Was geschah am Sonntag, 20. Mai 2007
Nach der lebendigen Auftakt-Demo am Samstag stand der zweite Tag des Karawane-Tour- Auftakts in Neuburg vor allem im Zeichen des Austausches und gegenseitigen Kennenlernens zwischen AktivistInnen des bundesweiten Karawane-Netzwerkes und BewohnerInnen des Neuburger Flüchtlingslagers...
Nachdem der Sonntag mit Unterschriften sammeln vor Neuburger Kirchen gegen die drohenden Abschiebungen in den Irak begonnen worden war und eine Delegation der Karawane eine Runde durchs Lager gedreht hatte, fanden sich im Laufe des späten Nachmittags einige der LagerbewohnerInnen beim Aktions- Camp auf der Brandlwiese ein.
In dem gemeinsamen Plenum trugen die Neuburger Flüchtlinge, darunter Leute aus Äthiopien, Irak, Nigeria, Sudan, Tansania, Afghanistan und Kosovo ihre Erfahrungen vor. Alltägliche Geschichten aus deutschen Amts stuben und Lagern, Geschichten von alltäg lichem Behördenterror, Abschiebedrohungen und Unzufriedenheit mit schlechten Lebens perspektiven vor. So berichteten die Iraker von der sich zuspitzenden Ausweglosigkeit, in die sie von den deutschen Behörden gedrängt werden: Zum Einen werden irakische Dokumente, wie Pässe oder Geburtsurkunden, von den deutschen Behörden nicht anerkannt, wenn es um etwas im Sinne der Flüchtlinge geht, zum Beispiel die Möglichkeit, zu Heiraten. Gleichzeitig bereitet der deutsche Staat, und hierbei besonders die Bundes länder Bayern und Niedersachsen, auf Hochtouren Abschiebungen in den Irak vor, ein Land, das tagtäglich durch Krieg, Terror und Besatzung weiter zerstört wird. Und genau dafür sind besagte Dokumente, vor allem die alten irakischen S-Pässe, wiederum gut genug. Im Moment scheint es nur eine Frage der Zeit, bis mit diesen Abschiebungen tatsächlich im großen Stil begonnen wird, was anscheinend vor allem von momentan noch andauernden Verhandlungen und Absprachen mit den örtlichen Behörden im Nordirak abhängt. Großen Unmut erregte bei einigen der Anwesen den das Dilemma, dass ihnen einerseits in Deutschland jede Chance auf Flüchtlings schutz und Bleiberecht verweigert wird, dass sie aber gleichzeitig von anderen EU- Staaten, wie Schweden, wo irakische Flüchtlinge ansonsten ungleich bessere Chancen haben, nach Deutschland zurückge schickt werden, sobald gemäß der "Dublin"- Vereinbarung die Fingerabdrücke gecheckt werden- ein Problem, mit dem einige der Neuburger IrakerInnen schon schmerzliche Erfahrungen gemacht haben.
Ein weiterer Punkt war der Kreislauf von materieller Desintegration und Krimina lisierung: Durch die gerade in Neuburg gängige Sanktionspraxis von Arbeitsverboten und komplettem Entzug sogar der monatlichen 40 Euro "Taschengeld" sämtlicher finanzieller Ressourcen beraubt, blieb manchen nichts anderes übrig, als beispielsweise unerlaubt zu Arbeiten. Oftmals führt dies jedoch dazu, dass Leute in Folge von Polizeikontrollen mit Strafen überzogen werden, die sie wiederum mangels Geld nicht zahlen können und so weiter...
Zu erwähnen sind auch die Erfahrungen einer Gruppe von Flüchtlingen, mit denen bereits beim Besuch des Lagers gesprochen wurde, die von extrem ausbeuterischen Arbeitsbedingungen berichteten, denen sie bei dem Neuburger Kartoffelverarbeitungs betrieb "Agropa" ausgesetzt sind: Insbesondere migrantische ArbeiterInnen werden dort, trotz anders lautender Arbeitsverträge, unter Androhung von Kündigung gezwungen, an vielen Tagen weit über 12 Stunden zu arbeiten.
Und es wurde auch über sonstige spezielle persönliche Katastrophen gesprochen: Da war zum Beispiel die Frau aus Nigeria, die unter Depressionen und einer schweren, behandlungs bedürftigen Augenerkrankung leidet, der aber dennoch, trotz ärztlichem Anraten, Abschiebe schutz und humanitärer Aufenthaltstitel verweigert wird. Oder der Mann aus dem Kosovo, der eigentlich mit einer öster reichischen Staatsbürgerin verheiratet ist, mit der er auch ein gemeinsames Kind hat, der aber seit Jahren vergeblich darauf wartet, dorthin legal ausreisen zu können. Und nicht zuletzt eine mit der Karawane angereiste Iranerin aus dem Lager in Blankenburg, die feststellen musste, dass ihr in Deutschland die Asylanerkennung verweigert wird, obwohl sie im Iran gerade durch die Zusammenarbeit mit einem deutschen Fernsehteam zur Zielscheibe staatlicher Verfolgung geworden war.
Doch auch unterschiedliche Möglichkeiten und Strategien, sich gegen diesen alltäglichen Wahnsinn zu schützen und zu wehren, standen zur Debatte..
Ein Punkt dabei war die Frage des klugen Umgangs mit Vorladungen zu sog. "Botschaftsterminen" zum Zwecke der Ausstellung sogenannter Heimreisepapiere. Dabei stellt sich das Dilemma, dass unentschuldigtes Fernbleiben zum Einen strafrechtlich verfolgt wird, und dass zum anderen die Vorgehensweise, hinzugehen, aber die Kooperation und das Gespräch mit den Botschaftsangehörigen zu vermeiden, sich in der Praxis oftmals als äußerst schwierig erweist.
Aber es wurden auch Beispiele vorgebracht, die Mut machen. Beispiele von erfolgreichen Kämpfen gegen Abschiebungen, wie die Sitz- und Hungerstreiks iranischer Flüchtlings aktivistInnen, mittels derer es die SPI (Socialist Party of Iran) gelungen ist, die meisten ihrer AktivistInnen in den Status der Asylanerkennung zu bringen. Oder die Geschichte von Debru E., inzwischen schon eine lokale Berühmtheit als Neuburger Flüchtlingsaktivist: Vor wenigen Monaten stand er kurz vor der Abschiebung, doch durch die Solidarität von Flüchtlingsrat und Karawane hat er es geschafft, nicht nur nicht abgeschoben zu werden, sondern endlich auch seine Asylanerkennung und Aufenthalts erlaubnis zu bekommen.
In diesem Sinne wurde auch das Treffen mit dem Ausblick beschlossen, weiterzukämpfen. Beispielsweise soll es demnächst ein Treffen für die Fortsetzung und Ausweitung der Kampagne gegen Abschiebungen in den Irak geben, zu dem IrakerInnen aus verschiedenen bayerischen Städten eingeladen werden sollen. Immerhin wurde mit den vorangegan genen Protestaktionen bereits ein vielversprechender Anfang gemacht, den Skandal der geplanten Irak-Abschiebungen in der Öffentlichkeit auf die Tagesordnung zu setzen.
Nach dem doch recht langen Plenum klang der Abend noch gemütlich und entspannt aus mit gemeinsamem Grillen und Musik. Nicht zuletzt gebührt hier ein besonderes Lob den Stars des Abends: Dem Kinder-Trio aus dem Lager. Ihr habt den Abend echt gerockt, zuerst mit A-capella-Gesang, dann habt ihr als Wahnsinns-DJs und ShowmasterInnen den zeitweilig etwas trägen Haufen erst zum Singen und dann zum Tanzen gebracht. Schön war's!
The story's yet to be continued:
Karawanetour bis zum 4. 6., bei den Protesten und Widerstandsaktionen gegen den G8-Gipfel in Rostock und Heiligendamm:
www.thecaravan.org www.carava.net