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Wie die große Politik das Leben in Heiligendamm verändertHamburger Abendblatt 23. April 2007 G-8-Gipfel: Acht Staats- und Regierungschefs haben sich Angesagt - Aber was geht das die Menschen vor Ort an? Heiligendamm an der mecklenburgischen Ostseeküste bereitet sich auf den G-8-Gipfel der sieben führenden Industrienationen Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Japan, Kanada und USA plus Russland vom 6. bis 8. Juni vor. Das Leben vieler Menschen in der Region hat sich schon jetzt verändert. Abendblatt-Reporterin Hanna-Lotte Mikuteit stellt vier von ihnen vor und wird auch weiter verfolgen, wie sie das große Treffen wahrnehmen. Da ist Monty Schädel, schwer beschäftigt mit der Organisation des Gegen-Gipfels im 15 Kilometer entfernten Rostock. Außerdem der Polizeibeamte Dirk Kunz, der mit seinen Kollegen für die Sicherheit der Staatsgäste sorgen soll. Frauke Möller wiederum, PR-Frau der Tagungsstätte Kempinski Grand Hotel, hat die Journalisten zu versorgen. Und für Kira Goedeke ist es mit der Ruhe in ihrem Heiligendamm erst einmal vorbei. Die Familie: Private Feiern sind Verboten Die See, der Wald, die Ruhe - deshalb sind Kira Goedeke (34) und ihr Mann Ralf (45) vor vier Jahren nach Heiligendamm gezogen. “Ruhig ist es dieses Jahr nicht”, sagt Kira Goedeke und seufzt ein bisschen. Auch im vergangenen Jahr war das schon so, als US-Präsident George W. Bush auf Deutschland-Visite in das Ostseebad kam. Plötzlich leben die Goedekes, dazu gehören noch Johan (6) und Paula (1), im Brennpunkt des Weltgeschehens. “So langsam merkt man, was das bedeutet”, sagt die gebürtige Rostockerin. Gerade war die Dammchaussee, die Hauptverbindungstraße nach Bad Doberan, erst teilweise, dann komplett gesperrt. “Da haben sie die ganze Straße aufgefräst, an beiden Seiten riesige Schächte ausgehoben und so eine Art Wegfahrsperre eingebaut”, erzählt die junge Frau. Völlig übertrieben findet sie das. Zumal es vorher nicht bekannt gemacht worden war. “Hier laufen so viele Polizisten herum, da kann es doch nicht sein, dass wir nicht informiert werden.” Noch in Sichtweite ihres Hauses wird gerade ein monströser Straßenkontrollpunkt gebaut. “Wir werden hier richtig verrammelt und verriegelt”, sagt Kira Goedeke mit offenem Lächeln. Schon vor Wochen mussten die Goedekes - er ist Architekt, sie vermietet die neu gebauten Ferienwohnungen - Namen, Adresse, Geburtsdaten und Kfz-Kennzeichen registrieren lassen, Passfotos wurden gemacht. “Man weiß ja nicht, was mit den Daten gemacht wird”, sagt Goedeke mit einigem Zweifel. Zunächst werden sie für die lebensnotwendigen Registrierkarten für die heiße Gipfelzeit gebraucht. Besucher müssen dann auch gemeldet werden. Und private Feiern, das wurde den Heiligendammern beschieden, seien verboten. “Das wüsste man auch rechtlich zu verhindern”, habe die Kontaktbeamtin nur knapp gesagt. “Wir werden uns wohl noch auf einiges gefasst machen müssen.” Einen Vorgeschmack gab es am vorvergangenen Wochenende. Etwa 200 Demonstranten waren nach Heiligendamm gekommen. Die Polizei habe alle gefilzt, berichtet Kira Goedeke. Nachts war dann die komplette Straßenbeleuchtung ausgeschaltet. “Das kann doch nicht sein”, schimpft sie dann zum ersten Mal. “Wir haben doch auch Feriengäste. Die können nicht immer mit Taschenlampen herumtappen.” Der Polizist: Neun Tage dienst, drei Tage frei Dirk Kunz’ Einsatzbefehl heißt Raumschutz. 60 mal 60 Kilometer groß ist das Gebiet, das er mit seinen 30 Leuten sichern soll. “Alles südlich der A 20 von Kröpelin bis Tessin und runter bis Krakow”, sagt der 36 Jahre alte Hauptkommissar der Schweriner Bereitschaftspolizei. Gerade sitzt er mit Polizeiobermeister Steffen Krüger (37) an einer Autobahnbrücke bei Bölkow, 16 Kilometer entfernt von Heiligendamm. Das Funkgerät knastert unablässig. “Wir geben jede Stunde eine Lagemeldung an die Einsatzzentrale in Waldeck”, sagt Kunz. Zu berichten gibt es noch nicht viel: “Wir fahren rum und gucken.” Es wird auch überprüft. Wenn jemand auf einem Acker ein Zelt aufbaut oder plötzlich irgendwo Straßenbauarbeiten losgehen. “Schließlich weiß niemand, wo die G-8-Kritiker sich Störaktionen einfallen lassen”, sagt der Zugführer ernst. Seit 1. April arbeiten die 350 Beamten der G-8-Polizeitruppe “Kavala” im Dreischichtsystem. “Das heißt neun Tage Dienst, drei Tage frei”, sagt Kunz, der mit seiner Frau Stefanie, ebenfalls Polizistin, Söhnchen Leopold und Deutscher Dogge Soraya in Groß Roghan bei Schwerin lebt. Wenn er wie an diesem Morgen Frühschicht hat, steht er um vier Uhr auf, gegen 17 Uhr ist er wieder daheim. “Das ist schon eine Belastung”, sagt Kunz. Dazu kommt: “Die Ungewissheit, wie friedlich das Ganze läuft. Auch für einen selbst.” Spezielle Vorbereitungen oder Schulungen habe es nicht gegeben. Keine Zeit. “Wir haben seit Januar 2006 Ausnahmesituation.” Aber jetzt wird es ernst. Ganz am anderen Ende seines Gebietes gab es gerade einen ersten Zwischenfall. “In Groß Lüsewitz haben drei Aktivisten den Sendemast vor einer Firma bestiegen und gegen Gentechnik protestiert”, so der frühere Seemann, der 1992 bei der Polizei anheuerte. “Das war Hausfriedensbruch.” Weitere sieben Personen hätten am Boden demonstriert. “Wir haben die Personalien festgestellt.” Für dieses Mal war es das. Die PR-Managerin: 16-Stunden-Tag für immer dieselben Fragen Jeden Tag hört sie die gleichen Fragen: Haben Sie Angst vor dem Gipfel? Was wird gekocht? Wer wohnt in welcher Suite? Gehen die Staatsoberhäupter in die Sauna? Frauke Müller (27) beantwortet sie alle mit der gleichen ausgesuchten Freundlichkeit - auf Deutsch, Englisch oder Französisch. Und manchmal auch geschickt ausweichend. “Vieles wissen wir noch gar nicht oder dürfen es nicht nach außen tragen.” Aus sicherheitsrelevanten Gründen. Allein in dieser Woche hat die PR-Managerin des Kempinski Grand Hotels Heiligendamm Journalisten aus Japan und Lateinamerika, vom amerikanischen “Forbes Magazin” und der “New York Times” durch das G-8-Tagungshotel geführt. “Es ist doch eine Sache, die erlebt man nur einmal im Leben”, sagt die Berlinerin, die schon im Adlon und in Dresden regierende und gekrönte Häupter betreute, von Königin Silvia von Schweden bis Jassir Arafat. Aber dieses Mal sind es gleich acht auf einmal. 16-Stunden-Tage sind die Regel für die Frau mit dem pfiffigen Kurzhaarschnitt, die vor drei Jahren noch an der Berliner FU ihren Magister in Amerikanistik baute. 62 Journalisten hat sie allein seit Jahresbeginn betreut. Seit Juni 2006 ist sie in Heiligendamm und für die PR in dem 400-Betten-Luxushotel zuständig. Im Augenblick, sagt sie mit ihrer immer fröhlichen Stimme, laufe alles nach Plan. Die Zusammenarbeit mit Bundesbehörden und ausländischen Verantwortlichen sei wunderbar. Aber, sie weiß auch, “jetzt sind wir noch Standby”. In den vergangenen Tagen ist die Spannung im Haus spürbar gestiegen. G-8-Gegner: Sucht Parkraum für 50 000 An diesem Vormittag hat er wieder mit Polizei und Tiefbauamt zusammengesessen. Es ging um Parkplätze für die Busse, die Demonstranten aus der ganzen Welt nach Rostock bringen. Möglichst viele Leute müssen möglichst schnell aus den Bussen raus, sagt Monty Schädel (37). Er ist einer der Organisatoren der G-8-Proteste in der Hansestadt, 15 Kilometer östlich von Heiligendamm. Sein Hauptbereich sind die Vorbereitungen für die große Auftaktdemo am 2. Juni in Rostock. “Immerhin geht es um eine Planungsgröße von 100 000 Leuten”, sagt der Anti-Gipfel-Aktivist, der im Hauptberuf für die Deutsche Friedensgesellschaft arbeitet. Wenn, wie erwartet, 50 000 Menschen mit dem Bus kommen, braucht man eine Menge Parkplätze. “Das haben inzwischen auch Stadtverwaltung und Polizei verstanden und kooperieren mit uns”, sagt Schädel in seinem Info-Büro im Rostocker Ökohaus. Derzeit sind 720 Busparkplätze gefunden. Seit mehr als einem Jahr schon ist Schädel in Sachen Gipfel-Protest aktiv. Der gelernte Koch und Erzieher, der auch schon mal für die PDS im Landtag Mecklenburg-Vorpommern saß, ist überzeugter Pazifist und sieht in der Politik der G-8-Staaten kriegerisches Potenzial. Die bestehenden Machtstrukturen verändern, das ist seine Triebfeder. “Das muss man sich schon aus Motivationsgründen immer wieder klarmachen”, sagt Schädel. Denn sein Job jetzt ist eher profan. “Es geht um die Organisation, die muss bis ins Detail stimmen. Je wohler die teilweise von weither angereisten Demonstranten sich fühlen”, so sein Credo, “desto entspannter läuft es.” Deshalb ackert er von morgens bis spät in die Nacht. Aus Mecklenburg-Vorpommern sollen andere Bilder um die Welt gehen als 1992 bei den ausländerfeindlichen Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen. Inzwischen steht auch das Programm für den geplanten Alternativ-Gipfel vom 5. bis 7. Juni, Räume für die Workshops und Podiumsdiskussion sind gefunden. An diesem Morgen ist auch die Zusage für ein drittes Camp für die Gipfelkritiker gekommen. “Insgesamt haben wir jetzt bis zu 15 000 Leute untergebracht”, sagt Protest-Organisator Schädel. Die Situation entspannt sich. Allerdings erst auf den letzten Drücker. In den nächsten Tagen wird er wieder mit in Planungsrunden sitzen, unter anderem mit Vertretern des Öffentlichen Nahverkehrs. Denn er weiß: Von der Auftaktdemonstration hängt viel ab: Sie entscheidet über Erfolg oder Misserfolg der G-8-Proteste. erschienen am 23. April 2007 |
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