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Die antikapitalistische Sehnsuchtak 517 13. Mai 2007 Dass die “Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei” (NSDAP) weder revolutionär noch sozialistisch war, ist unter Linken unstrittig. Gleichwohl war die antikapitalistische Rhetorik von Teilen der NS-Bewegung mehr als nur ein Trick zur Irreführung der proletarischen Massen. Nicht nur für den “Strasser-Flügel” der NSDAP war der “nationale Sozialismus” das politische Ziel: ein “Sozialismus” allerdings, der nichts anderes war als die nach rassistischen Kriterien strukturierte und nach dem Führerprinzip aufgebaute deutsche Volksgemeinschaft. Am 10. Mai 1932 trat der Reichtag zu einer Debatte über die Wirtschafts- und Finanzpolitik von Reichkanzler Heinrich Brüning (Zentrum) zusammen. Infolge der Weltwirtschaftskrise war die Arbeitslosenquote im Februar 1932 auf die Rekordmarke von 16,3 Prozent gestiegen. Die Industrieproduktion hatte sich seit 1929 halbiert. Auf der Grundlage von Notverordnungen versuchte Brüning durch harte Sparmaßnahmen den staatlichen Haushalt zu konsolidieren. Faktisch trug seine Deflationspolitik jedoch dazu bei, die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten weiter zu verschärfen. Diese Entwicklung nahm Gregor Straßer, Abgeordneter der NSDAP, in der Reichstagsdebatte zum Anlass, mit der Wirtschafts- und Finanzpolitik des Reichskanzlers abzurechnen. Straßer geißelte das “Kampfmittel der Notverordnung”, das letztendlich “Not verordnen” würde. Danach wurde er grundsätzlich: “Wenn der Verteilungsapparat des weltwirtschaftlichen Systems von heute es nicht versteht, den Ertragsreichtum der Natur richtig zu verteilen, dann ist dieses System falsch und muss geändert werden.” Straßer beschwor die “große antikapitalistische Sehnsucht” des deutschen Volkes, die sich gegen eine “entartete Wirtschaft” wende und danach verlange, mit dem “Dämon Gold, Weltwirtschaft und Materialismus” zu brechen. Die Rede konnte als programmatisch gelten, enthielt sie doch sämtliche Topoi nationalsozialistischer Kultur- und Gesellschaftskritik. Ein Charakteristikum stellte der vehement vorgetragene Antikapitalismus dar, der sich nicht nur durch die Rhetorik Straßers zog, sondern einen hohen Stellenwert in der gesamten Propaganda der Partei einnahm. In dieser Hinsicht wich der Nationalsozialismus kaum von den Strömungen des sich revolutionär gebärdenden Konservatismus ab, die sich in der Weimarer Republik herausgebildet hatten und in ihrem verbalen Radikalismus zu einem “ideologischen Amoklauf gegen das Bürgertum” (Kurt Sontheimer) anzusetzen schienen. (1) Die NS-Bewegung stellte freilich ein diffuses Gebilde dar, das zwar fest im völkischen Nationalismus verwurzelt war, dessen verschiedene Flügel politisch allerdings unterschiedliche Ziele verfolgten. Dennoch sind einige zentrale Merkmale des nationalsozialistischen Antikapitalismus-Diskurses zu erkennen, die sich für die Argumentationsmuster nahezu aller Strömungen in- und außerhalb der Partei als charakteristisch erwiesen. Gregor Straßer irritiert den “Münchner Flügel” Erstens hielt die NSDAP am Prinzip des Privateigentums fest. Sanktioniert werden sollte lediglich der “Missbrauch” des Kapitals. Mehr noch: Im sozialdarwinistischen Weltbild des Nationalsozialismus galt das Privateigentum als “Grundlage aller menschlichen Wirtschaft und Kultur”. Zweitens reduzierte sich die nationalsozialistische Kapitalismuskritik auf die Sphäre des Handels- und Finanzkapitals, das in der viel zitierten Gegenüberstellung von vermeintlich internationalem “raffenden” und nationalem “schaffenden” Kapital seinen Ausdruck fand. Drittens war der auf die Zirkulationssphäre beschränkte nationalsozialistische Antikapitalismus antisemitisch codiert. Dementsprechend konstatierte etwa die NS-Zeitschrift Der Angriff im Juli 1930: “Der Nationalsozialismus geht (…) von der Erkenntnis aus, dass das kapitalistische herrschende Wirtschaftssystem in Deutschland auf geistig rassefremder Grundlage beruht, (…) jüdisch ist.” Konsequenterweise wurde der als “marxistisch” abgelehnte “Klassenkampf” in einen “Rassenkampf” umdefiniert. Viertens erfuhr der Sozialismus-Begriff der Arbeiterbewegung im NS-Diskurs eine radikale Neuinterpretation. Unter Sozialismus wurde hier eine sozial unterlegte Variante des Nationalismus verstanden, der, so betont der Politikwissenschaftler Joachim Bons, “auf einer sozialautoritativen Harmonisierung und Versöhnung, nicht aber auf der Überwindung der Klassenbeziehungen” beruhte. (2) Der vielfach beschworene “Nationale Sozialismus” konnte demnach als Synonym für die nach rassistischen Kriterien strukturierte, hierarchisch nach dem Führerprinzip aufgebaute Volksgemeinschaft gelten. Der hier skizzierte Antikapitalismus der NSDAP fand seine stärkste Verankerung in der Gruppe um Gregor und Otto Straßer, unter den Aktivisten der Nationalsozialistischen Betriebszellen Organisation (NSBO) sowie in Teilen der SA. Die von diesen Gruppierungen mit radikaler Attitüde vorgetragenen antikapitalistischen Positionen brachten die NSDAP zeitweilig an den Rand der Spaltung. Erst nach Hitlers Machtübernahme im Januar 1933 gelang es dem “Münchner Flügel” der Partei, die aktivistisch-nationalrevolutionären Strömungen der NS-Bewegung zu entmachten. Im September 1925, nur wenige Monate nach der Wiederzulassung der NSDAP, konstituierte sich die parteiinterne Arbeitsgemeinschaft Nordwest. Der Zusammenschluss sollte in erster Linie der organisatorischen Vernetzung der Gauleiter Nord- und Westdeutschlands dienen. Unter der Führung von Gregor Straßer entwickelte sich die Arbeitsgemeinschaft zu einem Machtzentrum, das mit zugespitzten antikapitalistischen Positionierungen die Führung der NSDAP herausforderte. Auf einer Arbeitstagung der nordwestdeutschen Gauleiter im Januar 1926 kam es zum Eklat, als Gregor Straßer den Entwurf eines neuen Parteiprogramms präsentierte. Der Text lehnte zwar an das 25-Punkte-Programm der NSDAP vom Februar 1920 an, enthielt aber explizitere antikapitalistische Formulierungen. Demonstrativ war hier auch vom “nationalen Sozialismus” die Rede und nicht vom Nationalsozialismus. Sozialistisch im eigentlichen Sinne war an dem Programmentwurf freilich nichts. Das Bekenntnis zum privaten Unternehmertum war darin ebenso enthalten wie die Forderung nach “Einführung eines organisch aufgebauten Ständesystems anstelle des konstruierten Parlamentarismus”. Auf der Bamberger Führertagung im Februar 1926 musste sich Straßer dem Druck Hitlers beugen und den Programmentwurf zurückziehen. Die innerparteiliche Konkurrenz zwischen dem “Strasser-Flügel” und der Parteiführung schwelte jedoch weiter. Gregor Straßer blieb als Reichstagsabgeordneter und Reichsorganisationsleiter der NSDAP bis zum Ende der Weimarer Republik eine der einflussreichsten Figuren der Partei. Im Dezember 1932 trat er jedoch von seinen Ämtern zurück, nachdem er erneut mit Hitler in Konflikt geraten war. Damit waren die Richtungskämpfe innerhalb der NSDAP zugunsten der Münchner Parteizentrale entschieden. Weltanschauliche Betriebs-Kampftruppen Die NS-Bewegung verfügte jedoch mit der 1928 gegründeten Nationalsozialistischen Betriebszellen Organisation (NSBO) über einen organisierten Arbeitnehmerflügel, der in Folge der wirtschaftlichen Krise und einer dramatisch steigenden Arbeitslosigkeit seit dem Ende der 1920er Jahre erheblich an Bedeutung gewann. Das Verhältnis der Parteiführung zur NSBO blieb ambivalent. Einerseits gelang es der Organisation, innerhalb der von der NSDAP mit nur mäßigem Erfolg umworbenen Arbeiterschaft eine gewisse Verankerung zu erzielen. Andererseits erwies sich die NSBO als schwer kontrollierbar. Deren antikapitalistische Rhetorik sowie die von ihr praktizierten Aktionsformen sorgten im unternehmerfreundlichen “Münchner Flügel” der Partei wiederholt für Irritationen. Ursprünglich sollte der NSBO die Aufgabe zukommen, als “weltanschauliche Kampftruppe der NSDAP in den Betrieben” zu wirken. Insofern begriff sich die Organisation zunächst nicht als Gewerkschaft, sondern als eine “SA der Betriebe”. Zwar gelang es der NSBO vor 1933 nicht einmal ansatzweise, die Vormachstellung der sozialistischen Gewerkschaften zu brechen, jedoch verwiesen wachsende Mitgliederzahlen und Achtungserfolge bei Betriebsratswahlen seit Beginn der 1930er Jahre darauf, dass der Nationalsozialismus auch in der Arbeiterschaft seine Anhänger fand. Die steigende Attraktivität der NSBO resultierte besonders aus ihrem Aktionismus, der in der Endphase der Weimarer Republik auch die Beteiligung an Streiks mit einschloss. Die NSBO ließ allerdings keinen Zweifel daran, dass sie das private Kapital als die Grundlage der von ihr propagierten nationalsozialistischen Wirtschaftsordnung betrachtete. Die Kapitalismuskritik der Organisation blieb konsequent der völkischen Weltanschauung verhaftet. Vor allem aber beteiligte sich die NSBO an der Zerschlagung der Gewerkschaften im Mai 1933. Es waren überwiegend NSBO-Aktivisten, die am 2. Mai die Gewerkschaftshäuser besetzten und gewalttätige Übergriffe auf Gewerkschaftsmitglieder verübten. In der Folgezeit ergriff die NS-Führung Maßnahmen, den Verselbstständigungstendenzen ihrer “weltanschaulichen Kampftruppe” entgegenzusteuern. Die NSBO wurde faktisch entmachtet. Die Arbeiterschaft sollte künftig durch die Deutsche Arbeitsfront (DAF) an den Nationalsozialismus gebunden werden. Eine ähnliche Marginalisierung erfuhr auch die SA. Der “Röhm-Putsch” im Juni 1934 beendete die in den Reihen des Kampfbundes laut gewordenen Forderungen nach einer “zweiten Revolution”. Der antibürgerliche Habitus war hier besonders stark ausgeprägt. Das Bürgertum galt den Aktivisten der SA als “dekadent” und “verweichlicht”. Diese Haltung wurde flankiert von einer antikapitalistischen Rhetorik, die sich jedoch ausschließlich gegen das Handels- und Finanzkapital richtete. Ebenso diffus wie der Antikapitalismus blieben die Begriffe “revolutionäres Kämpfertum” und “Sozialismus”, die im Sprachgebrauch der Organisation als Gegenentwürfe zur “grenzenlosen Jämmerlichkeit (…) der bürgerlichen Welt” firmierten. Unter “Sozialismus” wurde die Utopie einer völkischen Wehrgemeinschaft verstanden, die an die Stelle des demokratischen “Systems” treten sollte. Das “sozialistische” Selbstverständnis der SA resultierte aus einer vollständigen Umwertung des marxistischen Sozialismusbegriffs, von dem allenfalls der antibürgerliche Gestus übernommen wurde. Kontrovers wurden und werden die sozial- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen des NS-Regimes nach der Machtübernahme im Januar 1933 diskutiert. In diesem Zusammenhang hat Götz Aly erst kürzlich den “Nationalen Sozialismus” als eine “Gefälligkeitsdiktatur” charakterisiert. Das Regime habe sich mit “modernen” sozialpolitischen Maßnahmen, die weitgehend durch die Ausbeutung der von Deutschland eroberten Gebiete finanziert worden seien, die Zustimmung breiter Bevölkerungsschichten regelrecht erkauft. Bereits am Ende der 1980er Jahre hatte der dem “neu rechten” Lager zuzurechnende Rainer Zitelmann mit seiner Studie “Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs” für Aufsehen gesorgt. Der Historiker interpretierte den Nationalsozialismus ebenfalls - wenn auch mit anderen Intentionen - als “modernen” Sozialstaat, der nicht zuletzt die Lage der Arbeiterschaft verbessert habe. Die mit dem Gestus des “Tabubruchs” vorgetragene These Zitelmanns rief schon damals entschiedenen Widerspruch hervor. Tatsächlich hatte der “Nationale Sozialismus” des NS-Regimes mit den gängigen Vorstellungen moderner Sozialstaatlichkeit wenig gemein. Vielmehr war die nationalsozialistische Volksgemeinschaft strikt autoritär und rassistisch verfasst. Hierauf verweist die systematische Zerschlagung der Arbeiterbewegung im Mai 1933 ebenso wie das im Januar 1934 erlassene “Gesetz zur … Ordnung der nationalen Arbeit”, das den Unternehmer als “Führer des Betriebes”, die Arbeiter und Angestellten als dessen “Gefolgschaft” deklarierte. Die Arbeits- und Sozialpolitik des Regimes war untrennbar mit Rassismus und Vernichtungspolitik verknüpft. Mit Förderung und Unterstützung konnten demnach lediglich diejenigen Teile der Bevölkerung rechnen, die als “wertvolle” Mitglieder der Volksgemeinschaft galten. Normabweichendes Verhalten, Kriminalität, Krankheiten oder Missbildungen wurden hingegen mit sozialpolitischer Vernachlässigung, mit Aussonderung und schließlich mit der physischen Vernichtung sanktioniert. Als Sozialismus ist dies alles nicht zu bezeichnen - eher als Barbarei. Michael Sturm Anmerkungen: 1) Kurt Sontheimer: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933. München 1992 2) Joachim Bons: Nationalsozialismus und Arbeiterfrage. Zu den Motiven, Inhalten und Wirkungsgründen nationalsozialistischer Arbeiterpolitik vor 1933. Pfaffenweiler 1995 Wenn in Rostock linke GlobalisierungskritikerInnen auf die Straße gehen, werden am 2. Juni Nazis in Schwerin gegen den G8-Gipfel demonstrieren. Die extreme Rechte, die in den 1990er Jahren die sogenannte soziale Frage für sich entdeckt hat, tritt in jüngster Zeit auch als Kritikerin der Globalisierung und ihrer Folgen auf. Offen propagiert sie einen “Antikapitalismus von rechts” und greift dabei linke und kapitalismuskritische Terminologien auf. Dieses Phänomen ist an sich nicht neu, schon die NSDAP versuchte, mit sozialen Phrasen zu punkten. Neu allerdings ist die scheinbare Radikalität, mit der die deutsche Neonaziszene an diese Frage herangeht. Auf den folgenden vier Seiten wird diese Entwicklung vertieft beleuchtet. Dabei gehen wir auf die historischen Ursprünge des “Antikapitalismus von Rechts”ein, stellen die Frage nach den gesellschaftlichen Ausgangsbedingungen der aktuellen Entwicklung und blicken ein wenig hinter die Kulissen dieser scheinbaren “antikapitalistischen” Bewegung. ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 517 / 18.5.2007 |
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