Die Gipfel-Stürmer

Süddeutsche Zeitung 10. Mai 2007

Die linken Protestgruppen sind ein sehr heterogenes Gebilde. Auch in ihrem Verhältnis zur Gewalt unterscheiden sie sich erheblich. Nur was den G8-Gipfel betrifft, sind sich alle einig.
Von Arne Boecker

Die Razzia der Bundesanwaltschaft zielte auf den militanten Teil des G-8-Widerstands. Während diese Organisationen naturgemäß im Verborgenen wirken, agitieren linke und linksextremistische Vereinigungen seit Monaten offen gegen den Gipfel. Die Kampagne werde “als Teil des Kampfs für eine revolutionäre Überwindung unseres Gesellschaftssystems” begriffen, heißt es im Berliner Verfassungsschutzbericht.

Dieser Teil der Protestszene selbst will jedoch nicht über das Für und Wider der Globalisierung diskutieren, sondern die Konstruktion G 8 attackieren. Der Achter-Club sei kein demokratisch legitimiertes Gremium, lautet ihr Credo. Die “Delegitimierer” sind allerdings uneins, ob und in welchem Maß die Anwendung von Gewalt opportun ist.

Schon vor zwei Jahren hatten sich mit Blick auf Heiligendamm Gruppen und Grüppchen aus ganz Deutschland zu einem losen Bündnis zusammengefunden, das sich Interventionistische Linke (IL) nennt; am stärksten ist die IL in Berlin und Hamburg. Die Interventionisten wollen “Politik nicht nur kommentieren, sondern eingreifen”, erklärt Aktivist Christoph Kleine. Verfassungsschützern gilt die IL als bundesweit führend, was die Mobilisierung des Gipfel-Protests betrifft.

Seiten den 90ern in der Defensive

Nachdem “die radikale Linke in den 90er Jahren strategisch in die Defensive” geraten sei, erhoffe man sich von Heiligendamm “ein Aufbruchsignal”, heißt es in einem Papier von Avanti, einer IL-Unterorganisation. Christoph Kleine rechnet damit, dass die Interventionistische Linke 1500 bis 2000 Aktivisten nach Heiligendamm bringen kann.

Wie hält es die Interventionistische Linke mit der Gewalt? “Es geht immer um konkrete Absprachen in konkreten Situationen”, sagt Kleine. In dem “breiten Bündnis IL” herrsche Konsens darüber, nicht “im Vorweg Leute zu verurteilen, die bei Polizeiaktionen auch mal zurückrangeln”. Kleines Aussage deckt sich mit den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden: Von sich aus prügelten IL-Aktivisten nicht los, heißt es, doch wenn es bei einer Blockade hitzig werde, zögen sie sich auch nicht zurück.

Die Polizei-Razzia vom Mittwochmorgen hat die Struktur der Interventionistischen Linken in Teilen lahmgelegt. IL-Aktivisten betreiben einige der Berliner Büros, die das Bundeskriminalamt als interessant identifiziert hat. Durchsuchungen und Beschlagnahmungen betrafen auch die “Infogruppe” von “Gipfelsoli”, einem weiteren Netzwerk des linksextremistischen Spektrums.

Noch einen Tag vor der Polizeiaktion hatte Gipfelsoli einen Radiospot veröffentlicht, der auf “die Schriftsteller Bert Brecht und Ulrike Meinhof” Bezug nahm. Zitat Meinhof: “Protest ist, wenn ich sage, das und das gefällt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, dass das, was mir nicht passt, nicht länger geschieht.”

Die “Bewegung der Bewegungen”

Seit dem Weltwirtschaftsgipfel im amerikanischen Seattle (2001) bezeichnen Soziologen Gipfel-Stürmer als “Bewegung der Bewegungen”. Auch die Interventionistische Linke ist ein heterogenes Gebilde. Mit Bedacht meidet sie gemeinsame Aufrufe und lehnt es ab, Verantwortung für jede Aktion zu übernehmen, die eine der Untergruppen unternimmt.

Trotz dieser Schwammigkeit bildet die Interventionistische Linke - wie auf anderer Ebene auch Attac - inzwischen den Kitt, der die Bewegung zusammenzuhalten versucht. Die gut organisierten und zugänglicheren Globalisierungskritiker von Attac positionieren sich allerdings in vielem eindeutiger als die IL. “Von uns wird keine Gewalt ausgehen”, sagt Attac-Sprecher Pedram Shahyar.

Intern streitet das Linksaußen-Lager oft erbittert um Ziele und Methoden. Als kürzlich in einer Rostocker Kirche diskutiert wurde, ging das Flugblatt einiger Attac-Aktivisten herum. Die Antifaschistische Linke Berlin (ALB), die zur Interventionistischen Linken zählt, hatte Attac vorgeworfen, “sich durch die Beschwörung eigener Harmlosigkeit politikfähig zu machen”. Attac bettle “um ein Plätzchen am runden Tisch der Mächtigen”, ätzte die ALB.

Auch wenn sie gelegentlich über Kreuz geraten, scheinen sich Linke und Linksextremisten auf das Konzept einigen zu können, mit dem die Initiative “Block G 8″ Anfang Juni in Heiligendamm auftreten will. Für den Block wirbt Christoph Kleine (IL) genauso wie Pedram Shahyar (Attac). Der Block G 8 will Anfang Juni rund um Heiligendamm Straßen mit so vielen sitzenden oder stehenden Menschen versperren, dass Dolmetscher, Ministeriale und Diplomaten nicht zum Grandhotel Kempinski durchkommen. “Ziviler Ungehorsam” heißt das in der Sprache der Gipfelgegner.

(SZ vom 11. Mai 2007)

http://www.sueddeutsche.de/deutschland/artikel/742/113629/