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Auf in den Kampf!Financial Times Deutschland 8. Mai 2007 Der G8-Gipfel in Heiligendamm droht für Attac zum Flop zu werden. Politiker, Promis und Popstars stehlen ihnen die Show und besetzen die Themen der Globalisierungskritiker. Und ein ungebetener Akteur mischt mit: die NPD. Auch der letzte Plattenbau im Rostocker Stadtteil Evershagen wird bald abgerissen werden und schicken Wohnblöcken weichen. Doch jetzt werden die zerfallenen Gebäude noch einmal gebraucht, denn bald ist G8-Gipfel in Heiligendamm. Linke Aktivisten rüsten die ehemalige Ehm-Welk-Schule zur Bastion des Widerstands. Sie rollen ihre Schlafsäcke in den Klassenzimmern aus und kochen in der “Volxküche” mexikanische Tortillas. “Gegen Polizeigewalt und Herrschaften”, “Stop G8!” heißt es auf Leintücher, die an blinden Fenstern hängen. Wenn im Juni Zehntausende Demonstranten nach Rostock strömen, werden sie hier eine Anlaufstelle finden. Attac, das Bündnis der Globalisierungskritiker, stilisiert Heiligendamm zum Mega-Event des Jahres: 100.000 Demonstranten in Rostock, 100 Seminare für eine bessere Welt beim Gegengipfel. Und natürlich die Blockaden des Militärflughafens Rostock-Laage und der Zugangsstraßen zum Tagungsort. “Die werden den Gipfel abblasen müssen. Die Arbeitsfähigkeit innerhalb des Zauns wird nicht hergestellt werden können”, droht Monty Schädel, Koordinator des Rostocker Bündnisses gegen den G8-Gipfel und Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft. Bisher ist es den Globalisierungskritikern meistens gelungen, die Gipfeltreffen der mächtigsten Staatschefs der Welt als Heimspiel für sich zu nutzen: Es gab gute Bilder und neue Mitglieder. In Heiligendamm dürften die Protestler es schwerer haben. Denn zu viele Akteure tummeln sich an der Gipfelfront - und werden ihnen die Show stehlen. Sanfte Appelle an die NGOs Allen voran Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): Sie setzt Themen wie Afrika und Klimawandel auf die Gipfelagenda und ruft Nichtregierungsorganisationen zum Dialog auf. Daneben gibt es Popstars wie Bono, Bob Geldorf und Herbert Grönemeyer, die sich für Afrika einsetzen. Und diesmal mischt auch ein ganz neuer Protagonist in Mecklenburg-Vorpommern mit - die NPD. Die Erwartungen sind deshalb kleiner, als das Getöse im Vorfeld vermuten lässt. “Niemand glaubt wirklich, das Treffen verhindern zu können”, sagt Dieter Rucht, Forscher für soziale Bewegungen am Wissenschaftszentrum Berlin, “es geht allenfalls um eine symbolische Darstellung des Widerstands.” Das gilt besonders für die Speerspitze der Globalisierungskritiker: “Attac hat immer mehr an Einfluss verloren”, sagt Ralf Baus von der Konrad-Adenauer-Stiftung. “Der Gipfel gibt ihnen einen Mobilisierungsschub, sie greifen danach wie nach einem Strohhalm.” Wie viele tatsächlich zur Demo kommen werden, wissen auch die Organisatoren nicht. “Vielleicht 50.000, vielleicht auch nur 20.000. Das hängt davon ab, wie viele letztendlich die Busse besteigen, die wir bestellt haben”, sagt Koordinator Schädel. Ihren Höhepunkt hatte die Bewegung 2001 mit spektakulären Protesten in Prag, Genua und Göteborg. Da waren die Fronten klar, zumindest für Attac: auf der einen Seite die Vertreter der reichsten Industrienationen, die über Wohl und Wehe der Welt entschieden. Auf der anderen das Volk, das dagegen auf der Straße protestierte - und brutal von der Polizei zurückgedrängt wurde. Der G8-Gipfel in Genua forderte Schwerverletzte und einen Toten. Attac erfasste eine Welle der Sympathie, allein in Deutschland kletterten die Mitgliedszahlen von 500 auf 10.000. Dann kam Gleneagles. 250.000 Demonstranten gingen 2005 beim Gipfel in Schottland gegen “die neoliberale Weltordnung” auf die Straße. Doch die Proteste gingen in den Medien unter. Während des Treffens verübten islamistische Terroristen Bombenanschläge auf die Londoner U-Bahn. Außerdem wurde der Gipfel zur “Blair-Show”. Der britische Premierminister inszenierte sich als Retter Afrikas, indem er den Regierungschefs das Versprechen entlockte, mehr Geld in die Entwicklungshilfe zu stecken - 50 Mrd. $ mehr pro Jahr bis 2010. Den Soundtrack dazu lieferten Bono und Bob Geldof bei ihren “Live8″-Konzerten, mit denen sie Spenden für Afrika sammelten. Für Attac eine höchst zwiespältige Aktion: “Sie meinen es gut, haben aber eher dazu beigetragen, die Gipfel zu legitimieren”, sagt Pedram Shahyar, Blockade-Koordinator von Attac. “Sie spielen die Rolle der Charity-Begleitshow beim Gipfel der globalen Oberschicht und sind keine Repräsentanten der Globalisierungskritiker.” Kritiker ziehen an einem Strang Und als ob er sich selbst Mut zusprechen will, verkündet er: “Dieses Jahr wird es keine Merkel-Show geben!” Er betont, wie viel besser die Bewegung diesmal organisiert sei. Dass Linksextreme, Gewerkschaften und NGOs an einem Strang ziehen. Und doch droht Heiligendamm für Attac zum zweiten Gleneagles zu werden. “Merkel wird versuchen zu zeigen, dass die Staaten die Probleme sehen, sich darum kümmern und auch zu lösen imstande sind”, sagt Sozialforscher Rucht. “Für die Wahrnehmung des Gipfels und der Protestbewegung wird entscheidend sein, wie die Debatte in den Medien präsentiert wird.” Die deutsche Regierung geht betont offensiv vor. Durch mehr Transparenz würden sich Widerstände gar nicht erst aufbauen, heißt es in Merkels Team. “Mit einer kritischen Diskussion lässt sich gemeinsam auf eine gerechtere Globalisierung hinwirken”, verspricht die Einladung zu einem Dialog zwischen NGOs und Regierungsvertretern im Internet. “Wenn man sich die Website der Bundesregierung zum G8-Gipfel anschaut, hat man manchmal das Gefühl, man wäre bei Attac gelandet”, spottet Attac-Koordinator Shahyar. Das ist zwar ein Erfolg der Bewegung, aber gleichzeitig auch ihr Problem: “Dadurch, dass auch die politischen Parteien das Thema aufgreifen, polarisiert es nicht mehr so”, sagt Baus von der Adenauer-Stiftung. “Es wird auch weniger öffentlichkeitswirksam.” Angela Merkel kann zudem beim Kampf um Aufmerksamkeit auf prominente Verbündete zählen. So erhielt Bono bereits eine Audienz im Kanzleramt. “Merkel ist eine weise Frau”, schwärmte der U2-Frontmann nach dem Privattreffen vor einigen Wochen. Die Kanzlerin wolle sich beim Gipfel voll dafür einsetzen, dass die Regierungen die Versprechen von Gleneagles umsetzen. Die Regierungschefin würdigte das “große persönliche Engagement” Bonos in Entwicklungsfragen, der Sänger nannte dafür Merkel die “derzeit wichtigste Stimme für die Armen”. In Rostock wird Bono beim Grönemeyer-Konzert am 7. Juni auftreten, ebenso wie die Toten Hosen und Die Fantastischen Vier. Das Konzert ist Teil der Kampagne “Deine Stimme gegen Armut” von 100 Entwicklungs-NGOs wie “Brot für die Welt” und Oxfam. Bob Geldof lud vergangene Woche Entwicklungsexperten und Stars zu einem “Intellectual Live 8″ ein, um über Lösungen für Afrika zu grübeln - mit dabei Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. Um gegen solch ein Spektakel anzukommen, müsste die Protestbewegung für Aufsehen auf der Straße sorgen - aber ein zweites Genua möchte Attac vermeiden. “Keiner will, dass Steine fliegen”, sagt Elmar Altvater, Attac-Mitglied und Verfasser zahlreicher globalisierungskritischer Bücher, “aber nur so bekommt man Aufmerksamkeit und wird gehört im üblichen Rauschen.” Unangenehme Allianz Darüber hinaus hat Attac noch andere Probleme. Das Bündnis hat sich verzettelt, das Protestspektrum, das Attac inzwischen abzudecken versucht, ist riesig. Seit der Anfangseuphorie und dem Medienhype ist das Netzwerk auf über 170 Organisationen angeschwollen, darunter Gewerkschaften und kirchliche Gruppen. Attac kümmert sich auch um Themen wie Softwarepatente, die Privatisierung der Bahn oder die Gesundheitsreform. Die Bewegung normalisierte sich und kämpft “jetzt mit den Mühen der Ebene und mit vielen differenzierten Fragen”, sagt Rucht. Die Marke Attac hat längst an Glanz verloren. Zu zahm wurde sie für linksextreme Gruppen wie “Linksruck” - die aggressivsten Stimmen der früheren Demonstrationen stiegen aus. Moderatere Mitglieder glaubten dagegen, auf parlamentarischem Weg mehr erreichen zu können. Zum Beispiel, als die Linkspartei sich formierte. “Der Höhepunkt dieser sozialen Bewegung ist überschritten. Sie haben es nicht geschafft, sich ihr Alleinstellungsmerkmal zu bewahren”, sagt Baus. Früher kämpfte Attac ziemlich einsam für die Opfer der Globalisierung. Inzwischen ist die Konkurrenz groß - in Deutschland kommt die von ungewohnter Seite. Mitte April startete die NPD unter dem Schlagwort “Sozial statt Global” ihre eigene Kampagne gegen das Gipfeltreffen. Über 100 “Infostände wollen NPD-Kreisverbände am 19. Mai in ganz Deutschland aufbauen und gegen den Gipfel Stimmung machen. “Man müsste die viel mehr diskreditieren”, klagt Sabine Klemm vom Schweriner Bürgerbündnis. “Aber ihr Infomaterial ist raffiniert, und sie sind immer einen Tick schneller.” Die Gegenseite sieht das anders: “In der Kritik gibt es zahlreiche Schnittstellen”, sagt NPD-Sprecher Klaus Beier. Und hofft, bald Schulter an Schulter mit den Linken zu protestieren. “Wir haben da keine Berührungsängste.” Attac-Vorstandsmitglied Peter Wahl ist die unfreiwillige Allianz unangenehm. “Wenn bei unseren Aktionen Neonazis auftauchen sollten, fliegen die hochkant raus”, beteuert er. “Wir müssen uns von denen klar abgrenzen!” So leicht dürfte das nicht werden. Die “Gib8!”-Aufkleber und T-Shirts der NPD-Kampagne sehen den Symbolen der Linken zum Verwechseln ähnlich. Globales Netzwerk 1997 Der französische Journalist Ignacio Ramonet fordert die Einführung einer Steuer auf internationale Devisengeschäfte. Aus dieser Idee entstand der Verein Attac. Der Name leitet sich aus der französischen Abkürzung für “Verein für eine Besteuerung von Finanztransaktionen zum Wohle der Bürger” ab. 2000 Der deutsche Ableger von Attac wird gegründet. 2001 Nach ersten scharfen Schüssen auf Demonstranten beim EU-Gipfel in Göteborg fordert die weiter eskalierende Gewalt beim G8-Gipfel in Genua mit Carlo Giuliani den ersten Toten. Attac wird zur Sprecherbewegung der deutschen Globalisierungsgegner. 2005 G8-Gipfel Gleneagles: 250.000 Demonstranten protestieren friedlich in Edinburgh. In den Medien dominieren die Bilder der Londoner Terrorattentate und die von Bob Geldof organisierten “Live8″- Benefizkonzerte. von Ruth Fend (Rostock) http://www.ftd.de/politik/deutschland/:Agenda%20Auf%20Kampf/197212.html |
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