Hallo,
nicht nur am so genannten Sicherheitszaun rund um Heiligendamm gehen die
zuständigen Stellen derzeit äußerst ruppig vor, auch in Sachen ‚Abschiebung' wird seit einigen Wochen in Mecklenburg-Vorpommern eine verschärfte Gangart angeschlagen. Vieles spricht dafür, dass das eine mit dem anderen nicht unmittelbar zu tun hat, dennoch gibt es aus Sicht des Widerstands durchaus Zusammenhänge zwischen den Protesten gegen den G8-Gipfel und den Versuchen (des NoLager- Netzwerks), der aktuellen Abschiebeoffensive etwas entgegen- zusetzen.
Doch bevor wir näher darauf eingehen, möchten wir für die eiligen LeserInnen bereits hier & jetzt eine Demo (aus aktuellem Anlass) ankündigen:
Am Nachmittag vor der Aktionskonferenz, d.h. am Freitag, den 13. April 2007, wird um 16 Uhr in Rostock eine Demo unter dem Motto "Abschiebemaschinerie stoppen - Papiere für alle" stattfinden. Die Demo beginnt am Bahnhof und endet an der Nikolai-Kirche, also dort, wo es auch mit der Auftaktveranstaltung der Aktionskonferenz losgehen wird. Alle sind herzlich eingeladen, an der Demo teilzunehmen!
Zur Sache: Zwischen dem 27. und 29. März sind allein in Mecklenburg-Vorpommern mehrere Dutzend TogolesInnen in Abschiebehaft genommen worden - es gibt die Vermutung, dass sie mit einem Abschiebecharter am 10. April abgeschoben werden sollen. Darüber hinaus wurden ebenfalls mehrere Dutzend TogolesInnen zwangsweise bei der togolesischen Botschaft vorgeführt, ihnen sollten dort Reisepapiere zum Zwecke der Abschiebung ausgestellt werden. "Zwangsweise vorgeführt" heißt, dass überall in Mecklenburg-Vorpommern zwischen 2 und 4 Uhr nachts (größtenteils unangemeldet) jeweils 10 PolizistInnen bei den Betroffenen in deren Zimmer eingedrungen sind und diese direkt zur Botschaft verbracht haben(die togolesische Botschaft hatte in diesen Tagen eine provisorische Außenstelle in Lübeck eröffnet). Hinzu kam, dass in der vergangenen Woche Flüchtlinge überall in Mecklenburg-Vorpommern massiv auf Bahnhöfen kontrolliert wurden - teilweise ist es wohl zu regelrechten Hetzjagden gekommen. Zur Erklärung sei hinzugefügt, dass am Ende des jeweiligen Monats viele der in Hamburg oder irgendwo sonst lebenden Flüchtlinge in ‚ihre' Heime zurückkehren, um ihre (um 30 Prozent abgesenkte) Sozialhilfe abzuholen. Aus Polizeisicht ist dies deshalb
der einzige Zeitpunkt, all derer habhaft zu werden, die in Abschiebehaft
genommen werden sollen. Eine Art Nebenprodukt solcherart Massenkontrollen ist außerdem, dass die Flüchtlinge, die außerhalb des ihnen zugewiesenen
Landkreises angetroffen werden und somit des Verstoßes gegen die
Residenzpflicht überführt sind, Bußgelder oder Anzeigen erhalten (letzteres ist in der Regel nach dem dritten Mal der Fall).
Hintergrund der aktuellen Vorgänge dürfte ein doppelter sein:
- a) Unmittelbar nachdem der so genannte Bleiberechtskompromiss im November 2006 endgültig beschlossen wurde (ein Beschluss, von dem bekanntlich nur ein Bruchteil der über 200.000 Geduldeten profitieren wird - von den über 1
Millionen Papierlosen ganz zu schweigen), hatten die Innenminister eine
ungleich härtere (Abschiebe-)Gangart gegenüber all jenen angekündigt, die nicht unter den Bleiberechtskompromiss fallen würden. Dies scheint sich nun zu bewahrheiten
- b) Hinsichtlich Togo kommt noch hinzu, dass in Togo Teile der früheren
Opposition mittlerweile an der Regierung beteiligt sind. Das stellt
zweifelsohne eine Veränderung dar, genauso wichtig ist allerdings, dass das
Militär und die Milizen (als den beiden Hauptsäulen des Terrors) weiterhin in den Händen der alten Macht-Eliten liegen und es deswegen immer noch zur
(systematischen) Verfolgung und Einschüchterung missliebiger AnhängerInnen der Opposition kommt. Nichtsdestotrotz behauptet die EU, dass mittlerweile die Dinge in Togo eine befriedigende Wendung genommen hätten und Abschiebungen deshalb nichts mehr im Wege stehen würde.
Was aber hat dies mit den G8-Protesten zu tun? Wir denken - eine ganze Menge:
- a) Von Anfang an hat ‚der' G8-Protest erklärt, dass es ihm um die Verbindung zwischen alltäglichen Widerstandskämpfen und symbolisch ausgerichtetem Anti-G8-Spektakel ginge. Denn langfristig - und daran kann überhaupt kein Zweifel bestehen - dürfte es ausschließlich unter der Voraussetzung zu Verschiebungen im gesamtgesellschaftlichen Kräfteverhältnis kommen, dass eine Vielzahl an Menschen beginnt, ihre Angelegenheiten selbstbestimmt in die Hand zu nehmen - im Stadtteil genauso wie in der Universität, im Flüchtlingslager, auf dem Arbeitsamt oder im Betrieb. Einziger Haken: Derzeit haben weniger Gruppen bzw. Einzelpersonen denn je Kapazitäten frei, um sich aktiv in einen lokalen Kampf wie den der Flüchtlinge in Mecklenburg-Vorpommern einzumischen.
Es dürfte offenkundig sein, weshalb dies eine fatale Situation ist: Auf der
einen Seite möchten wir unsere Anti-G8-Aktionen vorbereiten (die ja auch den Zweck verfolgen, neue Bündnisse einzugehen), auf der anderen Seite sind wir damit beschäftigt, einen dramatischen (weil existentiellen) Abwehrkampf
auszufechten, auf dass nicht ein größerer Teil unserer AktivistInnen im Juni gar nicht mehr da ist. Im Moment wissen wir schlicht nicht mehr, wie wir mit dieser Situation angemessen umgehen können - zumal sich ähnliche Widersprüche auch zu unseren (anderen) Lokal-Baustellen in den Abschiebelagern Bramsche und Blankenburg aufgetan haben. Aber vielleicht gibt es ja doch noch Leute, die freie Kapazitäten haben und sich spontan angesprochen fühlen?!?!
- b) Ein weiterer Zusammenhang ist programmatischer Natur: In den bisherigen G8-Debatten (so weit sie überhaupt stattgefunden haben) ist es ja viel um globale Rechte gegangen. Die derzeit in Mecklenburg-Vorpommern (wie überall in Deutschland) verschärft von statten gehende Abschiebepraxis wirft indessen das Thema globaler (und somit gleicher) Rechte in zugespitzter Form auf. Denn letztlich geht es um nicht weniger als die Frage, weshalb es überhaupt möglich ist, dass Menschen gezwungen werden, gegen ihren Willen Mecklenburg-Vorpommern, mithin Deutschland bzw. Europa zu verlassen - und diese Frage ist unabhängig davon aufzuwerfen, ob den Betroffenen individuelle Verfolgung droht (wie in Togo) oder nicht. Der Grund, warum wir dies erwähnen, ist nicht zufällig. Denn wir würden es begrüßen, wenn im Rahmen von Rostock III eine Resolution verabschiedet würde (gerne auch im Rahmen einer allgemeinen Abschlussresolution), in der sich die TeilnehmerInnen der Konferenz solidarisch mit den Forderungen der Flüchtlinge in Mecklenburg-Vorpommern und überall sonst erklären. Zur unmittelbaren Bebilderung hängen wir an das Ende dieser Mail noch
ein Interview mit einem Aktivisten aus Blankenburg an, in dem dieser Antworten auf die Frage gibt, weshalb er sich an den Anti-G8-Protesten beteiligt. Das Interview ist in der aktuellen Ausgabe der NoLager-Zeitung erschienen.
Herzliche Grüße,
[NoLager Bremen]