Welt 10. Mai 2007
Der Innensenator sieht die Großrazzia der Bundesanwaltschaft kritisch. Er hält es für falsch, den Widerstand gegen das Gipfeltreffen zu kriminalisieren. Körting befürchtet eine Solidarisierung der G-8-Gegner mit den wenigen Gewalttätern.
Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) musste an sich halten. Nur seine Erfahrung als Jurist und die Würde seines Amtes als Vorsitzender der Innenministerkonferenz hinderten den Sozialdemokraten daran, die Großrazzia gegen Gegner des G8-Weltwirtschaftsgipfels offen zu kritisieren. Sehr deutlich machte Körting jedoch am Donnerstag, dass er es für falsch und riskant hält, den Protest gegen G8 zu kriminalisieren. Hinter vorgehaltener Hand nannten Berliner Sicherheitsexperten die Aktion „kontraproduktiv“. Die Ermittlungen würden ausgehen „wie das Hornberger Schießen“, also keine Hinweise auf geplante Anschläge bringen, dafür aber die Szene mobilisieren und zusammenschweißen.
Im Berliner Abgeordnetenhaus sagte der Senator, auch „nachhaltige Demonstrationen und Kampagnen für Demonstrationen“ seien Teil unserer Demokratie. Man dürfe nicht „die Vielen, die Fragen stellen, mit den Wenigen, die kriminell sind, in einen Topf werfen“.
Berliner Polizei nicht beteiligt
Am Mittwoch hatten 900 Polizisten in sechs norddeutschen Bundesländern 40 Objekte durchsucht, um Hinweise auf terroristische Aktivitäten der Kampagnen-Organisatoren zu finden. Einen Schwerpunkt bildeten Buchläden, Medienarchive und ein Internet-Provider in Kreuzberg. Das Bundeskriminalamt hatte Berliner Polizisten nur mit Absperr- und Hilfsarbeiten beauftragt, ansonsten die Durchsuchungen aber in Eigenregie vorgenommen.
Zwar gebe es unter den Gipfel-Gegnern eine Debatte über Gewalt, sagte Körting. Aber die wenigen Gewaltbereiten seien relativ isoliert: „Sie schwimmen mit, aber sie lenken die Bewegung nicht. So soll es bleiben“, sagte Körting. Zu den Globalisierungskritikern gehören neben Gruppen aus dem anarchistischen, autonomen, antifaschistischen und linksextremen Spektrum auch kirchliche und gewerkschaftliche Organisationen, Teile der Grünen, Linkspartei und Nichtregierungsorganisationen.
Die Proteste der Gipfel-Gegner gegen die Polizei-Aktion am Mittwochabend in Kreuzberg lobte Körting ausdrücklich. Er sprach den Organisatoren seinen „Respekt“ aus, weil sie trotz „hoher Emotionalisierung eine politische Demonstration ohne Auswüchse“ erreicht hatten. Mit 3000 Teilnehmern hatte die Demonstration mehr Menschen auf die Straße gebracht als die autonome Demo am 1. Mai. Am Rande des Umzugs wurden vier Personen wegen des Vorwurfes des schweren Landfriedensbruchs festgenommen. Zwei Beschuldigte wurden bis gestern Vormittag wieder auf freien Fuß gesetzt, sagte ein Polizeisprecher. Keiner der 570 eingesetzten Beamten wurde verletzt.
Vier Festnahmen
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Körtings Einschätzung der Großrazzia unterscheidet sich fundamental von den Kommentaren führender Innenpolitiker der großen Koalition im Bund. Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz bezeichnete die Razzia als „sachgerechte Maßnahme“ der Sicherheitsbehörden. Der innenpolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Bosbach, sagte im TV-Sender N24, es gelte, gegen gewaltbereiten Extremismus entschieden vorzugehen, egal ob von rechts oder von links. Beim G8-Gipfel seien 15000 Gäste aus dem In- und Ausland zugegen, unterstrich der CDU-Politiker. „Und diese Gäste haben einen Anspruch darauf, dass Deutschland alles tut, um ihre Sicherheit zu gewährleisten.“ Berlins CDU-Generalsekretär Frank Henkel sagte, die Bedrohung, die von der linksextremen Szene ausgehe, werde vom Rechtsstaat offenbar als sehr konkret eingeschätzt. „Es ist ein Unterschied, ob Mütter und Kinder auf die Straße gehen und für eine gerechte Welt demonstrieren, oder ob linke Extremisten Barrikaden errichten, randalieren und zündeln“, sagte Henkel.
Auch die Bundesanwaltschaft wies Vorwürfe zurück, die Globalisierungsgegner generell zu kriminalisieren. Sprecher Frank Walenta sagte, der Einsatz „diente der Beschaffung von Beweismaterial, das die Aufklärung in zwei laufenden Ermittlungsverfahren voranbringen soll“. Das sichergestellte Material müsse nun umfangreich untersucht werden. Es sei „eine Vielzahl von Computern und Laptops, Verbindungsdaten und Unterlagen beschlagnahmt“ worden, so der Sprecher.
Dass es trotz des schwer wiegenden Vorwurfs der Bildung einer terroristischen Vereinigung zu keiner Festnahme kam, sei keineswegs ein Widerspruch. Der entsprechende Paragraf 129a, Absatz 2, rechtfertige das Vorgehen der Bundesstaatsanwaltschaft.
Gipfel-Gegner mobilisieren weiter
Die Gipfel-Gegner kündigten an, ihre Aktivitäten gegen das Treffen der Staats- und Regierungschefs der acht wichtigsten Industriestaaten vom 6. bis 8. Juni im Ostseebad Heiligendamm unvermindert fortsetzen zu wollen. „Eine Spaltung in gute und schlechte Globalisierungskritiker wird es nicht geben, die Vorbereitungen laufen nach wie vor auf Hochtouren mit allen beteiligten Gruppen“, so Tim Laumeyer von der Antifaschistischen Linken Berlin.
Auch am Ort des Geschehens in Mecklenburg-Vorpommern fahren die Behörden jetzt einen härteren Kurs gegen die Gipfel-Gegner, nachdem zuletzt eher Kooperation und die gemeinsame Suche nach Demo-Routen und Übernachtungsplätzen im Vordergrund standen. Gestern verbot die Polizei einen Sternmarsch, der von den vier Nachbarorten Kühlungsborn, Kröpelin, Bad Doberan und Nienhagen bis zum Sicherheitszaun vor Heiligendamm führen sollte. Die Straßen würden als Zufahrts- und Rettungswege gebraucht, so die Begründung. Die Anmelder des Sternmarsches haben Klage gegen eine „Protest-freie Zone“ rund um den Gipfel-Ort angekündigt. Offenbar gehe es darum, den Protest zehn Kilometer vom Ort des Geschehens auf die grüne Wiese abzudrängen und für die Medienöffentlichkeit nicht mehr erreichbar zu machen, sagte die Anwältin Ulrike Donat.