Nach Razzia: Polizei rechtfertigt Einsatz

NDR 11. Mai 2007

Nach der Razzia gegen linke Gegner des G8-Gipfels in Heiligendamm und der anschließenden Demonstration im Hamburger Schanzenviertel hat Hamburgs Polizeipräsident Werner Jantosch am Donnerstag den Einsatz NDR 90,3 gegenüber als angemessen und notwendig beschrieben. Die Kritik von G8-Gegnern und der Opposition wies er zurück. Auch Innensenator Udo Nagel (parteilos) betonte, dass die Durchsuchung kein politisches Signal darstelle. Dies sei vielmehr “eine ganz normale Reaktion auf Straftaten” gewesen.

Ein Sprecher der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe gab unterdessen bekannt, dass alle namentlich bekannten Terrorverdächtigen nach wie vor auf freiem Fuß seien. Es sei weder zu vorläufigen Festnahmen gekommen, noch seien Haftbefehle beantragt worden. Auch Jantosch bestätigte, dass sich aus den beschlagnahmten Materialien noch kein dringender Tatverdacht ergeben hätte. Die Unterlagen würden aber noch ausgewertet.

Reaktionen auf die Razzia

Auch am Tag nach der Razzia sorgte der Einsatz weiter für Diskussionen. So forderte NDR 90,3 zufolge der SPD-Bürgermeisterkandidat Michael Naumann die Globalisierungskritiker zum Gewaltverzicht auf. Er wertete die Aktionen als Folge der Brandanschläge in Hamburg in den letzten Monaten. Laut SPD-Innenexperte Andreas Dressel diente das Eingreifen der Polizei dazu, die Ermittlungen gegen Gewalttäter unterstützen und weitere Straftaten verhindern. Antje Möller von der GAL kritisierte hingegen die Razzia als politisches Signal im Vorfeld des Gipfels und warnte davor, alle G8-Gegner gleichermaßen zu kriminalisieren. Niemand sollte sich einschüchtern lassen, aber auch niemand dürfe unbesonnen handeln und damit der Glaubwürdigkeit des Protestes schaden. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Harald Ringstorff (SPD) sieht indes die Sicherheitsbehörden gut gegen mögliche Anschläge auf den G8-Gipfel in Heiligendamm gewappnet. “Wir haben immer gewusst, dass es einen harten Kern gibt, der nur Krawall will”, sagte Ringstorff der “Hamburger Morgenpost” (Freitagausgabe). “Aber da die Zusammenarbeit zwischen Bund und Land schon bisher hervorragend klappt, sind unsere Sicherheitskräfte auf alle Eventualitäten gerüstet.”

Bundesinnenminister Schäuble droht mit Vorbeugehaft

Vertreter der Großen Koalition in Berlin verteidigten die Razzien. Der stellvertretende Unions-Fraktionschef Wolfgang Bosbach (CDU) sagte, Deutschland müsse alles tun, um die Sicherheit der Teilnehmer des Weltwirtschaftsgipfels zu gewährleisten. Das Recht auf Demonstration sei “kein Recht auf Randale”. Linkspartei und Grüne kritisierten dagegen die Einsätze der Sicherheitsbehörden. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) drohte gewaltbereiten Demonstranten derweil mit vorbeugender Haft. “Die Polizeigesetze der Länder sehen den so genannten Unterbindungsgewahrsam vor”, sagte er. Danach können Störer je nach Bundesland bis zu 14 Tage in Polizeigewahrsam genommen werden, wenn es tatsächliche Anhaltspunkte für geplante Straftaten gibt.

Ausschreitungen nach Kundgebung

Bei der Demonstration von etwa 2.000 G8-Gipfelgegnern in Hamburg war es am Mittwochabend zu Ausschreitungen gekommen. Dabei wurden nach Polizeiangaben eine Passantin und drei Beamte verletzt. Acht Demonstranten wurden wegen des Verdachts auf Landfriedensbruch vorläufig festgenommen. Die Polizei war mit einem Großaufgebot von 1.000 Beamten aus Hamburg und Schleswig-Holstein vor Ort. Auch Wasserwerfer kamen zum Einsatz. Gegen Mitternacht habe sich die Lage entspannt, so die Polizei. Nur noch vereinzelt wurden kleinere Feuer entfacht. Die Proteste richteten sich gegen eine Großrazzia am Mittwochmorgen. Die Kundgebung nach der Razzia war zunächst friedlich verlaufen, gegen 22 Uhr eskalierte dann die Situation. Zahlreiche Flaschen und andere Gegenstände flogen auf Polizisten und Passanten.

Auch in anderen norddeutschen Städten gingen mehrere hundert G8-Gegner wegen der Durchsuchungsaktionen auf die Straße. Die Proteste in Hannover, Göttingen, Rostock und Kiel verliefen ohne Zwischenfälle. In ganz Deutschland demonstrierten mehr als 6.000 Menschen. Die größte Versammlung gab es nach Angaben der Polizei in Berlin mit etwa 3.000 Protestlern.

40 Gebäude der linksautonomen Szene durchsucht

Bei der großangelegten Aktion in Norddeutschland hatten Polizei und Bundesanwaltschaft 40 Gebäude der linksautonomen Szene durchsucht. Rund 900 Beamte kamen dabei zum Einsatz. Nach Informationen der NDR 1 Welle Nord nahmen die Ermittler unter anderem eine Wohnung in Bad Oldesloe ins Visier.

Der Bundesanwaltschaft zufolge stand die Aktion im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen militante Gegner des bevorstehenden G8-Gipfels. 18 namentlich bekannte Personen stünden unter Verdacht, einer terroristischen Vereinigung anzugehören, die mit Brandanschlägen und anderen gewalttätigen Aktionen den Gipfel in Heiligendamm stören und verhindern wollten. Den Verdächtigen legt die Bundesanwaltschaft neun Brandanschläge in Hamburg zur Last, unter anderem auf das Auto von Finanzstaatssekretär Thomas Mirow (SPD). Davon unabhängig ermittle die Behörde gegen drei Angehörige der “militanten gruppe”, die sich zu 25 Brandanschlägen vor allem in Berlin bekannt habe.

Durchsuchungen in mehreren Nord-Ländern

In Hamburg durchsuchte die Polizei den linken Szene-Treff “Rote Flora” im Schanzenviertel sowie 13 weitere Gebäude, darunter auch einen Arbeitsplatz im Schauspielhaus. Dabei wurden mehrere Computer und Unterlagen beschlagnahmt. Die Polizei nahm während der Aktion in Hamburg rund ein Dutzend Demonstranten in Gewahrsam, die versucht hatten, die Straße zu blockieren. “Das ist ein Versuch, den Protest gegen den G8-Gipfel zu kriminalisieren”, sagte ein Aktivist aus der “Roten Flora”. Die “Rote Flora” ist einer der zentralen Anlaufpunkte für die Gipfelgegner.

Stand: 11.05.2007 08:29

http://www1.ndr.de/nachrichten/g8/roteflora2.html