Das Stigma des Terrors

taz 14. Mai 2007

VON CHRISTIAN RATH
Mit 900 Beamten ließ Generalbundesanwältin Monika Harms am Mittwoch 40 Wohnungen, Arbeitsplätze und Treffs von linksradikalen G-8-Gegner durchsuchen. Ermittelt wird zum einen gegen eine terroristische Vereinigung von Gipfelgegnern sowie zum anderen gegen die Berliner militante gruppe, die nicht ausschließlich gegen den G-8-Gipfel agitiert. Doch was hat die Bundesanwaltschaft (BAW) eigentlich juristisch in der Hand? Worauf zielten die Aktionen ab? Die taz gibt einen Überblick.

Hat die BAW konkrete Hinweise darauf, dass es am G-8-Gipfel in Heiligendamm zu Anschlägen kommt?

Nein. “Wir haben keine konkreten Anhaltspunkte für Anschläge am G-8-Gipfel”, sagte BAW-Sprecher Andreas Christeleit am Wochenende zur taz. Die Ermittlungen wurden vielmehr durch 16 bereits verübte Brandanschläge gegen Autos und Gebäude im Raum Berlin und Hamburg ausgelöst, die im Zusammenhang mit einer “militanten Kampagne” gegen den G-8-Gipfel stehen.

Die BAW unterstellt, dass diese Anschläge von einer terroristischen Vereinigung begangen wurden, deren Ziel es ist, den G-8-Gipfel “erheblich zu stören oder zu verhindern”. Diese Annahme gründet sich laut BAW darauf, dass die Bekennerschreiben der bisherigen Anschläge “zur Verhinderung” des Weltwirtschaftsgipfels aufrufen. Tatsächlich steht am Ende mancher Bekennerschreiben “G 8 angreifen - soziale Revolution weltweit”. Mehr als eine großmäulige Autonomen-Parole hatte die BAW damit aber nicht in der Hand.

Was meint die BAW, wenn sie sagt, sie wollte weitere Anschläge verhindern?

Die BAW ist die Staatsanwaltschaft des Bundes. Ihre Aufgabe ist die Aufklärung von Straftaten, insbesondere im Bereich Terrorismus. Für die Abwehr von Gefahren ist sie nicht zuständig. Möglicherweise wollte sie implizit weitere Brandanschläge im Raum Berlin und Hamburg verhindern, wenn sie jetzt die aus ihrer Sicht Verdächtigen unter Druck setzt.

Was hat die BAW in Karlsruhe gegen die Verdächtigen tatsächlich in der Hand?

Wohl nur wenig. Immerhin werden 18 Personen als Mitglieder der ominösen Terror-Vereinigung genannt. Doch gegen keinen von ihnen besteht dringender Tatverdacht. Deshalb wurde bisher auch kein einziger Haftbefehl erlassen.

Die BAW geht davon aus, dass in der terroristischen Vereinigung einige Altautonome mitmischen, zum Beispiel der 68-jährige Hamburger Fritz Storim, denen aufgrund des “fortgeschrittenen Lebensalters” nicht zugetraut wird, die Anschläge selbst, “zumindest nicht allein”, verübt zu haben, heißt es in einem der taz vorliegenden Durchsuchungsbeschluss. Storim und drei andere stehen daher vor allem im Verdacht, wenigstens an der Abfassung von Bekennerschreiben beteiligt gewesen zu sein. Zur “operativen Durchführung der Anschläge” sollten “jüngere Personen aus der linksextremistischen militanten Szene rekrutiert werden”, namentlich werden 10 Personen genannt.

Die Durchsuchungsbeschlüsse zeigen, wie dünn die Argumentationskette ist. Den Altautonomen wird unterstellt, sie hätten in dem 2003 erschienenen Buch “Autonome in Bewegung” mehrere Brandanschläge während der Berliner IWF-Tagung 1988 gestanden - was nicht richtig ist - und bereiteten nun nach diesem Vorbild eine militante Kampagne gegen den G-8-Gipfel vor.

Für ihre Urheberschaft spreche eine Auswertung von aktuellen Bekennerschreiben zu den G-8-Anschlägen, die “stilistische und thematische” Übereinstimmungen zu aktuellen politischen Äußerungen der Altautonomen ergeben habe. So schnell wird man zum Terrorverdächtigen.

Wie kommt die BAW darauf, dass die achtzehn Anschläge von nur einer Gruppe verübt worden sind?

Das kann sie nicht erklären. Es widerspricht auch allem, was bisher über die Anschläge bekannt ist. Als die taz im März erstmals groß über die “militante Kampagne” berichtete, ging man jedenfalls in Verfassungsschutzkreisen davon aus, dass es unterschiedliche Gruppen in Berlin und Hamburg gebe, ja dass in Hamburg sogar zwei bis drei getrennt agierende Gruppen aktiv sein könnten. Die BAW benutzt das Konstrukt einer einheitlich vorgehenden Gruppe offensichtlich, um die Anschlagserie gefährlicher aussehen zu lassen.

Wie begründet die BAW, dass die “militante Kampagne” Deutschland erheblich schädigen kann?

Die Frage ist wichtig, weil seit einer rot-grünen Änderung des Strafrechts im Jahr 2003 Brandanschläge nur noch dann als Terrorismus eingestuft werden können, wenn sie “durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen” können.

Im Durchsuchungsbeschluss heißt es dazu nur: Die Straftaten “können insbesondere die internationale Position der Bundesrepublik Deutschland als verlässlicher Partner im Verbund der acht wichtigsten Wirtschaftsnationen erheblich schädigen”. Für die bisherigen Brandanschläge, über die meist nur die Lokalpresse berichtet hat, gilt das wohl kaum. Und konkrete Hinweise zu Anschlägen auf den Gipfel selbst hat die BAW nicht, siehe oben. Es sieht also so aus, dass die BAW hier von Terrorismus spricht, wo laut Gesetz gar keiner ist.

Wird damit also eine linke Protestkampagne kriminalisiert?

Man kann hier nicht von “kriminalisieren” sprechen, denn die Brandanschläge sind ja eindeutig als Brandstiftung und Sachbeschädigung strafbar. Die Polizei muss hier ermitteln. Richtiger ist wohl der Vorwurf einer “Stigmatisierung”. Eine militante Protestkampagne wird mutwillig mit politischen (Massen)mördern in eine Schublade gesteckt.

Welche Funktion hat hier der Paragraf 129a Strafgesetzbuch, der die Bildung terroristischer Vereinigungen unter Strafe stellt?

Er gilt in der Szene als Ausforschungsparagraf, auf dessen Grundlage Ermittlungsverfahren eingeleitet, später aber in 90 Prozent der Fälle wieder eingestellt werden. Selbst wenn die 129a-Einstellungsquote sehr hoch ist, heißt dies aber nicht, dass die Betroffenen immer unschuldig sind. Oft werden sie nicht wegen des Organisationsdelikts, sondern wegen konkreter Taten verurteilt. Auch bei der militanten G-8-Kampagne sind ja bereits 16 Anschläge verübt worden.

Auch die Ermittlungen wegen der Brandanschläge hätten eine Ausforschung der Szene erlaubt. Wenn es um Brandstiftung geht, sind auch Hausdurchsuchungen und Telefonüberwachungen erlaubt. Es genügt jeweils ein Anfangsverdacht. Wer nicht ausgeforscht werden will, sollte deshalb besser auf demonstrative Straftaten verzichten.

Für die Anwendung von Paragraf 129a scheint hier vor allem zu sprechen, dass die Generalbundesanwältin wohl die heiklen Ermittlungen im Umfeld des G-8-Gipfels nicht den örtlichen Staatsanwaltschaften überlassen wollte. Denn für einfache Brandanschläge und Sachbeschädigungen ist Monika Harms schlicht nicht zuständig.

Kann die BAW ohne Kontrolle schalten und walten?

Nein. Die Hausdurchsuchungen wurden vom Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof Ulrich Hebenstreit genehmigt. Hebenstreit ist eigentlich kein Hardliner. Er hat im November als erster Richter in Deutschland eine polizeiliche Online-Durchsuchung von Privatcomputern verhindert.

Politisch ist für die Bundesanwaltschaft nicht Innenminister Schäuble (CDU), sondern Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) verantwortlich. Auch sie hat sich in den letzten Wochen nicht als Scharfmacherin profiliert.

Wenn Betroffene die Hausdurchsuchung für rechtswidrig halten, können sie hierzu auch nachträglich noch die Gerichte anrufen.

Inwiefern zielen die Polizeirazzien vom Mittwoch auch auf die G-8-Protestbewegung als Ganzes?

Streng juristisch wurde nur gegen 18 Mitglieder der konstruierten terroristischen Vereinigung ermittelt. Die BAW-Ermittlungen richteten sich also nicht gegen die Planungen von gewaltbereiten Demonstrationen im Umfeld des Gipfels. Es kann jedoch unterstellt werden, dass die BAW sich durchaus über entsprechende Zufallsfunde freuen würde. Solche Zufallsfunde dürfen verwendet werden, um neue Strafverfahren bei den örtlichen Staatsanwaltschaften zu eröffnen.

Nicht unpraktisch war aus Sicht der Behörden wohl auch, dass zahlreiche Beschuldigte ihren E-Mail-Account beim Szene-Provider SO36.net führten. Hier ordnete die BAW eine Durchsuchung der Provider-Räume an, weil sie keine Möglichkeit zur heimlichen Überwachung der E-Mail-Konten sah. Zufällig ist auch ein Großteil der G-8-Protestbewegung Kunde von SO36.net.

War der Polizeieinsatz mit rund 900 Beamten nicht übertrieben martialisch?

Wenn es 18 Beschuldigte (plus drei von der Berliner militanten gruppe) gibt und bei jedem Wohnung und Arbeitsplatz durchsucht werden soll, dann ist das notwendigerweise eine Großaktion. Um den Überraschungseffekt zu nutzen, mussten die Razzien auch gleichzeitig stattfinden.

Peinlich ist nur, dass manche Beschuldigte aufgrund von Behördenpannen schon vorab von den Ermittlungen wussten. So war einem mg-Mitglied schon 2003 auf der Arcor-Rechnung mitgeteilt worden, dass sein Telefon überwacht wird.

Haben die Gipfelgegner auch über Knieschüsse und Exekutionen diskutiert?

Nein. Einen derartigen Unsinn schreibt nur das Springer-Blatt Die Welt. Sie verwechseln dabei aber die beiden Ermittlungsverfahren. “Solche Diskussionen gab es nicht bei den Gipfel-Gegnern, sondern nur in der militanten gruppe, und auch das war 2001/2002, also lange vor der G-8-Kampagne”, sagt der Sprecher der Bundesanwaltschaft.

taz vom 14.5.2007, S. 4, 324 Z. (TAZ-Bericht), CHRISTIAN RATH

http://www.taz.de/dx/2007/05/14/a0144.1/text