7. August 2006
Themen: Antirassismus G8 Globalisierung
Anlässlich des 3. europäischen Aktionstages zu Migration organisierte das Thüringer Anti-G8 Plenum eine Veranstaltungsreihe zu diesem Thema. Diese endete mit einer Kundgebung vor der Waldsiedlung, einem Wohnheim für AsylbewerberInnen bei Freienbessingen im Kyffhäuserkreis.
Veranstaltungsreihe zu G8, Flucht und Migration
Die Veranstaltungsreihe begann am 21. September, an mehrern Tagen wurden Filme zum Leben in Lagern und zur Ferstung Europa gezeigt. In Kooperation mit The Voice refugee forum berichteten Migranten in einer Diskussionsveranstaltung von ihren Erfahrungen mit der Residenzpflicht und rassistischer Behandlung im Alltag. Das Ende der Veranstaltungsreihe sollte eine Kundgebung vor dem AsylberwerberInnenheim in Freibessingen darstellen.
Das Dschungelheim
Zwei Kilometer entfernt von Freienbessingen liegt die sogenannte "Waldsiedlung". Das AsylbewerberInnenheim ist komplett von Wald umgeben, der nächste Arzt ist 10 km entfernt, das nächste Krankenhaus 30 km.
In dieser totalen Abgeschiedenheit müssen Menschen, teilweise seit über 15 Jahren, leben und das unter völlig unwürdigen Bedingungen. Die Wasserrohre der Gemeinschaftsduschen sind verrostet, an den Wänden wachsen Schimmelpilze und auch warmes Wasser ist keine Selbstverständlichkeit. Doch auch die BewohnerInnen sind voneinander getrennt, so wohnen die Leute in qualitativ unterschiedlichen Unterkünften, was als Konzept verstanden werden kann um eine Solidarisierung untereinander zu verhindern. Mitunter wohnen vierköpfige Familien zusammengepfercht in einem Raum. Beschäftigungsmöglichkeiten gibt es kaum und ein Busticket in die Stadt Sondershausen und zurück kostet 10 Euro.
Diese Verhältnisse sind Grund genug, um jenem kleinen Fleck in Nordthüringen mehr Aufmerksamkeit zu widmen.
Der 7. Oktober
Gegen 15:00 Uhr fanden sich ca. 40 Menschen auf dem kleinen Platz vor dem Heim ein. Die in völlig unverhältnismäßig hoher Anzahl anwesende Polizei, durchsuchte die Kofferräume der ankommenden Fahrzeuge und streute unter den BewohnerInnen das Gerücht, dass Nazis demonstrieren wollten.
An Stelle der von den Ordnungskräften angekündigten Nazis kamen Menschen, die die Forderungen der Leute im Heim unterstützen und mit ihnen für die Schließung des Dschungelheims kämpfen wollen. Es wurde ein offenes Mikrophon aufgebaut, ein Tisch mit Kuchen und Kaffee sowie viele Bälle, Reifen und anderes Spielzeug für die Kinder bereitgestellt.
Die Kundgebung wurde mit einem Redebeitrag eröffnet, der sich an die AsylberwerberInnen im Heim richtete und das Anliegen der Veranstaltung erläuterte. Das offene Mikrophon wurde rege in Anspruch genommen und die BewohnerInnen berichteten von den Menschenunwürdigen Verhältnissen im Heim und über Schickanierungen in der Schule und auf der Straße. "In der Schule nennen sie mich immer Kanacke [...] was soll das? Ich bin auch nur ein Mensch." erzählte eines der Kinder über den Schulalltag.
Nach kurzer Zeit herrschte reges Treiben am Veranstaltungsort: Leute unterhielten sich und kamen in Kontakt, spielten Fußball, liefen auf Stelzen umher oder bedienten sich am Kuchentisch. Die BewohnerInnen des Heims zeigten sich unter anderem dadurch erkenntlich, dass auch sie den Tisch weiter mit Essen und Getränken füllten.
Zwischendurch nutzte der Clown Peppie das offene Mikrophon um den Kindern wie auch den Erwachsenen Mut zu machen und mit einigen Tricks und Kunststücken die gesamte Aufmerksamkeit der Anwesenden zu bekommen.
Auch der Rest der Kundegebung die sich eigentlich eher als Party entpuppte verlief ähnlich ausgelassen und viele, vor allem Kinder fragten "Kommt ihr bald wieder?".
Obwohl es sehr ermutigend für die teilnehmenden BewohnerInnen war, zu sehen dass sie nicht vergessen sind, blieb ein großer Teil der Veranstaltung fern. Eine Frau sagte dass "[...] einige der Leute hier nicht sie selbst sind [...]". Das Leben in einem solchen Heim ist kräftezehrend und viele der Menschen sehen nur wenig Hoffnung oder versuchen eine Duldung zu erlangen und möglichst wenig aufzufallen um nicht eventuell abgeschoben zu werden.
Dennoch gab es Gespräche zwischen einigen AsylberwerberInnen und den Angereisten über das weitere Vorgehen zum Dschungelheim.
Perspektiven
Es ist jetzt vor allem wichtig, Aktionen kontinuierlich fortzusetzen um Das Thema öffentlich zu machen. In Gesprächen mit den BewohnerInnen wurde klargemacht, dass niemand die Rolle einer Vertretung für sie übernehmen kann und will, weil nur die Flüchtlinge und MigrantInnen selbst ihre Forderungen nach außen tragen können. Deshalb ist eine funktionierende Kommunikation im Heim selbst wie auch nach Außen eine wichtige Vorraussetzung für eine erfolgreiche Kampagne mit dem Ziel das Dschungelheim in Freienbessingen zu schließen.
Natürlich ist es nur ein kleiner Schritt im Kampf für Bewegungsfreiheit auch für Menschen ohne Pass und es gibt noch Tausende andere Heime und Lager die es zu schließen gilt, deshalb kann auch ein Erfolg der Kampagne nur als Teilerfolg wahrgenommen werden und muss fortgesetzt werden.
Redebeitrag
Was haben G8-Gipfel mit Migration zu tun?
Wir sehen auf der einen Seite globale Flüchtlingsströme, illegale Einwanderung und Integrationsunwillige, auf der anderen Seite Beratungen zwischen den mächtigsten Industriestaaten der Erde. Beratungen über Weltwirtschaft und Krieg, Terrorismus und Armut.
Und über Flucht.
Wagen wir einen Blickwechsel und fragen, wovor Menschen flüchten: Sie flüchten vor Krieg - wie im Kongo, wo deutsche Truppen die Rohstoffzufuhr für deutsche Firmen sichern. Sie flüchten vor Armut wie auf dem drittel der Welt, wo noch nicht einmal die Nahrungsmittelsicherheit auf Dauer gewährleistet ist und wo doch das Soja für europäische und nordamerikanische Rinder herkommt. Sie flüchten vor Terrorregimes, die vom Westen gestützt werden, weil sich so der Zugriff auf die Ressourcen der Länder aufrecht erhalten lässt.
Sie flüchten vor Verhältnissen, die ihren Ursprung in den reichen Ländern des Nordens haben oder zumindest von dort aus gestützt werden.
Wenn sie flüchten und es bis Europa schaffen, stehen sie vor Grenzbefestigungen, die einen ganzen Kontinent in eine No-Go-Area verwandelt. Mit Nachtsichtgeräten, CO2-Spürern, einem Heer von Grenzsschutztruppen und mit der Unterstützung von rassistischen Bürgerwehren wird die Festung Europa dicht gemacht.
Wer es in die EU schafft, ohne zu ertrinken, lebt unter einer Reihe repressiver Maßnahmen - Residenzpflicht, Unterbringung in Heimen, Sozialleistungen unter dem Niveau, daß für Deutsche als Lebensminimum gilt und in letzter Konsequenz Abschiebung oder Illegalisierung.
Der mit diesen Maßnahmen einhergehende illegale Status ganzer Migrantengruppen erfüllt noch seinen ökonomischen Zweck.
Denn die illegal lebende Putzfrau ist allemal billiger als eine legal und sozialversichert beschäftigte. Sie ist eine billige austauschbare Arbeitskräfte und kann überdies noch als Sündenbock für Lohnkürzungen und Sozialabbau herhalten. So werden alle nach ökonomischer Verwertbarkeit sortiert: Die illegale Putzfrau in den Professorenhaushalt, der indische Computer-Spezialist an den Schreibtisch und die vielen namenlosen Flüchtlinge, die nichts können, was ausreichend verwertbar ist werden abgeschoben, wenn sie nicht schon auf dem Weg in die EU ertrunken sind.
Die G8 sind nicht die finsteren Strippenzieher, die hinter all diesem Elend stehen und sich ins Fäustchen lachen, wenn wieder ein Boot mit Flüchtlingen im Mittelmeer untergeht. Aber sie repräsentieren das kapitalistische System, dass diese Verhältnisse als Erbe des Kolonialismus hervorgebracht hat und das täglich von ihnen profitiert.
Die Bauherren der Festung Europa und der US-amerikanischen Abschottung gegen Südamerika sind es, die sich im nächsten Jahr in Heiligendamm zum G8-Gipfel treffen und in einer großen Propagandashow demonstrieren, daß sie sich um die Probleme des Planeten kümmern.
Daß es im Rahmen von Nationalstaaten und Kapitalismus keine menschliche Lösung für den Umgang mit Flüchtlingen gibt, ist klar.
Das Thema Migration und die damit verbundenen Forderung nach einem Bleiberecht und Bewegungsfreiheit für alle, wird bei den Protesten gegen den G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm eine zentrale Rolle spielen, so wird es zum Beispiel auch einen Aktionstag zu Migration geben. Deswegen rufen wir auf, nach Heiligendamm zu fahren und gegen dieses unmenschliche System den Widerstand auf die Straße zu tragen.