Sonderzug nach Rostock

Sonderzug nach Rostock
junge welt, Von Rüdiger Göbel, 26.05.2007
Appell an Merkel: Globalisierungskritiker fordern zusätzliche Bahnangebote von Bund und Ländern. Kanzleramtschef antwortet mit Attacke auf G-8-Gegner
Die Proteste gegen den G-8-Gipfel im Ostseebad Heiligendamm kommen in Fahrt. Am Mittwoch demonstrierten Hunderte Globalisierungskritiker in München, am Donnerstag gingen sie in Leipzig auf die Straße. Zur internatonalen Großdemonstration am 2. Juni werden mittlerweile mehr als 100000 Teilnehmer erwartet. Allein, viele Demonstranten wissen nicht, wie sie in der kommenden Woche den hohen Norden erreichen sollen. Die Fahrkarten für Busse und Sonderzüge sind zum großen Teil bereits verkauft. Am Freitag forderten die Demo-Organisatoren die Bundesländer Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern auf, zusätzliche Züge für die Anreise an die Ostsee zur Verfügung zu stellen. Die Deutsche Bahn wäre nach Auskunft eines Sprechers technisch noch in der Lage, diese anzubieten, wenn sie wie beim Regionalverkehr üblich von einem Bundesland bestellt und bezuschußt würden.
»Das verfassungsrechtlich verbriefte Recht zu demonstrieren ist ernsthaft in Gefahr, durch ein vorhersehbares Verkehrschaos unterlaufen zu werden«, warnte Sabine Zimpel vom Entschuldungsbündnis Erlassjahr.de. Werner Rätz vom globalisierungskritischen Netzwerk ATTAC ergänzte: »Es reicht nicht, den Regionalverkehr in der Gipfelwoche nur in der Region Rostock zu verstärken. Was wir dringend brauchen, sind Züge von Berlin nach Rostock.« Die Demonstranten würden sonst einfach mit ihrem Auto anreisen. »Was das für den 2. Juni in Rostock und die ganze Region bedeutet, will ich mir gar nicht vorstellen«, so Rätz. Die Bundeskanzlerin habe in Moskau die Verantwortung auch der Regierung dafür betont, daß Demonstrationswillige zu Versammlungen anreisen können. »Nun kann sie ihren Worten Taten folgen lassen«, erklärte der ATTAC-Aktivist weiter.
Bei der Regierungschefin verhallen die freundlichen Appelle freilich. Kanzleramtschef Thomas de Maizière warf den Gipfelgegnern am Freitag gar vor, aus Unzufriedenheit über die bisherige Protestmobilisierung zu einer Eskalation der Sicherheitsmaßnahmen zu drängen. Presseberichten zufolge kontrollierte die Polizei im Auftrag der Bundesanwaltschaft in Hamburg Zehntausende Briefe. Die Beamten hätten die »Urheber von Bekennerschreiben ausfindig« machen wollen.
In einer Art Selbstbezichtigungsschreiben verurteilen derweil mehr als 300 Wissenschaftler, Kulturschaffende und politische Aktivisten die von Generalbundesanwältin Monika Harms veranlaßten Hausdurchsuchungen gegen Globalisierungskritiker. Die Unterstützer des Briefs »Wir sind alle 129a« kritisieren die Stigmatisierung berechtigten Protests gegen die Politik der G-8-Staaten als »Terrorismus«. Gleichzeitig fordern sie Innenminister Wolfgang Schäuble auf, die geplante »vorbeugende« Inhaftierung von Demonstranten zu unterlassen. »Wer Kritik an der Politik der G-8-Staaten unter Terrorverdacht stellt, meint auch uns! Wer Kritiker an der Politik der G-8-Staaten vorbeugend in Haft nehmen will, meint auch uns!«