Die Motive der Ermittler

Frankfurter Rundschau 11. Mai 2007

“Bildung einer terroristischen Vereinigung”: Der Vorwurf, mit dem die Bundesanwaltschaft am Mittwoch bundesweit etliche linke Gruppen überzog, wiegt schwer. Doch was steckt dahinter?

Am Morgen des 28. Juli 2005 geht im niedersächsischen Hollenstedt der Mercedes von Werner Marnette in Flammen auf. Marnette ist Vorstandschef der Norddeutschen Affinerie und bis dato nicht sonderlich als Prophet der Globalisierung in Erscheinung getreten. Gleichwohl bekennt sich zu der Tat eine militante Anti-Globalisierungsgruppe. Ihr Name: “August 2005″.

Am 28. September 2006 bewerfen Unbekannte in Hamburg-Blankenese das Haus von Gerd-Uwe Baden, Chef der Euler Hermes-Kreditversicherung, mit Farbbeuteln. Zugleich wird in Sasel das Auto eines Managers der Versicherung angezündet. Zu den Anschlägen bekennt sich eine “Unheilige Allianz Dammbruch”. Deren Botschaft: “Feuer und Farbe für den Götterboten”.

Weihnachten 2006 erleben Finanzstaatssekretär Thomas Mirow (SPD) und seine Frau in Hamburg-Winterhude eine unschöne Bescherung: Ein Wagen der Familie wird angezündet. Wohl unbeabsichtigt rollt das brennende Auto auf das Haus der Mirows zu und richtet dort Schaden an. Die “AG Kolonialismus und Krieg in der militanten Anti-G8-Kampagne” hat ihre Schlagzeilen.

Drei Anschläge dreier unterschiedlicher Gruppen? Die Bundesanwaltschaft glaubt das nicht. Dort geht man vielmehr davon aus, dass die Anschläge auf das Konto ein und derselben “terroristischen Vereinigung” gehen, die lediglich unter “wechselnden Gruppenbezeichnungen” auftrete. 18 Mitglieder dieser Bande meint man in Karlsruhe namentlich zu kennen. Sie hätten, sollte sich der Vorwurf bestätigen, erhebliche Konsequenzen zu befürchten: Paragraf 129a des Strafgesetzbuchs sieht für derlei Aktivitäten bis zu zehn Jahre Haft vor.

Der Vorwurf der Ermittler beschränkt sich nicht nur auf die drei genannten Anschläge. Darüber hinaus sollen die militanten G8-Gegner in mindestens neun weiteren Fällen Brandsätze gelegt, Farbbeutel geworfen und Fensterscheiben zertrümmert haben. Mal habe sich eine “AG Herz-Infarkt”, mal die “fight 4 revolution crews”, mal die Gruppe “Butter bei die Fische” bekannt.

Ein zweites Ermittlungsverfahren gilt drei vermeintlichen Mitgliedern der “militanten gruppe”. Die seit 2001 bekannte Organisation soll im Zusammenhang mit dem G 8-Gipfel mindestens zwei Brandanschläge verübt haben: am 24. Mai 2006 auf das Sozialgericht Berlin-Moabit und am 9. November 2006 auf ein Wirtschaftsforschungs- institut in der Hauptstadt.

Grund genug für das Bundeskriminalamt und mehrere Landeskriminalämter, am Mittwoch 900 Beamte loszuschicken, um in sechs Bundesländern rund 40 Büros und Wohnungen von Linken zu durchsuchen.

Dabei beschränkten sich die Beamten im Wesentlichen darauf, Computerinhalte zu kopieren und zu beschlagnahmen. Festnahmen gab es keine, wiewohl sich beispielsweise ein Mitglied der vermeintlichen Terrorgruppe, der Anwalt Sven Lindemann, am selben Tag ganz offen in einer Pressekonferenz zeigte. “Ich gehe davon aus, dass das BKA die Vorwürfe selbst nicht glaubt”, sagte Lindemann am Donnerstag der FR. Nicht nur sei ihm während der Durchsuchung seiner Wohnung mitgeteilt worden, er könne sich frei bewegen. Auch sei “bei mindestens zwei weiteren Beschuldigten” nicht durchsucht worden. Alles spreche dafür, dass es darum gegangen sei, mehr über die geplanten Proteste und Aktionen in Heiligendamm zu erfahren. Die betroffenen Gruppen, so Lindemann, überlegten nun, ihrerseits gegen das Vorgehen der Justizbehörden zu klagen.

Paragraf 129
Als Reaktion auf die Terroristen der Rote Armee Fraktion hat der Gesetzgeber im Jahr 1976 den Paragrafen 129a des Strafgesetzbuchs eingeführt. Neben der Bildung einer kriminellen Vereinigung (129) wurde auch die Bildung einer terroristischen Vereinigung im Inland unter Strafe (129a) gestellt.

Seit 2003 existiert Paragraf 129b, der den Straftatbestand auf Gruppen im Ausland ausweitet. Mindestens drei Verdächtige müssen sich zusammenschließen, um in diesem Sinne als “Vereinigung” zu gelten.

Die Organisation muss überdies auf eine gewisse Dauer angelegt sein. Schon der Versuch, eine solche Gruppe zu gründen, ist strafbar. Die Mitglieder haften kollektiv für alle Taten, die dieser Vereinigung nachgewiesen werden - unabhängig vom Nachweis der direkten Beteiligung des Einzelnen.

Als Terrorismus im Sinne des Paragrafen gelten unter anderem Taten und Anschläge, wenn sie Staaten oder Organisationen “erheblich schädigen” können. Die Höchststrafe nach Paragraf 129a beträgt zehn Jahre.

Etwa 90 Prozent der Verfahren, die von der Bundesanwaltschaft unter Paragraf 129a angestrengt werden, werden später eingestellt. eff

VON JÖRG SCHINDLER