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“Ich würde gar nicht von Gewalt sprechen”taz 14. April 2007 taz: Herr Veil, 30 Jahre Deutscher Herbst - welche Rolle spielt die Gewaltfrage für die radikale Linke heute noch? Stefan Veil: Auf jeden Fall eine andere als damals. Wobei nicht vergessen werden darf, dass die undogmatische Linken das Vorgehen der RAF schon damals scharf kritisiert hat. Auch in den 70ern teilten viele Linke nicht die Einschätzung, dass Deutschland quasi kurz vor einer Revolution steht und bloß von einer kleinen Avantgarde noch angefeuert werden muss. Soziale Bewegungen sind der Ort, an dem gesellschaftliche Veränderungen entstehen. Die Form von niedrigschwelliger Massenmilitanz, wie sie in der Antiatomkraftbewegung oder beim Häuserkampf gewählt wurden, folgten ja bereits einer völlig anderen Strategie als die der RAF. Heute können wir viel unbefangener über die Mittel diskutieren und müssen uns nicht ständig von Konzepten abgrenzen, die strategisch und moralisch falsch sind. Dennoch wird die Gewaltfrage im Rahmen der G-8-Proteste heiß diskutiert. Ein ideologisch aufgebauschter linker Reflex von damals? Ich finde die Debatte durchaus sinnvoll. Denn dahinter steckt ja die Frage, welche Vorgehensweise beziehungsweise Strategie wir sinnvoll finden und vor allem in welchem Mischungsverhältnis. Das ist eine berechtigte Frage, die sich jede soziale Bewegung immer wieder stellen muss. Und Gewalt kann eine Antwort sein? Ich würde gar nicht von Gewalt sprechen. Der Begriff ist von der Gegenseite besetzt, die daran interessiert ist, bestimmte Teile des Protestes zu delegitimieren. Ich spreche lieber von Militanz oder entschiedenem Vorgehen. Wenn sich Aktivisten für militante Aktionsformen entscheiden, drücken sie auf einer überwiegend symbolischen Ebene aus, dass sie mit diesen Verhältnissen prinzipiell nicht einverstanden sind. Immerhin geht es um existenzielle Probleme, um Leben und Tod, wenn von den Verwerfungen kapitalistischer Globalisierung die Rede ist. Da ist es nur sinnvoll, mit gepfefferten Aktionsformen auf diese Missstände aufmerksam zu machen. Darum bemühen sich Nichtregierungsorganisationen auch - ohne Militanz. Es gibt Teile der Bewegung, die auf die “besseren” Argumente setzen. Daran ist nichts falsch. Verknüpft ist damit die Bereitschaft zum Dialog mit allen möglichen Gruppen einschließlich der Regierungsapparate. Dabei verlieren viele NGOs jedoch häufig den Blick dafür, dass es um ganz reale Interessengegensätze geht, die durch Gespräche nicht gelöst werden können. Der Freihandel soll nicht nur fairer gestaltet werden. Angesichts weltweiter Armut muss die Kapitalismusfrage grundsätzlich aufgeworfen werden. Attac stellt diese Frage - wird nun von Linksradikalen aber kritisiert, weil Attac versichert hat, dass von ihren Aktionen keine Gewalt ausgehen werde. Ja, klar. Wer sich immerzu über brennende Mülltonnen aufregt und darum bemüht ist, sich von anderen Teilen der Bewegung zu distanzieren, sollte sich fragen, ab wann er damit letztlich nicht das eigene Anliegen aus dem Auge verliert. Attac sollte vielmehr mutiger sein und den herrschenden Gewaltbegriff offensiv infrage stellen. Denn mit ihm soll doch nur von den tatsächlichen Gewaltverhältnissen abgelenkt werden. Es ist aber doch eine berechtigte Frage, ab welchem Punkt militante Aktionen abschrecken und damit der Mobilisierung schaden. Für mich ist der globalisierungskritische Widerstand wie ein Orchester. Es gibt viele unterschiedliche Aktionsformen, die alle ihre Berechtigung haben. Zusammen machen sie die Musik. So wichtig die Rolle der NGOs ist, die richtigen Argumente zu entwickeln - sie bleiben ungehört, wenn die passenden Aktionen ausbleiben. Das ist für mich eine der zentralen Einsichten von den globalisierungskritischen Protesten in Seattle und Genua. INTERVIEW: FELIX LEE taz vom 14.4.2007, S. 6, 108 Z. (Interview), FELIX LEE |
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