Amnesty international beklagt "Politik der Angst"

Frankfurter Rundschau 23. Mai 2007

Amnesty-Jahresbericht

Überzogene Sicherheitsinteressen und Terrorangst führen Amnesty International zufolge in Deutschland und weltweit zu erheblichen Einschränkungen bei Menschenrechten. "Eine Politik der Angst hat sich verfestigt", sagte die Generalsekretärin der deutschen Sektion, Barbara Lochbihler, am Mittwoch in Berlin bei der Vorstellung des Jahresberichtes 2007.

Dies führe zur Aushöhlung rechtsstaatlicher Grundsätze, so Lochbihler. Der Bericht beleuchtet die Einhaltung der Menschenrechte im vorigen Jahr in rund 150 Ländern, darunter auch in Deutschland. Er kritisiert insbesondere Einschränkungen der Grundrechte in Russland. Aber auch Deutschlands Geheimdienste stehen in der Kritik. Die Generalsekretärin: "Menschenrechtsschutz spielt in der Arbeit der Geheimdienste keine Rolle."

Zur Einhaltung der Menschenrechte sagte Lochbihler: "Angst vor Terrorismus bedeutet ein sehr verengtes Sicherheitsdenken." Sie beklagte: "Im September 2001 waren die Attentate von New York. Und jetzt muss ich einen Großteil meiner Arbeit damit verbringen, das Folterverbot zu verteidigen." Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth sagte dazu: "Es darf keinen Menschenrechtsrabatt geben." Im Kampf gegen den internationalen Terrorismus drohe eine Erosion der Menschenrechtsstandards.

Lochbihler verlangte von Deutschland, irakische Flüchtlinge aufzunehmen. Die Situation im Irak habe sich noch weiter destabilisiert. Bei den deutschen Geheimdiensten sieht sie "großen Handlungsbedarf". An den so genannten Sicherheitsrunden im Kanzleramt solle ein Menschenrechtsbeauftragter zur Kontrolle der Geheimdienste teilnehmen. Deutsche Geheimdienstler waren im Zusammenhang mit den Fällen Murat Kurnaz und Khaled el Masri in die Kritik geraten.

Einschränkungen für Demonstranten vor und während des G8-Gipfels im Juni sieht Amnesty "mit großer Sorge". Mit Blick auf Einreiseverbote für Globalisierungskritiker sagte Lochbihler: "Das erinnert sehr an die Politik von Berlusconi beim G8-Gipfel in Genua." Bei dem vom damaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi organisierten Gipfel 2001 war es zu blutigen Straßenschlachten gekommen. Ein 23-jähriger Demonstrant wurde erschossen. Lochbihler kündigte an, Amnesty werde Sammelstationen für kurzfristig Festgenommene während des Gipfels rund um Heiligendamm in Mecklenburg-Vorpommern inspizieren.

Vom G8-Gipfel erwartet Amnesty eine klare Position zu den Menschenrechtsverletzungen in Afrika. "In weiten Teilen des afrikanischen Kontinents bleibt die Menschenrechtssituation äußerst angespannt", heißt es in dem Bericht. Lochbihler verlangte von dem Gipfel eine Erklärung zu Sudans Krisensituation Darfur. Der Darfur- Konflikt hat schon mindestens 250 000 Todesopfer gefordert und rund 2,5 Millionen Einwohner zu Vertriebenen gemacht.

Amnesty beklagte Menschenrechtsverletzungen in vielen Staaten der Welt, darunter in China, Russland und den USA. Bei US-Politikern gebe es kein Umdenken im "Krieg gegen den Terrorismus". Das Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba sei nicht geschlossen worden. China sei ein Jahr vor den Olympischen Spielen weit entfernt von der Zusage, dass die Spiele zur Verbesserung der Menschenrechtslage beitragen würden.

Lochbihler sagte: "Russland ist nach wie vor ein Staat, bei dem uns die Menschenrechtslage große Sorgen macht." Die Meinungsfreiheit werde weiter eingeschränkt. Es gebe kaum noch unabhängige Medien. "Die Demonstrationen werden gewalttätig unterdrückt. Und viele kritische Journalisten arbeiten dort unter einem hohen Risiko." In Russland komme es zunehmend zu rassistisch motivierter Gewalt.