»Es gibt nicht den Hauch eines Beweises«

junge welt 10. Mai 2007

Es hat selten ein 129a-Verfahren mit so schlechter Begründung gegeben. G-8-Gegner unbeirrt. Ein Gespräch mit Sven Lindemann
Interview: Wera Richter

Sven Lindemann ist Anwalt in Berlin und Betroffener der Polizeirazzien gegen G-8-Gegner am Mittwoch

Sie gehören zu den 18 der Bundesanwaltschaft namentlich bekannten Personen, die am Mittwoch von Hausdurchsuchungen betroffen waren und gegen die zur Zeit wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt wird. Was wirft man Ihnen vor?

Uns werden zwölf Anschläge, die in Hamburg, Berlin, Brandenburg und Schleswig-Holstein geschehen sind, zugeschrieben. Diese Anschläge sollen alle im Zusammenhang mit dem bevorstehenden G-8-Gipfel in Heiligendamm und unter wechselnden Gruppenbezeichnungen verübt worden sein. Wir sollen uns zu dem Zweck, den Gipfel zu verhindern, gegründet haben.
Gibt es Beweise?

In meinen Augen keinen einzigen. Ich selbst soll an zwei öffentlichen Treffen in Hamburg und Berlin teilgenommen haben. Ich kann aber definitiv sagen, daß ich zumindest bei dem Treffen in Hamburg nicht war. Anfang 2005 soll es außerdem sogenannte konspirative Treffen gegeben haben. Dazu muß man sagen, daß für das Bundeskriminalamt (BKA) jedes Treffen konspirativ ist, bei dem sie nicht wissen, worum es geht. Wenn ich mich am Telefon mit jemanden in der Kneipe verabrede, ist das konspirativ, weil ich nicht dazu gesagt habe, warum wir uns da treffen wollen.

Beweise gibt es auch für die Behauptung solcher Treffen nicht. Ich habe schon einige 129a-Verfahren erlebt und anwaltlich begleitet. Aber einen so dünnen Durchsuchungsbeschluß ohne den Hauch eines Beweises habe ich noch nicht gesehen.
Zum Teil traut man den 18 ins Visier geratenen Personen wegen ihres fortgeschrittenen Alters offenbar gar keine Anschläge mehr zu. In welchem Alter ist man aus dem Schneider?

Ich will nicht sagen, daß ich schockiert bin, aber es hat mich doch überrascht, daß ich mit meinen im Vergleich zu anderen Beschuldigten bescheidenen 43 Jahren dazugezählt werde. Aber Spaß beiseite. Man unterstellt uns, wir hätten andere zu Straftaten angestiftet. Wir sollen »erheblich jüngere Personen zum Zwecke der operativen Durchführung der Anschläge rekrutiert« haben. Nach der Logik von BKA und Bundesanwaltschaft muß man nicht selbst vor Ort gewesen sein, um Anschläge zu begehen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß beim BKA selbst irgend jemand an dieses Konstrukt glaubt. Es geht hier, wie auch sonst in 129a-Verfahren, darum, linke Gruppen und Organisationen auszuforschen und Angst zu verbreiten. In diesem Sinne wurden die Durchsuchungen am Donnerstag auch in der Presse gewürdigt, nämlich als präventive Maßnahmen in bezug auf das G-8-Treffen in Heiligendamm.
Als Anwalt haben Sie auch angebliche Mitglieder der militanten gruppe (mg) vertreten. Welchen Sinn macht es, daß deren Verfahren bei den aktuellen Hausdurchsuchungen wieder vorgeholt wurden?

Daß 129a-Ermittlungen gegen mutmaßliche mg-Mitglieder laufen, ist Ende 2003 bekannt geworden. Seitdem haben die Beschuldigten keinerlei Akteneinsicht bekommen, und die Verfahren dümpeln vor sich hin. Die Durchsuchungen gegen angebliche mg-Verdächtige stehen insofern im Zusammenhang mit der G-8-Vorbereitung, weil sie als Mitglieder der Initiative »Libertad!« bei der Vorbereitung des Protestes gegen den Gipfel aktiv sind. Vielleicht waren die Verfassungsschutzerkenntnisse nicht ausreichend, so daß man mit einer offiziellen Durchsuchung nachhelfen wollte, um noch zu ein paar Erkenntnissen zu gelangen. Und das Verfahren läßt sich noch ein bißchen in die Länge ziehen.
Sie gehen davon aus, daß die Ermittlungen früher oder später eingestellt werden müssen?

Die Verfahren werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eingestellt. Es hat keine Haftbefehle und keine Festnahmen gegeben, und ich gehe davon aus, daß das auch so bleibt. Immer unter der Voraussetzung, daß nicht irgendwas möglicherweise Belastendendes bei den Durchsuchungen gefunden wurde. 97 Prozent aller 129a-Verfahren wurden sang- und klanglos eingestellt. Irgendwann bekommt man dann die Akten in Form eines Haufens Papier und kann je nach Stimmung noch ein bißchen schmunzeln, sich ärgern oder auch mal die Wut kriegen. Dann ist die Sache vom Tisch.
Die Großaktion der Polizei diente offensichtlich auch der Einschüchterung der G-8-Gegner. Die reagierten zumindest in Hamburg und Berlin mit recht kräftigen Demonstrationen. Ist das Kalkül von Polizei und Bundesanwaltschaft nach hinten losgegangen?

Wenn das ihr Ziel war, auf jeden Fall. Die Mobilisierung hat offensichtlich an Schwung gewonnen. Es waren wirklich sehr viele Leute auf der Straße. Selbst international wurde demonstriert. Sogesehen könnte man sich fast beim BKA bedanken, daß es so viel zur Mobilisierung beigetragen hat.

11.05.2007 / Inland / Seite 2

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