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Lasst sie doch schnüffelnZEIT online 24. Mai 2007 Geruchsproben stinken. Das ist aber der einzige Grund, sich darüber aufzuregen. Andere Ermittlungs- und Überwachungsmaßnahmen sind wesentlich fragwürdiger. Ein Kommentar Zu den besonders eindrücklichen Szenen in dem Oscar-prämierten Spielfilm Das Leben der Anderen gehört jene, in der Stasi-Hauptmann Gerd Wiesler den Tschekisten-Nachwuchs in die geheimen Fahndungsmethoden des allmächtigen DDR-Geheimdienstes einweist. Keinen Zweifel lässt er daran, dass sie jeden kriegen - früher oder später. Zum Beispiel mit Hilfe jener Tücher, die den Verdächtigen bei Verhören auf den Stuhl gelegt und die anschließend in Einweckgläsern luftdicht aufbewahrt wurden. Seit ein paar Tagen herrscht nun in den deutschen Medien große Aufregung, Stasi-Alarm sozusagen. Es hat sich herumgesprochen, dass die Ermittlungsbehörden in Berlin und Hamburg bei ihren Razzien vor 14 Tagen von mindestens fünf Gegnern des G8-Gipfels Geruchsproben genommen haben. Nicht mit Tüchern, sondern mit Hilfe von Metallstäben, und nicht heimlich, sondern offen; sogar einen richterlichen Beschluss konnten die Beamten vorweisen. Trotzdem ist die Empörung groß. Grundgesetzwidrig sei dies, von DDR-Methoden ist die Rede und davon, dass sie eines Rechtsstaates unwürdig seinen. Endlich einmal ist der Überwachungs- als wahrer Schnüffelstaat sinnlich greifbar. Zugegeben, besonders appetitlich ist die Fahndungsmethode nicht. Es riecht vermutlich sogar ein wenig streng, zumindest in der Fantasie der Journalisten. Denn der Clou ist ja, dass der Mensch nichts mehr riecht und stattdessen die Hilfe speziell abgerichteter Hunde braucht. Ein Aufreger ist das allerdings eigentlich nicht. Schließlich macht die Polizei nur das, wofür sie da ist: klassische Ermittlungsarbeit. Sie hat an Tatorten Spuren gesichert und sucht nun nach Tatverdächtigen. In diesem Fall geht es um mehrere Brandanschläge auf sogenannte Nobelkarossen in Berlin und Hamburg. Im Verdacht stehen politisch motivierte Gewalttäter aus der autonomen Szene. Weil die ermittelnden Beamten auf den Bekennerschrieben keine Fingerabdrücke und auch sonst keine Hinweise auf die Täter finden konnten, haben sie es stattdessen nun auf Geruchsspuren abgesehen. Man kann darüber diskutieren, ob die Hausdurchsuchungen bei den G8-Gegnern angemessen waren. Man kann kritisieren, dass nur die üblichen Verdächtigen aufgesucht wurden, weil die Polizei nicht weiß, wo sie die Täter der Brandanschläge suchen soll, und sie die militante Szene deshalb vor allem einschüchtern wollte. Davon abgesehen allerdings unterscheidet sich eine Geruchsprobe kaum von einem Fingerabdruck. Sieht man einmal davon ab, dass ein Fingerabdruck vor Gericht als Beweis gilt, während eine Geruchsprobe allenfalls einen vagen Hinweis auf den Täter geben kann. Gerichtsfest ist der Geruchsbeweis nicht, da können die Hunde noch so laut bellen. Gäbe es nicht die Stasi-Analogie, niemand würde und müsste sich darüber weiter aufregen. Außerdem vermittelt der Gedanke an Metallstäbe, Einweckgläser und Schäferhunde angesichts von Gentests, Datenspeichern und Videoüberwachung eine recht altbackene, fast romantische Vorstellung von der polizeilichen und geheimdienstlichen Ermittlungsarbeit. Die mediale Empörung angesichts von ein paar Geruchsproben verdeckt den Blick auf solche Fahndungsmethoden, die sehr viel tiefer in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen eingreifen und die von der Polizei mittlerweile ohne größere Bedenken fast schon routiniert angewendet werden. Massengentests zum Beispiel, bei denen sehr viel mehr sehr persönliche Informationen gewonnen werden, genauso wie bei großflächigen Telefonüberwachungen. Wesentlich fragwürdiger als die Methode Schnüffelnase ist es auch, Demonstranten als potenzielle Gewalttäter präventiv in Polizeigewahrsam zu nehmen. Und damit nicht genug: Wenn sich in der Diskussion um Wolfgang Schäubles neues Terrorismusbekämpfungsgesetz die Hardliner in der Union durchsetzen, können Polizei und Geheimdienste schon bald ein ganzes Arsenal neuer elektronischer Fahndungsverfahren benutzen. Was aber ist eine Geruchsprobe gegen die heimliche Online-Durchsuchung eines privaten Computers? Was ist ein schnüffelnder Schäferhund gegen ein elektronisches System, das mit Hilfe biometrischer Daten in einer großen Menschenmenge einzelne verdächtige Personen identifizieren kann? Der Stasi-Vergleich führt in die Irre. Das Problem ist nicht, dass gegen Verdächtige ermittelt wird, sei es mit Geruchsprobe oder Hausdurchsuchungen. Auch Telefonüberwachungen müssen möglich sein, wenn der Verdacht schwerer Straftaten besteht, ein Richter dies genehmigt hat und die Betroffenen anschließend darüber informiert werden. Das ist Polizeiarbeit. Der Überwachungsstaat beginnt vielmehr dort, wo die Unschuldsvermutung ausgehebelt wird und jeder präventiv verdächtig ist, heimlich abgehört werden kann und alle verfügbaren Daten zentral gespeichert werden. Nur: Romantisch ist das nicht, und stinken tut es auch nicht. von Christoph Seils, 24.5.2007 - 17:15 Uhr |
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