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INNENSENATOR: “Der Spuk ist noch nicht vorbei”Berliner Zeitung 28. April 2007 Herr Körting, wie werden Sie den 1. Mai verbringen? Ich werde tagsüber Maifeiern und Feste besuchen und lasse mich auf dem Laufenden halten. Ich besuche einzelne Polizeieinheiten. Ab 18 Uhr werde ich dann die Lagezentren der Polizei aufsuchen, um mich über die Situation unterrichten zu lassen und ein Gespür für das Klima am Abend zu bekommen. Womit rechnen Sie? Wir haben derzeit keine Signale, dass die Szene besonders gewalttätige Aktionen plant. Ich gehe davon aus, dass wir wie im letzten Jahr einen überwiegend friedlichen 1. Mai bekommen werden. Innenverwaltung und Polizei haben alles getan. Aber wir sind erfahren genug, keiner Ruhe zu trauen. Haben Sie Bammel vor diesem Tag? Sie wären nicht der erste Innensenator, den hässliche Bilder von brennenden Autos an den Rand des Rücktritts bringen. Ich habe keine Existenzängste am 1. Mai. Aber mir ist bewusst, dass es ein wichtiger Tag für das Sicherheitsgefühl der Bürger in dieser Stadt ist. Ich bin gelassen, aber nicht blauäugig. Wir haben gemeinsam mit den Bürgern in Kreuzberg, die die jährlichen Zerstörungsorgien in ihrem Kiez nicht mehr hinnehmen wollen, das Krawallritual am 1. Mai durchbrechen können. Aber klar ist: Einzelne oder kleine Gruppen werden sehen, was geht. Der Spuk ist noch nicht vorbei. Ihr Szenario? In diesem Jahr wurde früher für diesen Tag mobilisiert, der im Zeichen des G8-Gipfels steht. Ich rechne damit, dass die Demonstrationszüge friedlich verlaufen, ebenso das Myfest in Kreuzberg. Für die linke und linksextremistische Szene ist der 1. Mai im Verhältnis zum G8-Gipfel im Juni eine völlig untergeordnete Sache. Womit wir immer rechnen müssen, sind Ausschreitungen von alkoholisierten Leuten. Im letzten Jahr hat die Polizei registriert, dass sich die Menge bei Festnahmen nicht mehr schützend vor Steinewerfer stellt. Wird das so bleiben? Es gibt viele Menschen, die arm, perspektivlos und sozial ausgegrenzt sind. Die haben Wut im Bauch und sehen vielleicht ganz gern, dass ein Bonzenauto in Flammen aufgeht. Die Leute in Kreuzberg haben gelernt, dass Steine werfen ihre Probleme nicht löst. Sie wissen, dass die Steine vor allem die Kreuzberger selbst treffen. Es gibt mittlerweile eher das Problem, das ein ALG-II-Empfänger, dessen Auto Autonome anzünden wollen, zur Selbstverteidigung greift. Tatsächlich solidarisieren sich viele Anwohner, anders als früher, nicht mehr mit Straftätern, die die Polizei festnimmt. Das hat auch damit zu tun, dass die Polizei gezielt gegen einzelne Krawallmacher und nicht gegen die Menge vorgeht. Das sieht die linke Szene ganz anders. Sie will mit Handykameras Bilder von Polizeiübergriffen machen. Wie finden Sie das? Grenzwertig. Fotografieren kann die Persönlichkeitsrechte der Beamten verletzen. Politisch steht hinter dieser Aktion im Übrigen ein historisch völlig überholtes Bild der Polizei als einer Institution der Staatsmacht, die auf arme, demokratische Demonstranten einprügelt. Das habe ich immer für falsch gehalten, und mit der Realität der Polizeieinsätze heute hat es schon gar nichts mehr zu tun. Einspruch. Wenn man Demos nicht als Innensenator, sondern als Bürger und Journalist aufsucht, wird man durchaus Zeuge, dass Beamte ordentlich draufhauen. Verurteilt wurden solche Schläger in Uniform selten und nur, wenn Fotos die Übergriffe dokumentierten. Natürlich kann ein Beamter auch mal was falsch machen. Das wird auch verfolgt. Aber die Polizei als solche als prügelnde Truppe hinzustellen, ist völlig verfehlt. Und wenn es der Minderung der Aggressivität dient, ist es allemal besser, zu fotografieren, als Steine zu werfen. Was blüht dem, der beim Werfen oder Barrikadenbau erwischt wird? Er muss mit einer Haftstrafe rechnen. Die Zusammenarbeit von Polizei und Justiz hat sich sensationell verbessert. Am 1. Mai stehen Staatsanwälte und Richter in Bereitschaft. Die Polizei dokumentiert Straftaten mit Video, das Material liegt den Staatsanwälten vor. In etwa der Hälfte der Fälle wurde 2006 Haftbefehl erlassen. Und die Rechtsprechung gegen Steinewerfer ist härter geworden. Das Gespräch führten Andreas Kopietz und Thomas Rogalla. Berliner Zeitung, 28.04.2007 |
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