Deutscher Bundestag 14. Mai 2007
Berlin: (hib/SUK) Welche Anschläge im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel der Bundesregierung bekannt sind, will die Linke in einer Kleinen Anfrage (16/5185) wissen. Die Regierung soll sagen, ob dabei Menschen verletzt wurden, ob es Bekennerschreiben gab und in welchem Zusammenhang sie mit Aktionen zum G8-Gipfel standen. Die Abgeordneten befürchten, dass Proteste gegen den Gipfel durch Äußerungen etwa des Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz “pauschal in den Ruch gewalttätiger Aktionen gerückt” werden, um “Fragen nach der inhaltlichen Legitimierung derart hochgesicherter Treffen erst gar nicht aufkommen zu lassen”.
Datum: 14.05.2007
Deutscher Bundestag Drucksache 16/5185
16. Wahlperiode 27. 04. 2007
Seite 1, 10. Mai 2007, /d05185.fm, Frame 6.0
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dag˘delen und der Fraktion DIE LINKE.
Proteste gegen den G8-Gipfel
Anlässlich des G8-Gipfels der sieben größten Industrienationen und Russlands im Juni in Heiligendamm gibt es bereits jetzt zahlreiche Protest- und Informationsveranstaltungen
globalisierungskritischer Gruppierungen und der Antikriegsbewegung.
Während des Gipfels sind Massenproteste einer Vielzahl globalisierungskritischer Gruppierungen aus dem In- und Ausland mit bis zu 100 000 Teilnehmern geplant.
Die Hauptsorge der Bundesregierung gilt der angeblich durch die Proteste gefährdeten Sicherheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Gipfels. So wird derzeit ein Millionen Euro teurer, massiver Zaun rund um das Tagungsgelände errichtet und es werden Meldungen über zu erwartende Anschläge und Gewalttaten
verbreitet. Heinz Fromm, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz spricht von bislang 14 Brandanschlägen im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel. Weitere seien geplant, besonders gefährdet seien internationale Konzerne und staatliche Institutionen. (http://www.verfassungsschutz.de/de/
presseinfo/interview/, Interview vom 29. Januar 2007). Nicht nur in Heiligendamm selbst, sondern auch an anderen „repräsentativen“ Orten (Newsletter Netzwerk Sicherheit Ausgabe 92) seien Anschläge zu erwarten. Dabei würde „offensichtlich in Kauf“ genommen, dass dabei Menschen zu Schaden kämen.
Bereits im November letzten Jahres warnte auch BKA-Präsident Ziercke, solche Ereignisse könnten auch für „islamistische Extremisten“ interessant sein (Focus online, 22. November 2006).
Es ist zu befürchten, dass die Proteste gegen den G8-Gipfel durch solche Äußerungen und Darstellungen pauschal in den Ruch gewalttätiger Aktionen gerückt werden, um Fragen nach der inhaltlichen Legitimation derart hochgesicherter Treffen gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Zu befürchten ist auch, dass vor und während des G8-Gipfels in Heiligendamm Grund- und Bürgerrechte wie Meinungs- und Demonstrationsfreiheit den überdimensionierten Sicherheitsinteressen des Staates untergeordnet werden.
Wir fragen die Bundesregierung:
- 1. Welche Anschläge im Zusammenhang mit dem G8-Treffen sind der Bundesregierung
bekannt (bitte darstellen nach Art der Anschläge, Zielen und
Objekten und entstandenen Schäden)?
- 2. Wurden Menschen durch diese Anschläge gefährdet oder fahrlässig eine Gefährdung von Personen in Kauf genommen (ggf. bitte erläutern)?
- 3. Welche Belege gibt es für den Zusammenhang dieser Anschläge mit dem G8-Gipfel?
a) Gab es Bekenner-Erklärungen und wenn ja, von welchen Gruppierungen bzw. Personen?
b) In welchen Fällen wurden bisher mutmaßliche Täter ermittelt und in welchem Zusammenhang stehen sie zu den Aktionen gegen den G8-Gipfel?
c) Auf welche Quellen stützt die Bundesregierung diese Erkenntnisse?
d) Welche erklärten Motive für die Anschläge und welche Forderungen oder Aufrufe waren in den Bekennerschreiben zu entnehmen?
- 4. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über mögliche zukünftige Anschläge im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel und worauf beruhen diese Erkenntnisse?
- 5. Welche Objekte oder Personen sieht die Bundesregierung als mögliche Anschlagsziele im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel als besonders gefährdet an und worauf beruht diese Einschätzung?
- 6. Setzt die Bundesregierung oder setzen die Landesregierungen nachrichtendienstliche Methoden ein, um Erkenntnisse über geplante Proteste im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel zu gelangen, und welchen politischen Spektren gehören die so beobachteten Personen und Gruppierungen an?
- 7. Welche Gruppierungen im In- und Ausland, die sich an den Protesten gegen den G8-Gipfel beteiligen wollen, werden von der Bundesregierung als potentiell gewalttätig angesehen und worauf beruht diese Einschätzung?
- 8. Mit wie vielen Teilnehmern aus dem In- und Ausland an den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm rechnet die Bundesregierung?
- 9. Sind nach Kenntnis der Bundesregierung Reisebeschränkungen, Gefährderansprachen und ähnliche Maßnahmen für potentielle Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Proteste gegen den G8-Gipfel geplant, nach welchen Kriterien und auf welcher Rechtsgrundlage werden sie jeweils von wem vorgenommen?
Wenn ja, woher stammen die Erkenntnisse über die von Reisebeschränkungen Betroffenen?
- 10. Werden analog zur Fußball WM auch Reisebeschränkungen für Personen aus dem europäischen Ausland durch BKA und Bundespolizei geplant, und wie viele Personen werden davon betroffen sein?
- 11. Wie viele Polizeikräfte des Bundes und der Länder werden voraussichtlich anlässlich des Gipfels eingesetzt werden (bitte nach Bund, Land und Einsatztagen differenziert darstellen) und geschieht dies auf freiwilliger Grundlage?
- 12. Welche Einrichtungen sind zur Koordination der Sicherheitsmaßnahmen beim G8-Gipfel eingerichtet bzw. geplant, und welche in- und ausländischen (Sicherheits-) Behörden sind daran beteiligt?
- 13. Aus welchen Herkunftsländern von Demonstrationsteilnehmern werden Verbindungsbeamte vor und während des Gipfels in Deutschland eingesetzt sein?
- 14. In welchem Rahmen werden die eingesetzten Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten über Motive und Forderungen der G8-Gipfel-Kritikerinnen und -Kritiker informiert?
- 15. Welche Deeskalationsstrategien zur Verhinderung gewaltsamer Auseinandersetzungen zwischen Kritikerinnen und Kritikern des G8-Gipfels und der Polizei enthalten die polizeilichen Einsatzkonzepte?
- 16. Unterstützt die Bundesregierung die Forderung nach unabhängigen Beobachtergruppen von Bürger- und Menschenrechtsorganisationen, und wenn ja, wie wird sie diese unterstützen?
- 17. Wird die Bundesregierung bei den Ländern darauf drängen, den Einsatz von polizeilichen „agents provocateurs“ innerhalb der Protestdemonstrationen gegen den G8-Gipfel zu verzichten, um Eskalationen wie in Genau 2002 zu vermeiden?
- 18. Auf welcher Rechtsgrundlage und zu welchem Zweck hat die Bundeswehr die mecklenburgisch-vorpommersche Küste neu vermessen und die Daten an Dienststellen des US-Verteidigungsministeriums weitergegeben (Newsletter Netzwerk Sicherheit Ausgabe 92)?
- 19. Welche Gefährdungsanalyse und welche Rechtsgrundlage wurden für den Auftrag an die Bundesmarine herangezogen, an der Küste „vor und während des G8-Gipfels deutlich vermehrt Präsenz“ (Newsletter Netzwerk Sicherheit Ausgabe 92) zu zeigen?
Berlin, den 26. April 2007
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion