»Verpiß dich, du Arschloch«

junge Welt 12. Juni 2007

Anwälte von G-8-Gegnern wurden behindert, bedroht und beleidigt: Republikanischer Anwaltsverein fordert nach G-8-Einsatz effektive Kontrolle der Polizei

Von Claudia Wangerin
Angesichts der staatlichen Ausschreitungen rund um den G-8-Gipfel in Heiligendamm hat der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) eine effektivere Kontrolle der Polizei gefordert. Es sei »dringend notwendig, dem polizeilichen Bewertungsmonopol Tatsachen entgegenzusetzen«, erklärte der Geschäftsführer des RAV, Hannes Honecker, am Montag in Berlin.
Nach tagelangem ehrenamtlichen Einsatz im Rahmen des Anwaltlichen Notdienstes bei den G-8-Protesten vergangene Woche in Rostock (»an Schlaf war nicht zu denken«) hatten RAV-Mitarbeiter die Medien zum Resümee ins Haus der Demokratie und der Menschenrechte geladen.

Menschenunwürdige Haft

Mindestens 90 Prozent der Ingewahrsamnahmen stuften sie als rechtswidrig ein – die Unterbringung der Gefangenen in Drahtkäfigen als menschenunwürdig. Amnesty International hatte zuvor eine »vorübergehende« Käfighaltung festgenommener Demonstranten für vertretbar erklärt – damit waren aber nach Einschätzung des RAV nicht zwölf bis 24 Stunden gemeint. Falls doch, müsse man mit Amnesty darüber diskutieren. Zudem seien linke Demonstranten und Unbeteiligte zum Teil mit Rechtsradikalen in einen Käfig gesperrt worden. Hierüber habe sich ein 18jähriger Austauschschüler aus Australien bitter beschwert.

Scharf kritisierte der RAV von der Polizei verbreitete Falschmeldungen über verletzte Beamte und Säure verspritzende Mitglieder der »Clowns Army« sowie den Einsatz von »Agents provocateurs« der Polizei, die bei Blockadeaktionen auf ihre Mitdemonstranten »massiv eingewirkt« hätten, um diese zu Gewalttaten zu ermuntern. Hierfür gebe es Zeugen, die zur Aussage bereit seien.

Aus eigener Erfahrung berichteten die Rostocker Rechtsanwältin Verina Speckin und der Berliner Anwalt Ulrich von Klinggräf über die Behinderung ihrer Tätigkeit während der G-8-Proteste durch die Polizei. Ihr Anliegen, Kontakt mit Mandanten aufzunehmen, sei von den Polizeibeamten vor den Gefangenensammelstellen teils mit Drohungen und Verbalinjurien quittiert worden. »Verpiß dich, du Arschloch« habe noch zu den harmloseren Äußerungen gehört, sagte Rechtsanwalt Ulrich von Klinggräf. Die Drohungen umfaßten Platzverweise, Ingewahrsamnahmen und informelle Hausbesuche. Diese Erfahrung mußte von Klinggräf zufolge eine Potsdamer Anwaltskollegin machen, die zuvor einen Polizisten in einem Gerichtsverfahren scharf befragt hatte und von dessen Kollegen erkannt worden war.

Rechtsstaat außer Kraft

Monate zuvor hatten die ehrenamtlichen Mitarbeiter des Anwaltlichen Notdienstes Kontakt zur Polizeisondereinheit Kavala aufgenommen und Vorgespräche vereinbart, um derartige Szenen zu vermeiden. Am 3. April hatte dann auch ein Gespräch stattgefunden, bei dem aber laut Rechtsanwältin Verina Speckin zentrale Fragen ungeklärt blieben – wie etwa die der Räumlichkeiten für Anwaltsgespräche in den Gefangenensammelstellen. Ein weiterer Gesprächstermin sei nicht mehr zustande gekommen, weil die Verantwortlichen der Kavala lediglich »Ende April« ins Auge fassen wollten. Als »Provinzanwältin« habe sie geglaubt, es werde alles seinen rechtsstaatlichen Gang gehen, sagte Verina Speckin. Die letzte Woche habe ihr neue Erkenntnisse gebracht.

Vom Umgang der Polizei mit akkreditierten Medienvertretern berichtete Kamil Majchrzak – der Redakteur der polnischen Ausgabe von Le Monde Diplomatique war nach seiner Festnahme in einer Haltung gefesselt worden, die bei ihm zu Atembeschwerden und Ohnmacht führte. Die Polizei habe während der Blockadeaktionen an einigen Stellen verhindern wollen, daß Pressevertreter die Räumung der Demonstranten beobachten konnten.

http://www.jungewelt.de/2007/06-12/049.php