»G-8-Protest ist wichtiges Thema bei Sozialforum«

junge welt 19. April 2007

Erstes Berliner Treffen der WSF-Bewegung will Auswirkungen globaler Politik auf die soziale Situation in der Stadt beleuchten. Ein Gespräch mit Axel Strasser

* Axel Strasser ist Mitglied im Vorbereitungskreis für das erste Berliner Sozialforum unter dem Motto »Für ein Berlin, in dem wir leben wollen!«, das am kommenden Wochenende, 21./22. April, in der Rütli-Schule im Bezirk Neukölln stattfinden wird. Infos im Internet: sozialforum-berlin.de

Warum haben Sie sich ausgerechnet die Rütli-Schule als Schauplatz des ersten Berliner Sozialforums ausgesucht?

Die Rütli-Schule hat vor gut einem Jahr für Schlagzeilen gesorgt, nachdem das Kollegium in einem Brandbrief die unerträglichen Zustände publik gemacht hatte. Die Hauptschule befindet sich in einem Kiez, der durch massive Armut und soziale Spaltungen gekennzeichnet ist. Das, was da an der Schule kurz öffentlich wurde, hat mit verfehlter Bildungspolitik genauso zu tun wie mit dem Abhängen und Fallenlassen von Kiezen und ihren Bewohnern. Kurzzeitig wurden hier die Folgen der jahrelangen unsozialen Politik von Bund, Land und Kommunen sichtbar. Damit sind wir an einem Ort, an dem wir mit den Problemen direkt konfrontiert sind und an dem wir nach Lösungen suchen wollen.

Andererseits soll sich in der Zwischenzeit an der Schule einiges zum Guten verändert haben. Steht der Ort damit auch sinnbildlich »Für ein Berlin, in dem wir leben wollen«?

Was heißt schon gut? Auch wenn das unmittelbare Klima an der Schule besser geworden ist, die soziale Situation hat sich doch nicht verändert. Ein lebenswertes Berlin ist eines, in dem die Menschen sowohl in ihren Problemen als auch in ihren Veränderungsvorschlägen gehört und ernstgenommen werden. Es ist doch pervers, daß es immer sogenannter Brandbriefe bedarf, bevor irgend etwas wahrgenommen wird – von grundsätzlichen Veränderungen kann keine Rede sein. Diese strukturellen Probleme von Armut und Ausgrenzung sollen am Wochenende in über 30 Workshops Thema sein.

Ist die Hauptstadt die bundesweit erste Stadt mit einem lokalen Sozialforum?

Nein. Vorreiter ist Bremen, wo bereits vor eineinhalb Jahren ein lokales Sozialforum tagte. Als Teile der Weltsozialforumsbewegung (WSF) haben sich in vielen Städten und Ländern lokale Gruppen gebildet. An diesem Wochenende finden ähnliche Veranstaltungen ebenfalls in Bochum, Bremen, Freiburg, Heidelberg, Pforzheim, Reutlingen und Saarbrücken, aber auch in Ivry, einem Vorort von Paris, statt. Wir stehen untereinander in Kontakt und betreiben auch eine eigene Webseite. (lokale-sozialforen.de)

Wird in Berlin auch die Beteiligung der Linkspartei am Sozialabbau ein Thema sein?

Eine gesonderte Auseinandersetzung mit Parteien wird es nicht geben. Dafür wird allerdings die Arbeit des Berliner Senats in vielen Workshops eine Rolle spielen, etwa mit Blick auf die Flücht lings po li­tik, die Schulpolitik oder auf die drei geplanten Volksbegehren gegen die Privatisierung der Wasserbetriebe, der Sparkassen und für ein Verbot von Studiengebühren.

Befaßt sich das Sozialforum nur mit lokalen und regionalen Fragen?

Nein. Wir versuchen, lokales Handeln in globalen Strukturen zu sehen. Deshalb ist uns der Schwerpunkt G-8-Gipfel, dem eine der drei Podiumsdiskussionen gewidmet ist, auch so wichtig. Besonders freut uns die Zusage von Giuliano Giuliani. Der Vater des 2001 bei den G-8-Protesten in Genua erschossenen Carlo wird das Sozialforum mit einem Grußwort persönlich eröffnen.

Rechnen sie nicht mit geringerer Beteiligung, weil Heiligendamm vor der Tür steht?

Im Gegenteil: Wir wollen mit unserem Podium »Was hat Heiligendamm mit Berlin zu tun?« zur Mobilisierung beitragen. Der neoliberale Umbau, der weltweit forciert wird, schlägt sich doch lokal in der Privatisierung öffentlicher Güter, im Sterben sozialer Einrichtungen und dem wachsenden sozialen Elend nieder. Das ist keine Zwangsläufigkeit, sondern Ausdruck nationaler wie überstaatlicher Wirtschaftspolitik, die gerade von den G-8-Staaten betrieben wird. Hier beschließen die Eliten den Kurs, der dann durch nationale und regionale Programme, durch Weltbank oder den Internationalen Währungsfonds durchgesetzt wird. Ganz anschaulich: Wenn im nächsten Jahr ein Jugendzentrum mehr in Berlin dichtmacht, ist die Entscheidung dazu vielleicht indirekt in Heiligendamm gefallen.

Interview: Ralf Wurzbacher

19.04.2007 / Inland / Seite 2

http://www.jungewelt.de/2007/04-19/032.php