalds und einen Burger King. Unter den Gästen, die an diesem heißen Tag unter Sonnenschirmen geschützt Burger und McRibs verspeisen, etliche in Schwarz, "Revolution" auf dem T-Shirt oder "Hatebreed" oder "Socialism now". Drei junge Mädchen, angesprochen auf den Widerspruch zwischen Kampf für die Revolution und Nahrungsaufnahme beim kapitalistischen Klassenfeind, sagen: "Wir gehen da nur aufs Klo." Kaution fürs Zeltlager Camp Reddelich. In dem Gewerbegebiet östlich von Kröpelin an der Bundesstraße 105 wohnten 5000 Demonstranten in Zelten. Jetzt löst sich alles auf. Sie wollen nach Hause. Niemand kommt unbeäugt in das sich auflösende Camp. "No media", steht am Eingang, Presse unerwünscht. "The revolution will be vegan", heißt es auf einem Transparent. Dahinter brutzeln Würstchen auf einem Rost. "Wir grillen für den Widerstand." Freitagabend, der große Exodus hat begonnen. Aber bis zum 15. Juni müssen einige dableiben und aufräumen. Die Gemeinde hat Fotos gemacht vom Gelände vor dem G8-Gipfel. Und 5000 Euro Kaution einbehalten. "Das wird noch richtig viel Arbeit", sagt "Ditsche". So nennt er sich. Er ist der Pressesprecher des Camps in Auflösung. Der Betrieb für Abwassertechnik am Eingang des Camps hatte die ganze Woche zu. Zwei Wachhunde liefen auf dem Gelände herum und passten auf. Der Nachbar auf der gegenüberliegenden Straßenseite sprengt seine Blumenbeete. "Das war die reine Diktatur", sagt er über das Camp. Als er einmal gucken wollte, hätten sie ihn nicht rein gelassen. "Solche Leute", brummelt er, "brauchen wir hier nicht." |
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