G8-Gipfel: Gipfelgegner - Viel geht über links

Financial Times Deutschland 1. Juni 2007

von Kristina Allgöwer
Mehr als 16.000 Polizisten und 1100 Soldaten der Bundeswehr sind vor Ort und sorgen bei den bisher 60 angemeldeten Protestver- anstaltungen für Sicherheit. Die meisten G8-Gegner kommen aus dem linken Spektrum.
Mehr als 100 Mio. Euro fließen in die Organisation des Gipfels, allein 12 Mio. Euro hat der Sperrzaun um den Tagungsort gekostet. Überhaupt, der Zaun: Schon im Vorfeld avancierte seine nüchterne Architektur zur Touristenattraktion, und sicher wird sie für den Gipfel genauso zum Symbol werden wie die Münchner Allianz Arena für die WM 2006.
Deren Motto “Die Welt zu Gast bei Freunden” wird auch in Heiligendamm beinahe wörtlich umgesetzt. Die Liste der Besucher ist beeindruckend: Unter ihnen werden viele namhafte Globalisierungskritiker erwartet.

Das Team

Entscheidend für das Abschneiden dieser Truppe wird sein, ob sie im Laufe des Gipfels noch zu mannschaftlicher Geschlos- senheit findet. Selbst über den Namen des Teams konnte man sich noch nicht einigen: Als Globalisierungsgegner wollen sich die wenigsten verstanden wissen, eher als Globalisierungskritiker. Denn Globalisierung an sich ist schon in Ordnung, aber sie soll mit sozialer Gerechtigkeit verbunden sein. So sieht es zumindest die Kampagne “Block G8″ mit ihrer Sprecherin Frauke Banse.

Taktisch werden die G8-Gegner vor allem über den linken Flügel spielen, denn dort liegt ihre Stärke: Als Linksaußen steht Christoph Kleine auf dem Platz, Sprecher des Bünd- nisses “Interventionistische Linke”. Kleine und Banse verstehen sich gut, bei Block G8 sind sie Kollegen - da kennt man die Lauf- wege. Für Flexibilität ist Attac-Koordinator Werner Rätz bekannt, er stand schon bei der Jungen Union, den Grünen und der PDS unter Vertrag.

Hoffnung machen Sturmtalente wie der Poli- tikstudent Jonas Posselt und Alexis Passadakis, der sich für einen gerechten Welthandel einsetzt. Die Abwehr stabili- sieren erfahrene Leute wie Monty Schädel von der Deutschen Friedensgesellschaft und der Greenpeace-Energieexperte Jörg Feddern.

Vorbereitung

Auf das Turnier haben sich die G8-Gegner gründlich vorbereitet. In Hunderten “Aktion- strainings” in ganz Deutschland haben sie geübt, wie man sich bei einer Blockade zu verhalten hat - wie man sich einer Räumung widersetzt, Polizeisperren überwindet, die führenden Köpfe der Mannschaft schützt und kleine Gruppen bildet, deren Mitglieder aufeinander achtgeben.

Erste Testspiele gab es nach einer bundes- weiten Razzia im Mai, unter anderem im Hamburger Schanzenviertel. Farbanschläge auf Häuser und Brandanschläge auf Autos sind wohl nicht der Mannschaft selbst, sondern gewaltbereiten Fans zuzuordnen.

Unterbringung

Standesgemäß spartanisch sind die Spieler untergebracht - allerdings nicht geschlossen in einem Teamquartier, sondern verstreut auf Camps im Umland: eines in Reddelich, eines in Wichmannsdorf und eines auf einer abgebrochenen Rostocker Industriefläche.

Manche Spieler sind vielleicht auch im “Convergence Center” zu finden - das sind Räume der Ehm-Welk-Schule in Rostock- Evershagen. Die Veranstalter des “G8-Gute- Nacht”-Camps in Bützow stehen dem Gipfel nach eigenen Angaben neutral gegenüber. Hier stellt unter anderem die DGB-Jugend ihre Zelte auf.

Spielplan

Ihr Auftaktspiel haben die Gipfelgegner schon am 2. Juni in Rostock: Die Groß- demonstration gegen den G8-Gipfel beginnt um 13 Uhr. Nach zwei Aktionstagen zu den Themen Landwirtschaft und Migration geht es am 5. Juni mit dem G8-Alternativgipfel weiter, den unter anderem Attac, Greenpeace und “Gerechtigkeit jetzt!” initiiert haben.

Bei Podiumsveranstaltungen und Workshops betreten die Altstars der Mannschaft das Spielfeld: Vandana Shiva, die 1993 den Alternativen Nobelpreis gewann, und Jean Ziegler, der Uno-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung. Am 6. und 7. Juni haben die Stürmer ihren großen Auftritt: Dann sollen der Flughafen Rostock-Laage und die Zufahrtswege nach Heiligendamm blockiert werden.

Public Viewing

Die Spiele der Mannschaft werden zweifellos in den Nachrichten zu verfolgen sein. Aber ein richtiger Fan will natürlich live dabei sein. Das ist bei den Protesten problemlos möglich und billiger als bei der WM: Karten für den Alternativgipfel gibt es in Rostock für nur “5 Euro plus X”.

Aktionstrainings für die Blockaden und Informationsveranstaltungen finden in den Camps vor Ort statt. Die Bezahlung für die Übernachtungen ist freiwillig, Richtwert sind 5 Euro pro Person und Tag. Die Demonstrationen und Blockaden kosten nichts. Außer vielleicht ein Ordnungsgeld.

FTD.de, 01.06.2007
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