Interview: “Weg vom Misstrauen gegen den Staat”

Welt 18. Mai 2007


Zwei Wochen nach seinem Amtantritt explodierten die Bomben von Madrid. Seitdem warnt der Präsident des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, vor der Terrorgefahr auch in Deutschland. Mit WELT ONLINE sprach er über Online-Durchsuchungen, Bedrohungen und den G-8-Gipfel.

Der gelernte Polizist und studierte Kriminalsoziologe Jörg Ziercke ist seit Februar 2004 Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA). Zwei Wochen nach seinem Amtsantritt explodierten die Bomben von Madrid. Seitdem wird der heute 59-Jährige nicht müde, vor der Terrorgefahr auch in Deutschland zu warnen und erweiterte Fahndungsmöglichkeiten für die Ermittler zu fordern. Über Online-Durchsuchungen, Terrorgefahr, linke Bedrohung und den G-8-Gipfel von Heiligendamm sprach mit Ziercke WELT ONLINE-Korrespondentin Gisela Kirschstein.

WELT ONLINE: Herr Ziercke, in drei Wochen findet der G-8-Gipfel in Heiligendamm statt – nervös?

Jörg Ziercke: Ich bin nicht nervös. Ich bin zuversichtlich, dass wir einen Rahmen schaffen werden, in dem friedliche Demonstrationen möglich sind. Gleichzeitig ist es aber auch unser Ziel, dass wir Militanz verhindern wollen. Wir müssen verhindern, dass es zu Ausschreitungen und Anschlägen kommt und die Konferenz dadurch gestört wird. Wir sind aber auch besorgt: Wir haben seit Anfang des Jahres eine verstärkte Zunahme von Straftaten aus einem linksextremistischem, militanten Umfeld in Deutschland. Es gab Brandanschläge auf Objekte und Fahrzeuge von Personen des öffentlichen Lebens, von Unternehmen, auch auf die Polizei. Wir können nicht zulassen, dass sich diese Lageentwicklung weiter verschärft.

WELT ONLINE: Gibt es tatsächlich eine neue Terrorgefahr von links?

Ziercke: Wer durch eine Vielzahl von Brandanschlägen gegen Häuser und Autos Angst und Schrecken verbreiten will und dabei nicht ausschließen kann, dass auch Menschen gefährdet werden, terrorisiert seine Mitmenschen. Die Anschläge von London oder Madrid haben natürlich eine andere Qualität, auch vom Schadensumfang her. Es gibt ferner eine Szenebroschüre mit dem Titel „Know your enemy“, in der viele Personen des öffentlichen Lebens verewigt sind. Wenn da steht „Kenne deinen Feind“, sehe ich die Gefahr, dass ein bestimmtes Klima erzeugt wird. Ich sehe aber derzeit keinen Vergleich zur früheren RAF.

WELT ONLINE: Sehen Sie denn eine Verbindung zwischen den Militanten und den friedlichen Demonstranten?

Ziercke: Ich gehe von einer klaren Trennung zwischen den friedlichen Demonstranten und den Militanten aus. Ich unterstelle niemandem, dass es hier eine Verbindung gibt. Das wäre auch absurd, wenn man sich anschaut, welche Gruppierungen friedlich demonstrieren wollen.

WELT ONLINE: Die Razzia ist ja nicht gerade als Deeskalationsstrategie wahrgenommen worden, vielfach gab es Reaktionen nach dem Motto „Jetzt erst recht“.

Ziercke: Polizeimaßnahmen werden von den Betroffenen oft als Druckausübung, vielleicht als subjektiv ungerecht empfunden. Die Tatsachen sind aber sehr eindeutig: Wir hatten auf den G-8-Gipfel bezogen zwei Brandanschläge im Raum Berlin, zu denen sich eine militante Gruppe bekannt hat, und etwa 21 weitere Brandanschläge derselben Gruppe seit 2001. Aufgrund der Anschläge gibt es eine Vielzahl von Spuren. Unser Ziel war es, Beweise zu finden. Die Aktion bezog sich konkret auf 21 Personen – daneben stehen potenziell Zehntausende von friedlichen Demonstrationsteilnehmern. Ich kann nicht erkennen, dass diese gezielte Maßnahme dazu führt, dass wir zur Eskalation beitragen.

WELT ONLINE: Sie wollen friedliche Demonstrationen gewährleisten, aber Sie ziehen einen 13 Kilometer langen Zaun. Wo sollen denn Demonstrationen noch stattfinden?

Ziercke: Der friedliche politische Protest wird sich in jeder Form äußern können. Es wird eine Vielzahl von Veranstaltungen geben, die Demonstranten werden gehört und gesehen werden durch die Medien. Wir brauchen den Zaun gegen militante Störer, die versuchen wollen, eine sichere Durchführung der Veranstaltung zu verhindern.

Wie groß ist die Gefahr wirklich?

WELT ONLINE: Sie warnen immer wieder vor der Gefahr eines islamistischen Anschlages, wie groß ist die Gefahr wirklich?

Ziercke: Wir sind, und das sagen wir immer wieder, im weltweiten Gefahrenraum des islamistischen Terrorismus. Es entsteht immer der Eindruck, in Deutschland sei nichts passiert. Wir haben seit dem Jahr 2000 sechs massive, konkrete Anschläge verhindern können. Es werden aktuell 229 Ermittlungsverfahren mit islamistisch-terroristischem Hintergrund durch die Polizeien der Länder und das BKA bearbeitet, wir haben eine Vielzahl von Verdachtslagen. Wir haben keine konkreten Hinweise auf Anschläge, aber wir haben eine erhöhte abstrakte Gefahr, und wir müssen hoch aufmerksam sein.

WELT ONLINE: Aber wie ist das einzuschätzen: Sind das Trittbrettfahrer, echte Terrorzellen?

Ziercke: Das Spektrum des islamistischen Terrorismus ist sehr differenziert und reicht von Al-Qaida-Strukturen über autonome Gruppen, dem fanatisierten Einzeltäter bis hin zum Suizid-Attentäter. Wir müssen auch in Deutschland mit all diesen Erscheinungsformen des internationalen Terrorismus rechnen. Wir haben es bisher verstanden, Anschläge zu verhindern, weil wir rechtzeitig in der Lage waren, uns mit diesen Leuten auseinanderzusetzen.

WELT ONLINE: Das klingt doch so, als wären Sie sehr erfolgreich. Wozu dann eine Verschärfung der Sicherheitsinstrumente?

Ziercke: Ich sage ganz offen: Wir haben auch Glück gehabt. Der missglückte Anschlag der Kofferbomber – die hatten wir nicht auf dem Schirm. Wären diese beiden Bomben in die Luft geflogen, hätten wir mit zahlreichen Toten rechnen müssen. Ich weiß, dass die Online-Durchsuchung ein umstrittenes Thema ist. Wir brauchen sie aber, weil wir derzeit technologisch nicht in der Lage sind, mit der anderen Seite mitzuhalten. Die Informationen werden heute ins Internet ausgelagert und gespeichert. Die Polizei findet also auf dem häuslichen Computer nichts, insbesondere wenn Verschlüsselungen eingesetzt werden, die durch die Sicherheitsbehörden nicht mehr entschlüsselt werden können. Solche technologischen Entwicklungen beschränken deutlich die Möglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden zur Bekämpfung von organisierter Kriminalität und von Terrorismus.

WELT ONLINE: Wenn die Daten ausgelagert werden, was nützt Ihnen dann der Zugriff auf einen Computer? Und wie wollen Sie den bewerkstelligen?

Ziercke: Der Zugriff auf die Daten im Internet erfolgt über den häuslichen PC. Die Schlüssel für diesen Zugriff erhalte ich nur, wenn ich online bei der Schlüsseleingabe dabei sein kann. Wir haben taktische und technische Möglichkeiten, die wir sehr individuell, auf den Einzelfall bezogen, einsetzen können. Es geht also nicht um eine flächendeckende Schleppnetzfahndung im Internet, sondern um Informationen, die für ein konkretes Strafverfahren zur Gefahrenabwehr notwendig sind.

Entscheiden muss ein Ermittlungsrichter

WELT ONLINE: Unter Kontrolle und Aufsicht?

Ziercke: Ja, selbstverständlich. Ein Ermittlungsrichter muss den Einsatz entscheiden, ein Staatsanwalt muss die Durchführung kontrollieren, und ein Datenschützer muss die Gesamtmaßnahme überwachen. Ich habe gar kein Problem damit zu sagen: Gebt dem Datenschützer mehr Personal, damit er Kontrolle noch stärker ausüben kann. Ich gehe sogar so weit zu sagen: Was das BKA dann als Programm entwickelt hat, soll als Quellcode beim Ermittlungsrichter hinterlegt werden. Er kann dann durch unabhängige Experten nachvollziehen lassen, was die Polizei konkret gemacht hat. Wir müssen wegkommen von dieser Misstrauensdebatte, gegen den Staat, gegen die Polizei. Wir werden selbstverständlich mit dem Instrument der Online-Durchsuchung sehr sorgfältig umgehen. Es darf nur im Einzelfall und nur bei herausragenden Fällen zur Anwendung kommen. Ich kann nicht akzeptieren, dass es organisierte und schlimmste Formen von Kindesmisshandlungen, beispielsweise in Form von Kinderpornografie im Internet, gibt – von Bombenbauanleitungen für Terroristen ganz zu schweigen. Man kann doch nicht einfach sagen, da kann ich nun einmal nichts machen, und dann wegschauen.

WELT ONLINE: Sie haben gesagt, Maßnahmen müssen gezielt auf Einzeltäter abgestellt werden. Wozu brauchen Sie dann eine bundesweite Rasterfahndung?

Ziercke: Wenn Sie zum Augenarzt gehen, kann der sie ja auch nicht mit den Instrumenten des Kieferchirurgen am Auge operieren. Die unterschiedlichen Formen des Terrorismus erfordern ebenso unterschiedliche Instrumente. Es besteht nicht die Absicht, jetzt eine Rasterfahndung durchzuführen. Aber wir müssen rechtlich für den Fall des Falles vorbereitet sein.

WELT ONLINE: Die Speicherung von Daten – Fingerabdrücke, Telefondaten – nimmt immer weiter zu. Wo ist die Grenze?

Ziercke: Ich will hier nicht die Verbindungsdaten aller Internet-User in Deutschland speichern, das ist völliger Unsinn. Ich möchte, dass die Provider bei Transaktionen im Internet die Verbindungsdaten ein halbes Jahr aufbewahren. In dem Moment, in dem der Verdacht einer schweren Straftat besteht – etwa Kindesmissbrauch im Internet –, muss es möglich sein,

Verbindungsdaten mit richterlichem Beschluss beim Provider zu erheben. Wir haben auch im Terrorismusbereich etliche Beispiele, in denen wir Netzwerke hätten aufklären können, wenn der Provider die Verbindungsdaten länger aufbewahrt hätte. Nach drei Monaten war Ende, und so konnten wir nicht weiter ermitteln, obwohl durchaus noch Aufklärungserfordernisse bestanden. Niemand will einen Überwachungsstaat. Wir müssen aber das Notwendige tun, um unsere Freiheit zu bewahren. Ich brauche keine bundesweite Datei aller Fingerabdrücke oder der DNA der Bevölkerung und auch keine flächendeckende Videoüberwachung – das wäre nicht meine Vorstellung von einem freiheitlich-demokratischen Staat.