Emanzipatorische Elemente

german-foreign-policy 29. Mai 2007

(Eigener Bericht) - Begleitet von heftigen Protesten hat am gestrigen Montag das achte Treffen der ASEM-Außenminister in Hamburg begonnen. Rund 6.000 Demonstranten forderten eine grundsätzliche Umkehr der EU-Politik, die maßgeblich von Berlin bestimmt wird. Deutschland versucht im ASEM-Bündnis, seinen weltweiten Einfluss auszubauen und ein Gegengewicht zu den USA zu etablieren. Nach Einkesselung durch Tausende Uniformierte musste die Demonstration vorzeitig beendet werden; die Polizei ging mit Wasserwerfern und gepanzerten Fahrzeugen gegen die Protestierenden vor. Unter Einsatz von Schlagstöcken und vereinzeltem Drohen mit Schusswaffen kam es zu zahlreichen Festnahmen. Beim Hamburger ASEM-Treffen steht am heutigen Dienstag eine engere Zusammenarbeit der europäisch-asiatischen Repressionsapparate auf der Tagesordnung. Dabei geht es auch um Maßnahmen zur Flüchtlingsabwehr. Die koordinierte Aufrüstung der paramilitärischen Apparate wird mit Unterstützung Berlins seit fünf Jahren intensiviert - trotz scharfer Kritik von Menschenrechtsorganisationen, die den Sicherheitsbehörden sowohl asiatischer als auch europäischer ASEM-Staaten, darunter Deutschland, ernste Menschenrechtsver- letzungen vorwerfen. Die Bundesregierung begleitet die ASEM-Zusammenarbeit mit militärpolitischen Einflussmaßnahmen und weitet ihre militärischen Aktivitäten auch in Nordostasien aus.
Beim diesjährigen ASEM-Außenministertreffen sind insgesamt 43 Staaten aus Europa und Asien präsent. Neben den Mitgliedern der EU und des südostasiatischen Zusammenschlusses ASEAN [1] sowie Staaten aus Nordostasien [2] nehmen zum ersten Mal die Mongolei und die südasiatischen Länder Indien und Pakistan teil. Ort der Veranstaltung ist Hamburg, die ehemalige Drehscheibe des deutschen Handels mit den ostasiatischen und pazifischen Kolonien und bis heute "Deutschlands Tor zu Asien" (Frank-Walter Steinmeier).[3] Neben bedeutenden wissenschaftlichen Einrichtungen mit Schwerpunkt Ostasien beherbergt Hamburg den Ostasiatischen Verein, einen Wirtschaftsverband, der im Jahr 1900 zur Unterstützung des Kolonialhandels aufgebaut wurde und immer noch einige Gründungsfirmen zu seinen Mitgliedern zählt.

Gegengewicht
Die ASEM-Erweiterung um die Mongolei, Indien und Pakistan verleiht dem ohnehin mitgliederstarken Zusammenschluss noch mehr Gewicht und dient damit dem ursprünglichen Ziel, gegen die Vereinigten Staaten zu konkurrieren. Washington hatte gemeinsam mit seinen Verbündeten Japan und Australien bereits 1989 die Asia-Pacific Economic Cooperation (APEC) [4] gegründet, um seinen wirtschaftlichen Einfluss in Ostasien und im Pazifik auszubauen. Seit 1993 macht das Projekt erkennbare Fortschritte. Im selben Jahr veröffentlichte die Bundesregierung ihr neues Asienkonzept. Darin hieß es: "Im Vergleich zu Japan und den USA (...) ist die deutsche Wirtschaft in der Region Asien/ Pazifik unterrepräsentiert." Die dortigen Länder "wünschen sich ein stärkeres wirtschaftliches Engagement Deutschlands" - "als Gegengewicht" zu Washington und Tokyo.[5] Nur drei Jahre später kam zum ersten Mal das Asia Europe Meeting (ASEM) zusammen. "Die Gründung des ASEM", heißt es in einer Untersuchung über die beiden asiatisch-pazifischen Zusammenschlüsse, stellt "den Versuch dar, den Einfluss der USA in Ostasien und im globalen Kontext zu relativieren".[6]

Emanzipiert und wichtig
Dies bezieht sich explizit auch auf die Sicherheitspolitik. "Deutsche Diplomaten sind der Ansicht, dass der ASEM-Prozess ein emanzipatorisches Element in sich birgt"; er biete den Mitgliedern "die Möglichkeit zu Kontakten auf einer neuen Grundlage (...), weil die USA nicht an diesem Prozess beteiligt sind", heißt es in einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung über das befreiende Element der US-Abwesenheit.[7] Auch seien "hochrangige Vertreter des Außenministeriums in Berlin der Ansicht, dass der ASEM-Prozess im Rahmen der neuen internationalen Sicherheitsstruktur eine immer wichtigere Rolle spielt", werden die deutschen Konkurrenzansprüche umschrieben. Die Bundesregierung ist beim Ausbau des Gegengewichts zu den Vereinigten Staaten federführend. Zum ersten Mal wurden beim ASEM sicherheitspolitische Themen in größerem Umfang 1999 besprochen - während des damaligen Außenministertreffens in Berlin. "Seit dieser Zeit ist die Bedeutung des politischen Dialogs innerhalb der ASEM stetig gewachsen", resümiert die Konrad-Adenauer-Stiftung.[8] Der "Dialog" umfasst seit mehreren Jahren auch Maßnahmen der inneren Repression.

Migration und Terror
Menschenrechtsorganisationen hatten bereits Ende der 1990er Jahre mehrere asiatische ASEM-Staaten scharf kritisiert und von der EU verlangt, den "Schutz der Menschenrechte" in die Kooperation einzubeziehen. Die europäischen Regierungen setzten jedoch im Oktober 2000 die Flüchtlingsabwehr auf die ASEM-Tagesordnung, im April 2002 finanzierte Berlin eine ASEM-Konferenz zum "Management von Migrationsflüssen", welche die Sicherheitsbehörden der beteiligten Staaten ungeachtet etwaiger Menschenrechts - verletzungen in engeren Kontakt brachte. Zwei Monate später bekräftigten die ASEM-Außenminister ihre Absicht, gemeinsam gegen "terroristische Bedrohungen" zu kämpfen - unter anderem durch den Austausch geheimdienstlicher Erkenntnisse. Am 13. September 2002 wandte sich Human Rights Watch ausdrücklich an die Teilnehmer des damals bevorstehenden ASEM-Gipfeltreffens: "Viele Regierungen, darunter ASEM- Mitglieder, haben die Anti-Terror-Kampagne als Gelegenheit benutzt, um politische Gegner zu unterdrücken, bürgerliche Freiheitsrechte unnötig einzuschränken und eine restriktive Politik gegen Flüchtlinge, Asylsuchende, Migranten und andere Ausländer willkürlich zu straffen."[9] Zehn Tage später beschloss der vierte ASEM-Gipfel die Aufnahme regelmäßiger Kontakte zwischen den Sicherheitsbehörden der Mitgliedstaaten, "um die Zusammenarbeit im gemeinsamen Kampf gegen Terrorismus und transnationale organisierte Kriminalität zu erleichtern".[10]

Nicht ernst gemeint
Die sogenannte Anti-Terror-Kooperation wird unter maßgeblicher Beteiligung Berlins sukzessive ausgebaut. Am 16. Mai ging die fünfte der jährlich stattfindenden ASEM- Anti-Terror-Konferenzen zu Ende - mit einer Ankündigung Vietnams, sich stärker als bisher an den internationalen Repressions maßnahmen zu beteiligen. Am selben Tag protestierte die EU öffentlich wegen des vietnamesischen Vorgehens gegen Oppositio nelle - ein nicht ernst gemeinter Einwand, wie die gleichzeitige Intensivierung der Kooperation mit den angeblich kritisierten vietnamesischen Behörden im ASEM-Rahmen zeigt.[11]

Gravierende Defizite
Hanoi hat keine ernsthafte Kritik zu befürchten - weil auch Berlin im Glashaus sitzt. Erst vor wenigen Tagen hat Amnesty International Deutschland in die Liste der Länder aufgenommen, die gravierende Defizite bei den Menschenrechten aufweisen. Davon gänzlich unbeeindruckt werden die ASEM- Außenminister am heutigen Dienstag neue Schritte zur Repressions-Kooperation beschließen, darunter einen intensiveren Austausch behördlich gesammelter Informa- tionen und den Ausbau der Anti-Terror- Kapazitäten.

Militär
Auf bilateraler Ebene ergänzt die Bundesregierung die Repressions-Kooperation mit den ASEM-Staaten um militärpolitische Maßnahmen. Nach dem vorläufigen Abschluss des ersten Bundeswehr-Einsatzes in Südostasien (Indonesien) [12] hat der deutsche Verteidigungsminister im April Nordostasien bereist und eine Intensivierung der militärischen Zusammenarbeit mit der Volksrepublik China, Japan und der Republik Korea (Südkorea) eingeleitet. Dabei ging es nicht nur um Waffenlieferungen; Südkorea etwa soll Flugabwehrraketen aus Bundeswehr- beständen erhalten, Japan ist ebenfalls als Käufer deutschen Kriegsgeräts vorgesehen. Auch ein intensiverer Personalaustausch mit den Armeen Südkoreas und der Volksrepublik China wurde besprochen.[13] In Reichweite rückt damit zum ersten Mal eine ausgedehnte militärische Präsenz der Bundesrepublik in Ostasien - ein Gebiet, in das die USA bislang noch keinen westlichen Konkurrenten eindringen ließen.

[1] ASEAN gehören folgende Staaten an: Brunei Darussalam, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Myanmar, Philippinen, Singapur, Thailand, Vietnam.
[2] Volksrepublik China, Republik Korea, Japan.
[3] Protest gegen EU-Asiengipfel am Montag; Hamburger Abendblatt 25.05.2007
[4] APEC gehören folgende Staaten an: Australien, Brunei Darussalam, Chile, Indonesien, Japan, Kanada, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Papua-Neuguinea, Peru, Philippinen, Russland, Singapur, Republik China (Taiwan), Republik Korea, Thailand, USA, Vietnam, Volksrepublik China.
[5] Asien-Konzept der Bundesregierung; Deutscher Bundestag Drucksache 12/6151, 25.10.1993
[6] Jörn Richert: ASEM und APEC. Transregionale Kooperation im Lichte der Theorien Internationaler Politik; www.weltpolitik.net 22.11.2006
[7], [8] Sebastian Bersick: Das Asia-Europe-Meeting (ASEM): Akteure und Interessenlagen; KAS-Auslandsinformationen 12/2003
[9] Human Rights Watch: Letter to ASEM summit participant countries; 13.09.2002
[10] Declaration on Cooperation against International Terrorism; Copenhagen, 23.09.2002
[11] s. auch In Vorbereitung
[12] s. dazu Im Schatten der Katastrophe, Langfristiger Einsatz, Aufklärung und Subregionales Wettrüsten
[13] s. dazu Breiter Konsens