G-8-Gegner sollen "Exekutionen" erwogen haben

Weltonline 10. Mai 2007, 17:47 Uhr

Radikalismus

Die Polizei warnt vor militanten Gegnern des G-8-Treffens im Juni. Mit den Razzien sollten die Pläne militanter Gruppierungen durchkreuzt werden. Doch nun wird befürchtet, dass sich die G-8-Gegner jetzt erst recht radikalisieren.

Die Sicherheitsbehörden schätzen die Gefährlichkeit militanter Gegner des Anfang Juni im Ostseebad Heiligendamm stattfindenden G-8-Weltwirtschaftsgipfels hoch ein. Nach eigenen Angaben hat die Bundesanwaltschaft Hinweise, dass eine terroristische Vereinigung mit Brandanschlägen und anderen gewalttätigen Aktionen den Gipfel stören will. Unter den G-8-Gegnern gibt es auch „Gruppen mit Potenzial zum Terror“, heißt es in der Polizei.

Zwei Gruppen sollen ausgespäht werden. Zum einen gibt es den Verdacht, in Hamburg habe sich eine linke terroristische Zelle gebildet. Sie soll vor einigen Monaten das Auto von Thomas Mirow, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, in Brand gesteckt haben. Die zweite Gruppe trägt den Namen Militante Gruppe (MG) und soll ihr Zentrum in Berlin haben. Nachdem im Januar zwei Polizeiwagen in Oranienburg angezündet wurden, hat es laut der Polizei ein Schreiben gegeben, in dem sich die MG zu einem „militanten Erstbeitrag“ für die „im Entstehen begriffene militante Kampagne“ gegen den G-8-Gipfel bekennt.

Nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden ist die MG die aktivste und gefährlichste Gruppierung innerhalb des linksextremistischen Spektrums. Seit 2001 hat sie 25 Brandanschläge auf Gebäude und Kraftfahrzeuge verübt. Zu den Anschlagszielen zählen etwa das Oberlandesgericht Naumburg und das Landessozialgericht Berlin. Die jeweilige Schadenssumme liegt vielfach im sechsstelligen Bereich. Zudem hat die MG mehrfach „scharfe Patronen“ verschickt, etwa an den FDP-Politiker Otto Graf Lambsdorff.

Alle Verdächtigen sind auf freiem Fuß
Die MG führt eine „Militanzdebatte“, die einer Radikalisierung der autonomen Szene dienen soll. Dabei wird sogar mit Knieschüssen und „Exekutionen von Entscheidungsträgern“ aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft gedroht. „Einige wenige wie die Militante Gruppe neigen zu Gewalttaten“, sagte Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) WELT ONLINE. Aber das sei keine Massenbewegung. „Wir stellen eine stärkere Politisierung fest, aber insgesamt keine stärkere Militanz.“
Nach der Großrazzia gegen militante Gipfelgegner sind alle 21 Terrorverdächtigen nach wie vor auf freiem Fuß. Weder sei es zu vorläufigen Festnahmen gekommen noch habe die Bundesanwaltschaft Haftbefehle beantragt, sagte ihr Sprecher Frank Wallenta in Karlsruhe. Die Sicherheitsbehörden hatten am Montag 40 Treffs und Wohnungen mutmaßlich militanter G-8-Gegner in sechs Bundesländern im Norden Deutschlands durchsucht.

Am Mittwochabend war es bei einer Demonstration gegen Durchsuchungen in Hamburg zu Ausschreitungen im Schanzenviertel gekommen – nach einem Protestmarsch von rund 2000 Globalisierungsgegnern. Acht Personen wurden wegen des Verdachts des Landfriedensbruchs vorläufig festgenommen. In Berlin hatten sich rund 3000 G-8-Gegner versammelt, vier wurden festgenommen. Kleinere Demonstrationen in Kiel, Rostock, Leipzig, Köln, Göttingen, Hannover, Marburg und Mannheim blieben weitgehend friedlich.

Altlinke, junge Spaßguerilleros und der harte Kern
Nach Einschätzung des Hamburger Innensenators Udo Nagel (parteilos) war die Durchsuchung des Szenetreffs Rote Flora am Mittwoch kein politisches Signal: „Das ist eine ganz normale Reaktion auf Straftaten.“ Man werde mit „Straftätern und Chaoten nicht lange diskutieren“, sagte er WELT ONLINE. Für die Hamburger Verfassungsschützer stellt sich die Lage schwierig da – zu heterogen und unübersichtlich ist die linke Szene. Vor allem bei Großdemonstrationen wie vor der Roten Flora kommen sehr viele verschiedene Gruppierungen zusammen: Altlinke, junge Spaßguerilleros und der harte Kern aus der autonomen Szene verbinden sich eher spontan und unorganisiert. Dazu reisen Demonstranten extra aus anderen Bundesländern an, die die Rote Flora als Symbol sehen.

Nach den Razzien befürchten die Aktivisten nun eine Radikalisierung des Protests. Mehr als 20 Organisationen haben sich unter dem Namen „Block G8“ zusammengeschlossen. Sie wollen am ersten Gipfeltag mit einer Sitzblockade die Zufahrtsstraßen nach Heiligendamm versperren. Gewerkschaftsgruppen sind darunter, Ortsverbände der IG Metall, kirchliche Vereinigungen wie Pax Christi, globalisierungskritische Organisationen wie Attac oder linke Gruppierungen wie die Interventionistische Linke.
Die Polizei unterscheidet zwischen einem harten Kern gewaltbereiter Extremisten und einem Sympathisantenkreis. „Die Polizei will sicherstellen, dass das Demonstrationsrecht beim G-8-Gipfel wahrgenommen werden kann. Aber was wir nicht dulden können, ist, dass dort Anschläge und Gewalttaten begangen werden“, sagte Konrad Freiberg, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), WELT ONLINE. Und Berlins Innensenator Körting warnt davor, den gesamten Protest gegen den G-8-Gipfel zu kriminalisieren: „Demonstrationen und auch Kampagnen für Demonstrationen sind ein Teil unserer Demokratie.“ Nach seiner Ansicht darf man nicht die vielen Menschen, die Fragen stellen, und die wenigen, die kriminell sind, in einen Topf werfen.

Streit um die Rolle der RAF
Auch SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz plädiert für eine Politik mit Augenmaß. „Man muss sich davor hüten, jetzt Benzin ins Feuer zu gießen.“ Er sieht keine wachsende linksextreme Bedrohung, hält die Razzien aber für notwendig. Auch Unionsfraktionsvizechef Wolfgang Bosbach (CDU) verteidigt die Aktion: „Es geht darum, dass wir 15.000 Gäste haben aus dem In- und Ausland. Und diese Gäste haben einen Anspruch darauf, dass Deutschland alles tut, um ihre Sicherheit zu gewährleisten.“
Schlagworte
G 8 Gipfeltreffen Extremisten linke Szene Gewalt Globalisierungsgegner
Grünen-Chefin Claudia Roth kritisiert dagegen, man könne nicht eine ganze Bewegung kriminalisieren und in eine terroristische Ecke stellen. GdP-Chef Freiberg hatte gesagt, dass die alte RAF-Garde zunehmend Einfluss nehmen könnte auf die linke Szene von heute. Die Auftritte der Ex-Terroristen Inge Viett und Ralf Reinders aus der RAF-nahen Bewegung des 2. Juni bei Kundgebungen zum 1. Mai in Berlin-Kreuzberg seien Anzeichen dafür. „Wir werden es noch erleben, dass Linksextremisten Anschläge verüben und sich dabei auf die RAF beziehen“, so Freiberg.
Von Martin Lutz