Vor G-8-Gipfel .Massenmedien lieben brennende Barrikaden

Sueddeutscher Zeitung 22. Mai 2007
Soziale Bewegungen sind fester Bestandteil der politischen Landschaft. Doch breite öffentliche Aufmerksamkeit erhalten sie meist nur, wenn ihre Proteste die Grenze zur Gewaltfreiheit überschreiten - oder diese angeblich zu überschreiten drohen. Dies hat Folgen: Die verzerrte Berichterstattung behindert den gewaltfreien Protest.
Eine Außenansicht Von Felix Kolb

Soziale Bewegungen, wie die Umwelt- oder die globalisierungskritische Bewegung, und die von ihnen organisierten Proteste sind zu einer konstanten Größe in der politischen Landschaft der Bundesrepublik geworden. Im Gegensatz zu den im Bundestag vertretenen Parteien erfahren soziale Bewegungen eine breite öffentliche Aufmerksamkeit - aber fast immer nur dann, wenn ihre Proteste die Grenze der Gewaltfreiheit überschreiten oder auch nur angeblich zu überschreiten drohen.

Während der friedliche Protest in den Kommentarspalten der Tageszeitungen beschworen wird, findet er auf den Nachrichtenseiten kaum statt. Wenn, wie am 15. April diesen Jahres, mehrere tausend Menschen ohne jeden Zwischenfall unter dem Motto "Freiheit statt Angst" gegen Sicherheits- und Überwachungswahn auf die Straße gehen, ist der Protest zur Unsichtbarkeit verdammt. Dagegen werden von wenigen Tätern verübte Farbbeutelattacken auf Gebäude oder Brandanschläge auf parkende Autos durch breite Aufmerksamkeit geadelt.

Handlanger militanter Aktivisten

Durch diese hoch-selektive Berichterstattung werden Massenmedien unfreiwillig zum Handlanger von militanten Aktivisten. Während sich radikale Teile der Bewegung in der Wirksamkeit ihrer Aktionsformen bestätigt fühlen, droht der zahlenmäßig weit überlegene Teil der Bewegung die Entmutigung. Ihre kreativen Aktionen und friedlichen Demonstrationen werden immer wieder öffentlich kaum oder gar nicht wahrgenommen.

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Rahmen Bildstrecke Die Zeichensprache der Blockierer Rahmen

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Noch heute müssen sich auf Gewaltfreiheit pochende Attac-Aktivisten des Vorwurfs erwehren, dass Attac seinen Aufstieg im Sommer 2001 nur den militanten Aktionen von Gipfelgegnern in Genua zu verdanken habe. Zwar gab es in Genua auch militante Aktionen. Schaden genommen hat die globalisierungskritische Bewegung aber nur deshalb nicht, weil die italienische Polizei derart massiv und wahllos ihr Gewaltmonopol missbrauchte, dass die Sympathien der Öffentlichkeit ganz auf Seiten der Protestierenden waren.

Wenn heute Journalisten der geschickten PR-Arbeit der Sicherheitsbehörden aufsitzen und vor einem zweiten Genua warnen, dann ist das Wasser auf die Mühlen einer kleinen und schrumpfenden Fraktion innerhalb des linksautonomen Spektrums.

Aufgeheizte Gewaltdebatte

Völlig unbemerkt von der aufgeheizten Gewaltdebatte hat sich innerhalb der linksautonomen Bewegung ein weitreichender Strategiewechsel vollzogen. Nach und nach setzt sich die Ansicht durch, dass militante Aktionsformen der politischen Realität der Bundesrepublik im Jahr 2007 nicht mehr entsprechen und damit ausgedient haben. Vor diesem Hintergrund muss auch die Kampagne "Block G8" verstanden werden, die beabsichtigt während des Gipfel durch Massenblockaden die Zufahrtswege nach Heiligendamm zu blockieren.

Diese Kampagne zivilen Ungehorsams wird von einem breiten Bündnis von Organisationen unterstützt. Es reicht von Aktiven von Attac, der Grünen Jugend über gewerkschaftsnahe Organisationen bis zu linksradikalen Gruppierungen der Interventionistischen Linken. Die Polizei hat erkannt, vor welches Problem sie Tausende friedliche Blockierer stellen würde, falls diese tatsächlich die Zufahrtswege nach Heiligendamm verstopften.

Um bereits jetzt die öffentliche Akzeptanz für ein hartes Vorgehen zu schaffen, versucht sie den Gewaltbegriff möglichst ausufernd zu besetzen. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Mutlangen-Urteil klargestellt, dass Sitzblockaden nicht als Gewalthandlungen definiert werden dürfen.

Die Strategie der Scharfmacher in Karlsruhe droht aufzugehen: Statt dass die Medien über die neue Bündnisfähigkeit sehr unterschiedlicher Protestgruppen jenseits militanter Konzepte und den endlich vollzogenen Strategiewechsel in großen Teilen der linksautonomen Szene berichten, dreht sich alles um die angeblich drohenden massiven gewaltsamen Auseinandersetzungen.

Zu vernachlässigendes Randphänomen

Sollte die Mehrheit der Journalisten weiter ignorieren, dass militante Aktionen zwar ein bedauerliches, aber eben nur ein zu vernachlässigendes Randphänomen der heutigen Protestbewegung darstellen, ist folgendes Szenario zu befürchten: Wenn während der Proteste in Heiligendamm auch nur eine Barrikade brennt oder ein einziger Autonomer vor einer Fernsehkamera einen Stein in Richtung Zaun wirft, dann werden dies die bestimmenden Bilder der Berichterstattung sein. Die vielen zehntausend Bürger/innen, die kreativ demonstrieren oder gewaltfrei blockieren, würden zu bloßen Statisten degradiert. Freuen könnte sich ein kleine Häuflein dogmatischer Autonomer.

Seitdem die Bundesanwaltschaft auch mit dem Verweis auf angeblich drohende Anschläge gegen das Gipfeltreffen eine großangelegte Razzia autorisierte, ist über die geplanten G-8-Proteste täglich zu lesen. Zu Recht wurde in vielen Medien das großräumige Versammlungsverbot rund um den Tagungsort mit Hinweis auf die kritischen Gruppen, die sich ernsthaft mit dem Einfluss und der Politik der großen Industrienationen befassen, als massive Einschränkung von Grundrechten kritisiert.

Doch ausgeblendet bleiben die Inhalte des Protests: Der Öffentlichkeit wird die Chance verwehrt, selbst zu beurteilen, für wie überzeugend sie die Argumente der Globalisierungskritiker gegen die Politik der G-8-Staaten hält.

Diese Leerstelle haben aber nicht die Kritiker zu verantworten. Letzten Freitag lud Attac zu einer Pressekonferenz nach Berlin, um die Kritik an der G8 ausführlich darzulegen. Das Interesse der über 50 anwesenden Journalisten galt aber nicht etwa den Gründen, warum die Globalisierungskritiker ein Verbot von hoch-spekulativen Hedgefonds und das Ende der Verhandlungen zwischen EU und einigen afrikanischen Staaten über eine weitere Handelsliberalisierung fordern. Stattdessen erschöpfte sich die Berichterstattung im Wesentlichen in der wenig überraschenden Ablehnung der Demonstrationsverbote durch Attac.

Es bleibt zu hoffen, dass die Berichterstattung über die internationale Großdemonstration am 2. Juni in Rostock und die nachfolgenden Aktionen und Massenblockaden, den gewaltfreien Protagonisten und ihren Forderungen einen angemessenen Platz einräumen wird.

Felix Kolb war früher bei der globalisierungskritischen Vereinigung Attac engagiert und ist jetzt Geschäftsführer der "Bewegungsstiftung", einer Stiftung, die soziale Bewegungen unterstützt.